Zu wenige juristische Dolmetscher: "Nai­vität der Behörden ist bodenlos"

02.05.2017

Auf fachlich korrektes Dolmetschen sind viele angewiesen, so etwa Behörden, Gerichte, Angeklagte, Verdächtige und Asylbewerber. Oft übernehmen aber unqualifizierte Laien den Job - mit gravierenden Folgen, warnen Kritiker.

Er sitzt den Angeklagten mit Headset gegenüber, sein Blick fixiert hochkonzentriert das Gericht: Während Friday Agbonlahor simultan dolmetscht, was die Richterin aus Überwachungsprotokollen verliest, bittet er nur einmal: "Nicht so schnell." Dolmetschen an Gerichten ist ein Höchstleistungsjob - denn während Konferenzdolmetscher sich alle 20 Minuten abwechseln, sind Gerichtsdolmetscher im Dauereinsatz, nur unterbrochen von den Verhandlungspausen.

Agbonlahor ist einer von rund 20.000 Dolmetschern und Übersetzern - letztere sind für schriftliche Sprachübertragung zuständig -, die Justizverwaltungen in ihren Datenbanken erfasst haben. Der gebürtige Nigerianer zieht in Kiel nicht nur wegen seiner extravaganten Erscheinung mit Goldketten und Rastalocken Aufmerksamkeit auf sich. Richter und Strafverteidiger sind über seine Arbeit des Lobes voll: "Er macht einen Super-Job!", heißt es. Und: "Als Verteidiger kann man sich glücklich schätzen, wenn man so einen guten Dolmetscher hat." Denn immer wieder komme es vor, dass unqualifizierte Dolmetscher korrigiert und sogar ausgewechselt werden müssten.

Falsche Übersetzung kann Verfahren entscheiden

In Verfahren gegen nicht oder kaum deutschsprechende Menschen sind Behörden und Gerichte auf gut ausgebildete und vereidigte Dolmetscher angewiesen. "Ein falsch übersetztes oder gedolmetschtes Wort kann über den Ausgang von Verfahren entscheiden", sagt Daniela Krückel von der Arbeitsstelle für wissenschaftliche Weiterbildung der Uni Hamburg. "Gerade bei Gerichten müssen deshalb sehr gut geschulte Dolmetscher und Übersetzer zum Einsatz kommen." Werde ein Fehler zu spät bemerkt, könne das dazu führen, dass ein Verfahren neu aufgerollt werde.

Die von Krückel koordinierte Weiterbildung "Dolmetschen und Übersetzen an Gerichten und Behörden" ist neben einem Angebot der Hochschule Magdeburg-Stendal bundesweit einmalig. Derart qualifizierte Dolmetscher fehlten selbst in gängigen Sprachen wie etwa Niederländisch oder brasilianischem Portugiesisch, so die Wissenschaftlerin. Erst recht bestehe Bedarf für Menschen aus afrikanischen Ländern wie Nigeria, Senegal und Kamerun, wo es jeweils etwa 200 bis 250 Sprachen und noch einmal so viel Dialekte gebe.

Gerichtsdeutsch auch für Muttersprachler große Hürde

Agbonlahor ist außerdem Rundfunkjournalist und Buchautor. Schon für Muttersprachler könne Gerichtsdeutsch eine große Hürde sein, sagt er. Erst recht gelte das für Menschen, die aus einem anderen Rechtssystem kämen und deren Heimatsprache nur einen kleinen Wortschatz und keine Schriftsprache habe. Deshalb übersetze er Fachbegriffe sinngemäß. Nur mit viel Erfahrung und der nötigen Bildung komme man dann klar, meint er. So sei etwa Pidgin-Englisch voller Besonderheiten. "I don come" heiße nicht etwa "Ich komme nicht", sondern "Ich bin schon da".

Wie wichtig die korrekte Sprachübertragung vor Gericht ist, betont auch Richterin Kathrin Seidel vom Landgericht Kiel. Es dürfe nicht sein, dass ein Angeklagter minutenlang spreche und der Dolmetscher übersetze lediglich "Er kann sich nicht erinnern". Dolmetscher müssten auch Nuancen übersetzen, dürften nichts hinzufügen und nichts weglassen, betont die Richterin.

Die Sprachmittler müssten außerdem in der Lage sein, kulturelle Besonderheiten korrekt zu erklären, sagt Seidel. Bei der Auswahl würden die Qualifikationen überprüft. Dennoch komme es vor, dass man auf nicht vereidigte Dolmetscher zurückgreifen müsse.

BAMF beschäftigt unqualifizierte Übersetzer

Fachleuten erscheint dies besonders kritisch, wenn es dabei um Besetzungen von Dolmetscher-Jobs bei der Polizei und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geht. Der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) warnt davor, nicht ausreichend qualifizierte Dolmetscher einzusetzen, um vermeintlich Kosten einzusparen. Zu den hohen Berufsanforderungen professioneller juristischer Dolmetscher gehörten Loyalität, Neutralität, Vertraulichkeit und Unbestechlichkeit, unterstreicht BDÜ-Vizepräsidentin Thurid Chapman.

Beim BAMF sind nach Schätzungen des BDÜ derzeit bundesweit fast 8.000 Dolmetscher engagiert. Aus Mangel an professionellen Dolmetschern für viele Sprachen seien die meisten davon Laien und ungenügend qualifiziert. Dies könne Fehlern oder Missbrauch Tür und Tor öffnen. Es sei vor allem aus Sicherheitsgründen wichtig, dass die bei Behörden eingesetzten Dolmetscher eine Mindestqualifikation nachweisen und ethische Grundstandards einhalten müssten.

So sieht es auch Christiane-Jaqueline Driesen, Initiatorin der Hamburger Dolmetscher-Weiterbildung. Sie fordert eine systematische Qualifizierung für Dolmetscher und Übersetzer auch beim BAMF. Darauf zu vertrauen, dass ein Kandidat die Sprache "schon kenne", reiche bei weitem nicht: "Die Naivität der Behörden in dieser Hinsicht ist bodenlos."

dpa/acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Zu wenige juristische Dolmetscher: "Naivität der Behörden ist bodenlos" . In: Legal Tribune Online, 02.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22802/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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