Drittes Opferrechtsreformgesetz: Gerät der Straf­pro­zess in eine Schief­lage?

von Prof. Dr. Robert Esser

14.12.2015

Die geplanten Änderungen stellen Opfer von Straftaten weiter in den Fokus. Dabei darf man jedoch den Ausgleich zwischen Zeugen- und Beschuldigtenrechten, Wahrheitsfindung und Rechtsstaatlichkeit nicht vernachlässigen, mahnt Robert Esser.

Der Deutsche Bundestag hat am 3. Dezember 2015 ein 3. Opferrechtsreformgesetz (OpferRRG) beschlossen (BR-Dr 591/15), das aufgrund des parteiübergreifenden Konsenses auch den Bundesrat am Freitag ohne Aufsehen passieren dürfte. Die geplanten Änderungen der Strafprozessordnung (StPO) sollen unter anderem die Informations- und Mitwirkungsrechte der Opfer einer Straftat sowohl im Ermittlungsverfahren als auch in der gerichtlichen Hauptverhandlung stärken und ihnen psychosoziale Hilfe gewähren.

Den Anstoß für die im April 2015 durch die Bundesregierung gestartete Gesetzesinitiative (BT-Drs. 18/4621) gab in erster Linie die sog. Opferschutzrichtlinie der Europäischen Union (2012/29/EU), die  eigentlich schon bis zum 16. November 2015 hätte umgesetzt werden müssen.

Es ist zu begrüßen, dass sich die Europäische Union neben der sektoralen Harmonisierung von Beschuldigtenrechten nun seit ein paar Jahren auch der Harmonisierung von Opferrechten widmet. Es fehlt allerdings noch eine neue Richtlinie zum ebenso kosten- wie streitträchtigsten Aspekt, der Opferentschädigung.

Interessensausgleich im Strafverfahren – eine schwierige Angelegenheit

Mit ihren Vorstellungen für ein 3. OpferRRG fügt die Regierung sich nahtlos ein in die Reihe der kaum mehr überschaubaren Gesetzesinitiativen zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren seit Mitte der 1970er Jahre. Damit wurden über Jahrzehnte aufgelaufene Defizite in diesem Bereich ausgeglichen, bisweilen sogar überkompensiert. Dass Verletzte Akteneinsichtsgesuche stellen, mit anwaltlichem Beistand als Nebenkläger auftreten oder finanzielle Ansprüche in Adhäsionsverfahren geltend machen, gehört heute zum Alltag vor deutschen Strafgerichten.

Ins Bewusstsein gerufen sei an dieser Stelle: Ein "Opfer" im Strafverfahren ist ein mutmaßliches Opfer, solange die Unschuldsvermutung für den mutmaßlichen "Täter", den zu diesem Zeitpunkt eben nur Angeklagten, streitet. Genau die mit diesem Verfahrensstatus der Beteiligten verbundenen Unsicherheiten machen es nicht nur dem Gesetzgeber, sondern auch und vor allem den Gerichten häufig schwer, die durch das Verfahren aufgeworfenen, höchst unterschiedlichen Interessen der Beteiligten zu einem gerechten Ausgleich zu bringen.

Während ein Strafverfahren für den Beschuldigten meist mit einer existenzbedrohenden Wirkung verbunden ist, geht es dem Opfer um Genugtuung, oder eine Form der ideellen Wiedergutmachung – und manchmal auch um einen finanziellen Ausgleich für die Verletzung seines Persönlichkeitsrechtes, seiner Gesundheit oder seiner Ehre.

Wer seine Rechte kennt, gebraucht sie auch

Da die derzeitige Rechtslage in Deutschland in vielen Punkten bereits den umzusetzenden internationalen Rahmenbedingungen entspricht, besteht in der StPO lediglich punktueller Anpassungsbedarf.

Künftig sind die einen Opferzeugen betreffenden Verhandlungen, Vernehmungen und sonstigen Untersuchungshandlungen stets unter Berücksichtigung seiner besonderen Schutzbedürftigkeit durchzuführen, § 48 Abs. 3 S. 1 im Entwurf der StPO (StPO-E). Das wird zwar auch jetzt schon praktiziert, ist nun aber verbindliche gesetzliche Leitlinie und wird die in anderen Normen der StPO angelegten Beurteilungsspielräume prägen. Zu prüfen ist dabei insbesondere, ob eine Vernehmung des Zeugen in Abwesenheit etwa des Angeklagten, § 168e StPO, bzw. eine audiovisuelle Vernehmung, § 247a StPO, oder ein Ausschluss der Öffentlichkeit von der Teilnahme an der Hauptverhandlung, § 171b Abs. 1 GVG, geboten sind, und inwieweit auf Fragen zum persönlichen Lebensbereich des Zeugen verzichtet werden kann, § 48 Abs. 3 S. 2 StPO-E.

Außerdem werden die Informations- und Unterrichtungspflichten der Strafverfolgungsbehörden gegenüber Opfern ausgeweitet. Künftig soll der Verletzte auf Antrag eine schriftliche Bestätigung des Eingangs seiner Strafanzeige erhalten, § 158 Abs. 1 StPO-E. Zudem werden die Informationsrechte des Verletzten aus § 406d StPO zum Stand des Verfahrens partiell erweitert. Diverse Hinweispflichten werden in §§ 406i bis 406k StPO-E neu strukturiert, wobei offen bleibt, wer den Verletzten "möglichst frühzeitig" über die dort genannten Rechte informieren soll. Schließlich wir ein Anspruch des Opfers auf bestimmte Dolmetscher- und Übersetzungsleistungen festgeschrieben.

Diese Änderungen werden, wie schon z.B. die Opferrechtsreformen von 1986, 2004 und 2009, den Ablauf vieler Strafverfahren und damit auch die Arbeitsbelastung der Strafjustiz in qualitativer und quantitativer Hinsicht nachhaltig beeinflussen. Denn wer seine Rechte kennt, wird tendenziell auch verstärkt von ihnen Gebrauch machen.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Robert Esser, Drittes Opferrechtsreformgesetz: Gerät der Strafprozess in eine Schieflage? . In: Legal Tribune Online, 14.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17846/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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