Am 7. Juni 2013 soll der Bundesrat dem E-Government-Gesetz zustimmen. Eine Beschwerde der Deutschen Post AG bei der EU-Kommission stellt dies nun in Frage: Hätte das Gesetz wegen der Einbeziehung des De-Mail-Gesetzes notifiziert werden müssen? Ja, meint Dirk Heckmann und schlägt vor, die Privilegierung der De-Mail aus dem Gesetzentwurf herauszunehmen, um das E-Government nicht zu gefährden.
E-Government. Das klingt wie E-Commerce, E-Business oder E-Learning, doch längst nicht so vertraut. Worüber Fachleute in den Behörden, einschlägige IT-Unternehmen und die relevanten Forschungseinrichtungen seit über zehn Jahren diskutieren, analysieren und projektieren, hat der Bürger nur rudimentäre Vorstellungen und jedenfalls die Erkenntnis, dass die elektronische Verwaltung derzeit (noch) keine wirkliche Bedeutung hat.
Unternehmen beklagen veraltete Verwaltungsstrukturen, die keineswegs zu den modernen Informations-, Kommunikations- und Transaktionsmöglichkeiten passen, die das Internet und passende Informationstechnologien längst bieten. Ob das alleine am Fehlen eines bundeseinheitlichen E-Government-Gesetzes liegt, mag dahinstehen. Ein solches wäre allenthalben förderlich für eine baldige Verwaltungsmodernisierung.
Und die steht eigentlich kurz vor dem Durchbruch, nachdem der Bundestag am 18. April 2013 das Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung beschlossen hat, dem der Bundesrat in seiner Sitzung am 7. Juni 2013 – dem Vernehmen nach – zustimmen will. Eigentlich. Denn das Ziel, E-Government auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen, ist in Gefahr. Und dies paradoxerweise ausgerechnet deshalb, weil nun ein E-Government-Gesetz beschlossen wurde. Besser gesagt: weil es mit einem bestimmten Inhalt beschlossen wurde. In den Gesetzentwurf wurde nämlich die umstrittene De-Mail aufgenommen.
Not(ifizierung)
Der Newsletter Nr. 603 des Behördenspiegel titelte am 8. Mai 2013: E-Government-Gesetz in der Not(ifizierung) und legte damit den Finger in die Wunde: Besteht europarechtlich die Pflicht, das Gesetze zur Förderung der elektronischen Verwaltung zu notifizieren, also die EU-Kommission vorab über das geplante Gesetz zu informieren? Bei einem Rechtsakt, der einen "Dienst der Informationsgesellschaft" betrifft ist dies der Fall.
De-Mail ist unumstritten ein solcher Dienst, zumal beim Erlass des De-Mail-Gesetzes im Jahr 2010 das Notifizierungsverfahren (ordnungsgemäß) durchgeführt wurde. Das vom Bundestag am 18. April 2013 beschlossene Gesetz, mit dem nicht nur ein E-Government-Gesetz erlassen, sondern zugleich das De-Mail-Gesetz geändert wird, wurde der EU-Kommission indessen nicht angezeigt.
Folge einer Notifizierung ist eine Stillhaltepflicht des Gesetzgebers. Innerhalb von drei Monaten nach Eingang der Anzeige darf das Gesetz nicht in Kraft treten. Folge einer unterlassenen Notifizierung ist die Unanwendbarkeit des Gesetzes und bestimmter Umsetzungsakte.
De-Mail als neuer Kommunikationsstandard für Behörden?
Streitig ist zwar nur die Notifizierung jener Teile des Gesetzespakets, die die De-Mail betreffen, doch teilt das gesamte Gesetz das Schicksal einzelner notifizierungspflichtiger Bestandteile. Bei seinem erstmaligen Erlass wurde das De-Mail-Gesetz ordnungsgemäß durch die Bundesregierung notifiziert. Die jetzt vorgenommene Änderung ist nach Ansicht des federführenden Bundesinnenministeriums nicht (erneut) notifizierungspflichtig, da die Änderungen nicht wesentlich seien. Gegenteiliger Ansicht ist unterdessen die Deutsche Post AG, die deswegen Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingelegt hat.
Die Post stützt sich dabei auf ein Rechtsgutachten der Kanzlei Redeker Sellner Dahs. Danach erhebt die Gesetzesänderung De-Mail (erstmals) zum Kommunikationsstandard der rechtsförmlichen elektronischen Kommunikation mit deutschen Behörden. Zugleich werde der Zugang anderer in- und ausländischer Anbieter von elektronischen Kommunikationsdienstleistungen (außerhalb des regulierten De-Mail-Konsortiums) zu diesem neuen Markt verhindert oder wesentlich erschwert. Das auf die De-Mail zugeschnittene Regulierungskonzept verletze auch die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nach EU-Recht.
2/2: Privilegierung der De-Mail verzerrt Wettbewerb
Diese Gründe sind durchaus gewichtig. Die Notifizierung ist ein scharfes Schwert, dass die Mitgliedstaaten zur Beachtung europarechtlicher Vorgaben zwingen soll. Vor diesem Hintergrund ist eine Anzeigepflicht eher zu bejahen als zu verneinen. Auch Änderungen und Ergänzungen von notifizierungspflichtigen Gesetzen müssen erneut angezeigt werden: zumindest solange sie nicht unbedeutend, also unwesentlich sind. Als Faustformel kann gelten: Unwesentlich sind redaktionelle, wesentlich sind konzeptionelle Gesetzesänderungen.
Danach spricht Vieles für eine Notifizierung des E-Government-Gesetzespakets, weil die damit verbundenen Änderungen des De-Mail-Gesetzes konzeptioneller Natur sind. In einer Gesamtbetrachtung von E-Government-Gesetz, De-Mail-Gesetz und Verwaltungsverfahrensgesetz erfolgt erstmals in Deutschland eine markterhebliche Regulierung von Diensten "elektronischer Post" in der rechtsverbindlichen Kommunikation mit Behörden.
Bislang war es im Wesentlichen die qualifizierte elektronische Signatur, mittels derer die Schriftform bei förmlichen Verwaltungsanträgen eingehalten werden konnte. Den Regulierungsrahmen hierzu steckte die Signaturrichtlinie ab. Für jeden Mailprovider gab es dadurch vergleichbare Anforderungen für die Bereitstellung entsprechender Dienste. Das ändert sich mit der E-Government-Konzeption im Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung.
Der Unterschied zum De-Mail-Gesetz in der bisherigen Fassung liegt darin, dass die De-Mail als Schriftformersatz erstmals anerkannt und gegenüber anderen sicheren Diensten wie dem E-Postbrief der Deutschen Post AG privilegiert wird. Dadurch wird nämlich nicht nur ein allgemeiner, akzeptabler technischer Kommunikationsstandard geschaffen, sondern ein Produkt kreiert, das nur jene Unternehmen einsetzen können, die sich dem Haftungsverbund des De-Mail-Konsortiums unterwerfen. Ein echter Wettbewerb unterschiedlicher, freilich vergleichbar sicherer Dienste findet nicht statt. Die Diskussion um die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, die es bei der De-Mail nicht gibt, während etwa der E-Postbrief hierfür spezielle Lösungen vorsieht, zeigt aber die Notwendigkeit eines echten Wettbewerbs.
Während akkreditierte De-Mail-Anbieter wie die Deutsche Telekom nun damit werben könnten, dass ihre Dienste für rechtsförmliche Verwaltungsverfahren gesetzlich anerkannt sind, bleibt der Deutschen Post AG nur die vage Hoffnung, künftig durch eine Rechtsverordnung in gleicher Weise privilegiert zu werden. Selbst dann hat die De-Mail aber als einzige direkt im Gesetz genannte Lösung einen Wettbewerbsvorsprung, zumal der Staat sogar direkt für sie wirbt. Auch ausländische Anbieter werden benachteiligt: Ohne Niederlassung und Akkreditierung in Deutschland werden ihre Dienste für Behördenkommunikation nur anerkannt, wenn in ihrem Heimatland ein der De-Mail "gleichwertiges" System geschaffen wird. Das gibt es derzeit aber nicht und ist bei einer solchen nationalen Insellösung auch unwahrscheinlich.
Ausweg aus dem De-Mail-Dilemma
Der Bundesrat hat nun eine besondere Verantwortung für das Gelingen von E-Government in Deutschland: Stimmt er dem Gesetz in seiner jetzigen Fassung zu, riskiert er dessen Unanwendbarkeit, wenn die Notifizierungspflicht tatsächlich besteht. Die Folge wäre ein Rückschritt in den Bemühungen um eine Modernisierung der Verwaltung. Kritiker in den Behörden hätten Anlass, angesichts der unklaren Rechtslage Prozesse zu verlangsamen oder gar zu stoppen. Zudem herrschte Rechtsunsicherheit bei jeder Anwendung der neuen Vorschriften, weil die Europarechtswidrigkeit in gerichtlichen Verfahren gegen Umsetzungsakte geltend gemacht werden kann.
Stimmt der Bundesrat dem Gesetz wiederum nicht zu, nimmt er zwar den europarechtlichen Gegenwind aus den Segeln, manifestiert damit zugleich aber auch die E-Government-Flaute.
Der Bundesrat könnte allerdings auch den Vermittlungsausschuss anrufen und als dringliche Änderung vorschlagen, den De-Mail-Komplex aus dem Gesetzentwurf herauszunehmen, was nebenbei der auch im Bundesrat bereits angemahnten Technikneutralität Rechnung tragen würde. Genau diese Privilegien werfen auch europarechtliche Bedenken in Bezug auf die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit auf, die ganz unabhängig von der Notifizierungsfrage die Rechtskonformität des Reformwerks in Frage stellen, und zwar unnötig. Danach bliebe eine sehr beachtliche und unbedingt zu unterstützende Reform, die die Grundlage für eine bundesweite elektronische Verwaltung schaffen würde.
Bund, Ländern und Kommunen würde ermöglicht, einfachere, nutzerfreundlichere und effizientere elektronische Verwaltungsdienste anzubieten sowie medienbruchfreie Prozesse vom Antrag bis zur Archivierung durchzuführen. Die Regelungen zum elektronischen Zugang zur Verwaltung, zur elektronischen Aktenführung und -einsicht, zum E-Payment oder Open Data würden die öffentliche Verwaltung dahin führen, wo E-Commerce, E-Business oder E-Learning Bürger und Unternehmen längst hingebracht haben: ins 21. Jahrhundert.
Der Autor Prof. Dr. Dirk Heckmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht sowie Leiter der Forschungsstelle für IT-Recht und Netzpolitik an der Universität Passau. Außerdem ist er sachverständiges Mitglied des Nationalen IT-Gipfels der Bundesregierung und des CSU Netzrates.
Dirk Heckmann, E-Government-Gesetz und De-Mail: Eine europarechtlich brisante Mischung . In: Legal Tribune Online, 15.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8735/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag