BGH-Präsident Tolksdorf hat nicht in die richterliche Unabhängigkeit seiner Kollegen Fischer und Eschelbach eingegriffen. Das entschied am Donnerstag das Dienstgericht des Bundes. Die Einsichtnahme in dienstliche Stellungnahmen, gegen die sich die Strafrichter gewehrt hatten, sei keine Maßnahme der Dienstaufsicht gewesen. Beendet ist der Streit um den Vorsitz des 2. Strafsenats damit noch nicht.
Es ist ein Sieg für Klaus Tolksdorf, den Präsidenten des Bundesgerichtshofs (BGH), während der StGB-Kommentator Thomas Fischer* schon in der Verhandlung die Chancenlosigkeit seines Antrags erkannte. Fischer und Ralf Eschelbach hatten vor dem Dienstgericht des Bundes, auch Richterdienstgericht genannt, gerügt, dass Tolksdorf in ihre richterliche Unabhängigkeit eingegriffen hatte. Im Ergebnis wies das Gericht die Anträge nun ab. Die Entscheidung ist rechtskräftig und könnte allenfalls mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen werden. Die Strafrichter machen jedoch nicht den Eindruck, als hätten sie dies vor.
Begonnen hatte der Rechtsstreits mit einem Konflikt um die Besetzung des Vorsitzes des 2. Strafsenats. Im Januar 2011 ging die bisherige Vorsitzende Ruth Rissing-van Saan in den Ruhestand. Tolksdorf schlug als ihren Nachfolger nicht den bisherigen stellvertretenden Vorsitzenden Fischer vor, sondern einen anderen Richter. Zuvor hatte Tolksdorf die dienstliche Beurteilung Fischers mit Blick auf dessen vermeintlich problematische soziale Kompetenz verschlechtert. Gegen diese Beurteilung und auch eine spätere Beurteilung klagte Fischer mit Erfolg und verhinderte seither eine Neubesetzung des Vorsitzes.
Umstrittener Doppelvorsitz
Anfangs übernahm Stellvertreter Fischer kommissarisch selbst den Vorsitz. Ende 2011 bestimmte das BGH-Präsidium jedoch Andreas Ernemann zum neuen Senatsvorsitzenden. Dieser war nun zugleich Vorsitzender des 2. und 4. Strafsenats.
Drei Richter des achtköpfigen 2. Strafsenats hielten diesen Doppelvorsitz für unzulässig, weil der Vorsitzende mit der Führung von zwei Strafsenaten überfordert sei. In einer von drei Sitzgruppen des 2. Strafsenats hatten die Dissidenten um Fischer sogar eine Mehrheit und beschlossen am 11. Januar 2012, dass der Senat nicht ordnungsgemäß besetzt sei. Ein anhängiges Strafverfahren setzten sie aus.
Der Senatsvorsitzende Ernemann bat die Richter anschließend, angeblich "im Namen des BGH-Präsidenten", den Beschluss noch nicht zu unterschreiben und in den Geschäftsgang zu geben. Man möge vielmehr warten, bis sich das BGH-Präsidium mit der neuen Lage befasst habe. Am 18. Januar 2012 beschloss das Präsidium jedoch einstimmig, dass es an der Geschäftsverteilung und damit auch am Doppelvorsitz Ernemanns festhalte. Kurz darauf wurden drei Mitglieder des 2. Senats, nicht nur die Dissidenten, zum Gespräch gebeten, wie es nun weitergehen soll.
Der Konflikt löste sich zunächst, als kurze Zeit später einer der Dissidenten-Richter seine Rechtsauffassung zurückstellte, um einen Stillstand der Rechtsprechung zu verhindern. Dies führte aber zu Befangenheitsanträgen gegen die vermeintlich leicht beeinflussbaren Richter. Im Rahmen des Befangenheits-Verfahrens gaben die Richter des 2. Strafsenats dienstliche Erklärungen ab, die BGH-Präsident Tolksdorf im April anforderte und las.
Anm. der Redaktion: Hier stand zunächst "Kommentator des Tröndle/Fischer". Der StGB-Kommentar wird aber nicht mehr von Herbert Tröndle bearbeitet.
Drei Rügen vor dem Dienstgericht
Im Einzelnen rügte Eschelbach vor dem Spezialsenat des BGH nun, Tolksdorf habe in seine richterliche Unabhängigkeit eingegriffen, als er ihn aufforderte, eine Entscheidung nicht zu unterzeichnen und bekanntzumachen, damit das Präsidium zunächst darüber beraten könne. Einen Eingriff sah er auch darin, dass dieses ihn zu einer Diskussion lud und befragte sowie schließlich darin, dass Tolksdorf Einsicht in dienstliche Erklärungen genommen habe.* Fischer rügte nur den letzten Punkt, unterstützte Eschelbach ansonsten aber argumentativ.
Die BGH-Richter erschienen ohne Anwälte und trugen ihre Anliegen selbst vor. Beklagte in dem Verfahren war nicht Tolksdorf selbst, sondern die Bundesrepublik Deutschland. Zu einem Duell der tatsächlichen Konkurrenten kam es nicht, da der BGH-Präsident nicht an der Verhandlung teilnahm.
Alfred Bergmann, der Vorsitzende des Dienstgerichts, stellte gleich klar, dass sein Gericht nur eine beschränkte Prüfungskompetenz habe. Es könne weder feststellen, ob der Doppelvorsitz rechtmäßig war noch ob die Richter des 2. Senats an die Entscheidungen des Präsidiums gebunden waren. Das Dienstgericht könne nur prüfen, ob die gerügten Maßnahmen als Dienstaufsicht unzulässig in die richterliche Unabhängigkeit von Eschelbach und Fischer eingegriffen hätten.
Am Ende wurden alle drei Anträge zurückgewiesen, da die gerügten Vorgänge allesamt "keine Maßnahmen der Dienstaufsicht" gewesen seien. Denn dazu gehörten nach ständiger Rechtsprechung nur Maßnahmen, die sich kritisch mit dem Verhalten von Richtern auseinandersetzen oder die sich auf das Verhalten von Richtern in der Zukunft auswirken können (Urt. v. 14.02.2013, Az. RiZ 3/12 und 4/12).
Keine Weisung von Tolksdorf
So sah das Dienstgericht in der Aufforderung, den Aussetzungsbeschluss zunächst nicht bekanntzumachen, keine dienstaufsichtliche Maßnahme, weil sie "nicht den Gehalt einer Weisung" gehabt habe, so Richter Bergmann. Auch die Anhörung der drei Richter durch das Präsidium sah das Dienstgericht nicht als Maßnahme der Dienstaufsicht, schließlich sei das Präsidium "kein dienstaufsichtsführendes Organ".
In der Verhandlung hatte Eschelbach gerügt, die drei Richter seien "ins Gebet genommen" worden. Es sei nur darum gegangen, auf ihre Rechtsauffassung Einfluss zu nehmen, denn die Präsidiums-Entscheidung zur Beibehaltung des Doppelvorsitzes sei zu diesem Zeitpunkt bereits getroffen worden. Der Dialog sei wenig ergebnisoffen gewesen. "Über uns hing als Damoklesschwert die Möglichkeit, dass der 2. Strafsenat zerschlagen wird", sagte Eschelbach. Fischer räumte zwar ein, dass das Präsidium keine Dienstaufsicht betreibe, allerdings sei der BGH-Präsident der Dienstvorgesetzte und bleibe das auch, wenn er im Präsidium noch "zehn Freunde" dabei habe.
Agierte Tolksdorf wie ein Gutsherr?
Am intensivsten wurde in der Verhandlung über die Einsichtnahme Tolksdorfs in die dienstlichen Erklärungen diskutiert. Tolksdorf hätte die Richter vorher um ihre Zustimmung bitten müssen und hätte diese nicht erhalten, betonte Fischer. Er könne nicht "wie es ihm beliebt" auf Akten zugreifen, er habe sich wie ein "Gutsherr" verhalten. Damit habe er in das Beratungsgeheimnis eingegriffen und "alles" über Fischers Rechtsauffassung erfahren. Diese Maßnahme habe nicht nur dazu gedient, seine "psychische Stabilität und sein Selbstwertgefühl" zu beeinträchtigen, sondern auch seine Rechtsauffassung zu beeinflussen. Man müsse den Vorgang vor dem Hintergrund sehen, dass die Dissidenten im BGH "als Dienstverweigerer" dargestellt und entsprechend isoliert worden seien.
Die Bundesregierung wies die Vorwürfe zurück. Tolksdorf habe "nie die Absicht gehabt, Einfluss auf die Rechtsprechung zu nehmen", betonte ihr Anwalt Christian Bracher. Der Präsident habe die Erklärungen nur gelesen, um Fragen der Presse und aus dem Präsidium vorbereitet zu sein.
Dienstgerichts-Vorsitzender Bergmann erklärte in der Verhandlung, dass Bundesrichter im Streit um unterschiedliche Rechtsauffassungen auch gewissen Druck aushalten können müssten. Im Ergebnis entschied das Gericht, dass auch der Zugriff auf die dienstlichen Erklärungen keine Maßnahme der Dienstaufsicht war.
Die Blockade bleibt
Inzwischen entschied im Juni 2012 das Bundesverfassungsgericht, dass der Doppelvorsitz Ernemanns nicht gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter verstoßen hatte. Derzeit leitet Jörg Peter Becker den 2. Strafsenat, der vormalige Vorsitzende des 3. Strafsenats. Dort hat übergangsweise BGH-Präsident Klaus Tolksdorf selbst den Vorsitz übernommen. Den 4. Strafsenat führt derzeit kommissarisch Norbert Mutzbauer, der stellvertretende Senatsvorsitzende. Neue Probleme werden entstehen, wenn Ende April 2013 der Vorsitzende des 1. Strafsenats Armin Nack in den Ruhestand tritt.
Thomas Fischer hält seine Bewerbung um den Vorsitz des 2. Strafsenats aufrecht und hat sich zusätzlich für den Vorsitz am 4. Strafsenat beworben. Beide Besetzungs-Entscheidungen sind derzeit aber durch einstweilige Anordnungen des Karlsruher Verwaltungsgerichts blockiert.
Während das Bundesjustizministerium den ersten Eilbeschluss rechtskräftig werden ließ, hat es gegen die zweite Anordnung Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim eingelegt, über die in den nächsten Monaten entschieden wird. Bis dahin will das VG Karlsruhe mit den Hauptsacheverfahren warten. Es kann also noch lange dauern, bis das Justizministerium neue Senatsvorsitzende ernennen kann.
*Anm. der Redaktion: Der Satz wurde zur Klarstellung geringfügig grammatikalisch geändert.
Christian Rath, BGH-Richterstreit vor dem Dienstgericht: Niederlage für Thomas Fischer . In: Legal Tribune Online, 15.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8157/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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