Deutscher Anwaltstag 2014: Anwälte fürchten Vertrauensverlust nach NSA-Affäre

Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Ewer

26.06.2014

Was bedeuten die Spähangriffe der Geheimdienste für Anwälte und ihre Mandanten? Das ist eine der zentralen Fragen, über die der 65. DAT in Stuttgart ab Donnerstag diskutieren will. Warum das Motto "Freiheit gestalten" lautet und was geplante Schließungen von Amtsgerichten bedeuten können, erklärt der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Wolfgang Ewer.

Warum widmet sich der Anwaltstag nach 2008 wieder dem Thema Freiheit?

Ewer: Die NSA-Affäre auf der staatlichen Seite und die kaum regulierte Datensammlung von IT-Konzernen auf der privaten Seite zeigen, dass die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit nie dauerhaft auf einem bestimmten Niveau fixiert ist. Was die technischen Möglichkeiten der Ausforschung und der Datenhunger der Firmen für Anwälte und Mandanten bedeuten, wollen wir von verschiedenen Seiten beleuchten.

Inwiefern sind Anwälte betroffen?

Ewer: Anwälte sind als Bürger und als Mandatsträger betroffen. Das Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant ist vertraulich und unterliegt der Verschwiegenheitspflicht. Diese Verschwiegenheitspflicht sehen wir bedroht. Zwar hat kein Anwalt einen konkreten Hinweis darauf, von der NSA ausgeforscht worden zu sein.

Aber...?

Ewer: Der Anwalt ist Teil der Rechtspflege. Bürger sollen sich ihm ohne Angst anvertrauen können. Nur dann ist gewährleistet, dass Konflikte mit den Mitteln der Justiz und nicht im Wege des Faustrechts bewältigt werden können. Für die angstlose Kommunikation ist wiederum wichtig, dass nicht nur das mündliche Gespräch zwischen Anwalt und Mandant abhörsicher ist, sondern auch der Austausch über E-Mail.

Was folgt für Sie daraus?

Ewer: Die grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates sind leider nicht hinreichend gesetzlich konkretisiert, um die Bevölkerung effektiv schützen zu können. Wir brauchen konkretisierte gesetzliche Regelungen, unter welchen Voraussetzungen und zu welchem Zweck deutsche Dienststellen Informationen entgegennehmen und verwerten dürfen, die von ausländischen Diensten erhoben wurden. Und vor allem: Es müssen klare völkervertragliche Vereinbarungen geschaffen werden, die dem massenhaften Abschöpfen von Daten deutscher Bürgerinnen und Bürger durch ausländische Geheimdienste klare Grenzen ziehen.

"Amtsgerichte müssen nah am Bürger sein"

Ein weiteres zentrales Thema des Anwaltstages ist der Mauerfall vor 25 Jahren. Der Mauerfall: Ein Grund für Anwälte zum Feiern?

Ewer: Sicher! Seit dem Mauerfall haben wir in ganz Deutschland eine unabhängige Justiz und Anwaltschaft. Die Feierlaune ist aber nicht ungetrübt. Sorgen machen uns Überlegungen im strukturschwachen, ländlichen Raum wie etwa in Mecklenburg-Vorpommern, Amtsgerichte zu schließen. Abgesehen von rechtlichen Bedenken glauben wir, dass die Justiz sich damit einen Bärendienst erweist.

Warum?

Ewer: Die Justiz könnte mit mehr unsinnigen, weil völlig aussichtslosen Rechtsmitteln wie etwa einer Berufung belastet werden. Denn Amtsgerichte müssen nah an den Bürgern sein. Ist der Weg zum nächsten Amtsgericht zu weit, könnten mehr und mehr Kläger oder Beklagte in den betroffenen Gebieten auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ihres Prozesses verzichten.

Welche Folgen hätte das?

Ewer: Wer nicht angehört wurde, der neigt unserer Erfahrung nach bei einer juristischen Niederlage eher dazu, unsinnige Rechtsmittel einzulegen: Denn er fühlt sich nicht verstanden. Diese Rechtsmittel aber rauben der Justiz Arbeitskraft, die für andere Dinge dringend gebraucht würde. Es geht aber nicht nur um Prozesse. Eine bürgernahe Justiz ist beispielsweise schon für die Beantragung eines Erbscheins notwendig. Betroffen von Schließungen wären letztendlich also alle Bürger.

Prof. Dr. Wolfgang Ewer ist seit 2009 Vorsitzender des Deutschen Anwaltvereins. Der Kieler Jurist ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Im Schwerpunkt befasst er sich unter anderem mit Öffentlichem Baurecht und Umweltrecht, aber auch mit Europa-und Verfassungsrecht. Er ist Honorarprofessor an der juristischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität in Kiel.

dpa/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Wolfgang Ewer, Deutscher Anwaltstag 2014: Anwälte fürchten Vertrauensverlust nach NSA-Affäre . In: Legal Tribune Online, 26.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12353/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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