Digitalisierung: Keine E-Ver­gabe, keine Chance

Gastbeitrag von Kristian Tomczak, LL.M.

19.10.2018

Wenn es um viel Geld geht, darf die öffentliche Hand ihre Aufträge seit dem 19. Oktober 2018 nur noch elektronisch vergeben. Eine sinnvolle Umstellung, meint Kristian Tomczak – auch wenn sie gewisse Tücken mit sich bringe.

Aufträge von Bund, Ländern, Kommunen und anderen öffentlichen Institutionen machen einen erheblichen Teil des Umsatzes vieler Unternehmen aus. Gerade die europaweiten Vergaben im sogenannten Oberschwellenbereich sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Deutschland. Sie bemessen sich nach dem Auftragsvolumen:

Europaweit ist bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen dann auszuschreiben, wenn der Wert von 221.000 Euro überschritten wird, für Aufträge einer obersten Bundesbehörde gilt dies schon ab 144.000 Euro. Nur für bestimmte Sektoren gelten hier höhere Schwellenwerte. Bei Bauaufträgen und Konzessionen gilt hingegen ein Grenzwert von 5.548.000 Euro.

Die streng formalen Regelungen zur öffentlichen Auftragsvergabe, die ihre Grundlage in den EU-Vergaberichtlinien haben, sehen eine schrittweise Einführung elektronischer Vergabeverfahren vor. Diese schrittweise Einführung der sogenannten E-Vergabe hat für den Bereich der europaweit auszuschreibenden Vergaben im Oktober 2018 ihren Abschluss gefunden: Das komplette Vergabeverfahren im Oberschwellenberech ist seit Ablauf des vergangenen Donnerstags, 18. Oktober elektronisch abzuwickeln.

Die E-Vergabe – nicht einfach bloß E-Mails

Unter dem Begriff der E-Vergabe wird die elektronisch gestützte Durchführung des gesamten Vergabeverfahrens verstanden, in der Regel über spezielle Vergabeplattformen im Internet. Der Begriff geht damit über die rein elektronische Kommunikation zwischen öffentlichen Auftraggebern und potentiellen Bietern im Vergabeverfahren hinaus.

E-Vergabe meint dabei sowohl die Einreichung von Teilnahmeanträgen und Angeboten als auch die sonstige Kommunikation zwischen Auftraggeber und Bieter in Textform nach § 126b des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) mithilfe elektronischer Mittel.

Eine E-Mail genügt zwar den Anforderungen des § 126b BGB, nicht aber den zusätzlichen Anforderungen des Vergaberechts. Danach müssen die Teilnahmeanträge und Angebote nämlich verschlüsselt übermittelt, entgegengenommen und aufbewahrt werden. Nur so wird technisch gewährleistet, dass sie bis zum Öffnungstermin nicht zugänglich sind und niemand Kenntnis von den Inhalten der Angebote nehmen kann.

Wer nicht elektronisch übermittelt, scheidet aus

Bereits seit April 2016 müssen öffentliche Auftraggeber und Bieter bei Vergaben im Oberschwellenbereich für alle wesentlichen Bereiche der öffentlichen Auftragsvergabe und für jedes Stadium des Vergabeverfahrens - von der Auftragsbekanntmachung bis hin zur Information über die Zuschlagserteilung - grundsätzlich elektronische Mittel zur Kommunikation nutzen.

Dies betrifft insbesondere die elektronische und europaweite Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung, die unentgeltliche, uneingeschränkte und vollständige Bereitstellung der Vergabeunterlagen über das Internet sowie die Zulässigkeit einer elektronischen Abgabe von Teilnahmeanträgen und Angeboten der Bieter.

Mit Ablauf des 18. Oktober 2018 mussten aber nun alle öffentlichen Auftraggeber und Bieter vollständig auf die elektronische Abwicklung von Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich umstellen. Angebote, Teilnahmeanträge, Interessensbekundungen und –bestätigungen – all das darf nun grundsätzlich nicht mehr per Post oder auf anderem vergleichbarem Wege, sondern nur noch elektronisch übermittelt werden.

Andere als elektronische Angebote und Teilnahmeanträge interessierter Bieter darf der Auftraggeber im Vergabeverfahren gar nicht erst berücksichtigen. Bei einer Zusendung per Post oder der persönlichen Abgabe des Angebots droht dann zwangsläufig der Ausschluss des jeweiligen Bieters vom Vergabeverfahren. Bestimmte Ausnahmen gelten nur noch in ganz wenigen Sonderfällen, so etwa im Bereich Verteidigung und Sicherheit.

Das Problem mit der Stichtagsregelung

Nicht gänzlich klar ist momentan die Situation bei europaweiten Vergabeverfahren, die bereits vor oder am Stichtag 18. Oktober 2018 bekannt gemacht wurden und erst nach diesem Stichtag beendet werden. Der Wortlaut der entsprechenden Übergangsvorschrift in § 81 Vergabeverordnung (VgV) ist nicht ganz geglückt und lässt Spielraum für verschiedene Deutungen. Entsprechend werden hier in der Literatur und in den Fachkreisen unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Es ist aber davon auszugehen, dass mit dem Begriff "verlangen" aus § 81 VgV zeitlich auf die Bekanntmachung abgestellt wird. Damit dürfte die Verpflichtung zur vollständigen elektronischen Abwicklung des europaweiten Vergabeverfahrens erst für alle nach dem Stichtag bekanntgegebenen Aufträge gelten.

Nationale Ausschreibungen: mehr Zeit bis zur Umstellung

Bei nationalen Ausschreibungen unterhalb der Schwellenwerte verbleibt öffentlichen Auftraggebern wie auch potentiellen Bietern hingegen noch etwas Zeit bis zur verpflichtenden Einführung der E-Vergabe. Die neue Unterschwellenvergabeordnung (UVgO), die nunmehr die bisher für Liefer- und Dienstleistungsaufträge geltende Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen – 1. Abschnitt (VOL/A) ersetzt, sieht ebenfalls eine schrittweise Umstellung auf die E-Vergabe vor.

Öffentliche Auftraggeber müssen eine elektronische Angebotsabgabe von Unternehmen ab dem 1. Januar 2019 zulassen, auch wenn sie eigentlich eine Abgabe der Angebote auf anderem Weg, insbesondere postalisch oder per Fax, vorgeben. Im Unterschwellenbereich ist erst dann ab dem 1. Januar 2020 eine Abgabe der Angebote und Teilnahmeanträge für Bieter ausschließlich elektronisch vorgesehen. Auch auf nationaler Ebene wird es dann nur ganz wenige Ausnahmen geben.

Schließlich gilt für Bauvergaben im Unterschwellenbereich eine Besonderheit: Hier wird dem öffentlichen Auftraggeber mit dem Stichtag 18. Oktober 2018 eine Wahlfreiheit eingeräumt. Er kann dann in der Bekanntmachung und den Vergabeunterlagen selbst festlegen, ob er schriftliche Angebote zulässt oder eben nicht.

E-Vergabe sinnvoll, aber mit gewissen Tücken

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die E-Vergabe sowohl für öffentliche Auftraggeber als auch für Bieter viele Vorteile mit sich bringt. Sie spart Papier, Zeit und Geld. Durch einheitliche, standardisierte Verfahren ist die elektronische Vergabe sowohl für öffentliche Auftraggeber als auch für Unternehmen effizienter und unbürokratischer. Begrüßenswert ist auch, dass der Gesetzgeber auf eine verpflichtende Verwendung der elektronischen Signatur verzichtet.

Gleichzeitig bringt die Digitalisierung des Vergabe aber auch einige Tücken mit sich: Die öffentliche Hand muss auf eine ordnungsgemäße Abwicklung der E-Vergabe achten, interessierte Unternehmen hingegen tragen das Risiko eines Ausschlusses bei Nichteinhaltung bestimmter Vorgaben – bereits eine Angebotsabgabe per E-Mail kann da schon fatal sein und zum Ausschluss führen. Die E-Vergabe wird somit sicherlich in Zukunft eine Vielzahl an rechtlichen Fragestellungen aufwerfen und so manchem Bieter oder Beschaffer den letzten Nerv rauben.

Der Autor Kristian Tomczak, LL.M. ist Rechtsanwalt bei Esch Bahner Lisch Rechtsanwälte und dort spezialisiert auf das Vergabe- und Beihilfenrecht. Er begleitet bereits eine Vielzahl elektronischer Verga-beverfahren.

Zitiervorschlag

Digitalisierung: Keine E-Vergabe, keine Chance . In: Legal Tribune Online, 19.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31615/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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