Moderne Autos erfassen zahlreiche Informationen über ihre Fahrer und andere Verkehrsteilnehmer. Warum das nach aktuellen Gerichtsurteilen für den Datenschutz und –handel brisant wird, erklären Rolf Schwartmann und Sascha Kremer.
Zuerst entschied der Bundesgerichtshof (BGH): Porsche-Tuner sind nicht nur mit Fahrzeugen und Ersatzteilen zu beliefern. Ihnen ist auch Zugang zum Diagnose- und Informationssystem des Herstellers sowie der zugehörigen Software zu gewähren (Urteil v. 6.10.2015 – Az. KZR 87/13). Nichtbelieferung und Nichtzugang durch den Hersteller seien eine unbillige Behinderung des vom Hersteller abhängigen Kfz-Tuners nach § 19 Abs. 1 Abs. 2 Nr. 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, wenn der Tuner sich wegen der Nachfrage seiner Kunden auf die Veredelung hochpreisiger Fahrzeuge eines bestimmten Herstellers spezialisiert habe und ein Ausweichen auf andere Pkw-Hersteller deshalb nicht in Betracht komme.
Dann hat das LG Frankfurt/Main die Rechtsprechung des BGH fortgeführt (Urt. v. 21.01.2016, Az. 2-03 O 505/13). In einem Rechtsstreit zwischen dem Großhandel für Kfz-Teile und KIA hat das Gericht dem Autohersteller aufgegeben, elektronisch - und gegebenenfalls gegen ein angemessenes und verhältnismäßiges Entgelt - Zugang zur Datenbank mit Informationen zur Identifizierung bestimmter Fahrzeugteile zu gewähren und die Datenbank regelmäßig zu aktualisieren. KIA sei durch Art. 6 der Euro5/Euro6-Verordnung (EG 715/2007) zur Bereitstellung dieser Daten verpflichtet, die Verweigerung des Zugangs begründe einen nach § 3a Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) einen wettbewerbswidrigen Vorsprung durch Technik, gegen den sich der Großhandel zur Wehr setzen könne.
Problem: Monopolisierbarkeit von Daten
Grundlage der Verfahren gegen Porsche und KIA ist dieselbe Ausgangsfrage: Sind Inhaber von Daten berechtigt, diese für eigene Zwecke gegen die Interessen Dritter und des Marktes zu monopolisieren? Das Auto mit seiner Komplexität, massenhaften Verbreitung und Stellung als existenzsicherndes Transportmittel für Verbraucher und Unternehmen ist wie gemacht für Auseinandersetzungen über die Datenhoheit und eine Reihe sonstiger Datenschutzprobleme. Mit dem Wandel zum mit Insassen und Umgebung kommunizierenden "Smartcar" und dem Einstieg von Apple und Google in den Datenmarkt der Automobilbranche wird die Frage noch bedeutsamer. Das gläserne Auto ist nichts anderes als eine der ersten Echtanwendungen des "Internets der Dinge", die das Recht vor fundamentale Herausforderungen stellt.
Nun spricht das Urheberrecht Werken und werknahen Immaterialgütern Eigentumsschutz zu. Eigentum an Daten kennt unser Recht derzeit aber nicht. Obwohl der Vermögenswert von Daten unbestritten ist, gibt es für diesen "Rohstoff der Zukunft" kein ausdifferenziertes Verwertungsregime. Es gibt nach aktuellem Recht Eigentum am Datenträger, auf dem Daten verkörpert sind, es gibt ein Unternehmensrecht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, in das beim Vorenthalten von Daten eingegriffen werden kann, aber es gibt kein Eigentum an Daten als immateriellem Etwas.
Daten werden erst zum Schutzgut, wenn Sie im Sinne des § 3 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) personenbeziehbar sind. "Meine Daten gehören mir" – nichts anderes hat das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz (GG) postuliert (Urt. v. 15.12.1983, Az. 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83). Schranken werden dieser Monopolisierung personenbezogener Daten zugunsten des Betroffenen nur durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang gesetzt, denen der Gesetzgeber über gesetzliche Erlaubnistatbestände im BDSG und spezielleren Gesetzen Vorrang vor dem Datenschutz verschafft hat. Dies aber immer unter Beachtung des Persönlichkeitsrechts, wie etwa bei der Gewährung von Betroffenenrechten in §§ 33 ff. BDSG geschehen.
2/2: Personen- und Maschinendaten werden vermischt
Daten werden aber auch dann zum Schutzgut, wenn unternehmerische Interessen deren Monopolisierung rechtfertigen. Eine solche Schutzfähigkeit kann sich aus der Notwendigkeit zur Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen über § 17 UWG ergeben, aber auch aus den vom Unternehmen getätigten Investitionen wie beim Datenbankschutz über § 87a Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) oder dem im Unternehmen entstandenen, sonst als Patent, Gebrauchsmuster oder Urheberrecht schutzfähigen Intellectual Property (IP).
Nun zeigen die Urteile von BGH und LG Frankfurt/Main, dass Daten trotz Monopolisierung Handelsware sein und umlauffähig bleiben müssen. Anderenfalls wird der freie Wettbewerb zum Nachteil des Gemeinwohls beeinträchtigt. Das Datenschutzrecht bildet den Handel mit personenbezogenen Daten nicht ab, obwohl dies längst gelebte Praxis ist: Vermeintlich kostenfreie Dienste wie Facebook und Googlemail werden von den Nutzern mit personenbezogenen Daten bezahlt, ebenso der Fünf-Euro-Gutschein für die Newsletter-Anmeldung im Onlineshop.
Diese Trennung funktioniert, solange Sach- und Maschinendaten als eine wesentliche Untergruppe sauber von personenbezogenen Daten abgrenzbar sind. Die zunehmende Digitalisierung und Durchdringung des Alltags mit Technik wie Wearables, miteinander kommunizierenden Alltagsgegenständen und eben dem "Connected Car" verwischen die vor zwei Jahrzehnten noch sauber getrennten Datenwelten zusehends. Maschinendaten sind wegen der möglichen Zuordnung zum Nutzer meist personenbeziehbar, ob gewollt oder nicht. Beim Auto genügt hierfür eine Seriennummer oder ein Kennzeichen, über die eine Verbindung von Gegenstand zum Halter, Fahrer oder Nutzer hergestellt werden kann.
Lösungsvorschlag: Selbstbestimmter Handel mit eigenen Daten
Eine mögliche Lösung dieses Konflikts könnte es sein, Betroffenen zukünftig die weltweite Lizenzierung ihrer personenbezogenen Daten an Dritte zu ermöglichen und damit deren Handelbarkeit nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich herbeizuführen. Hier kommt es auf geeignete und praktisch taugliche Schranken an. Der staatliche Schutzauftrag aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 3 GG und Art. 8 EU-Grundrechtecharta ist mit dem Recht des Bürgers abzuwägen, selbstbestimmt auch über das wirtschaftliche Schicksal der Informationen zu verfügen, die er als Nutzer von Onlinediensten "produziert", sei es im Fahrzeug oder sonst in der digitalisierten Welt.
Das geltende deutsche Datenschutzrecht und auch die kommende europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO-E) bilden die Fragen nach dem wirtschaftlichen Wert von Daten nicht ab, obwohl sie sich gerade für Daten aus Fahrzeugen drängend stellen. Das geplante neue europäische Kaufrecht macht das aber. Der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte vom 9.12.2015 (2015/0287 (COD)) soll gemäß deren Art. 3 für Verträge gelten, bei denen "der Verbraucher als Gegenleistung einen Preis zahlt oder eine andere Gegenleistung als Geld in Form personenbezogener oder andere Daten erbringt."
Die Frage nach der vertragsrechtlichen Behandlung des Wertes von Daten wirft damit schon innerhalb des EU-Rechts Kontroversen innerhalb des EU-Rechts auf, bevor die jeweiligen Rechtsvorgaben überhaupt gelten. Sie zu einer befriedigenden Lösung zu führen, ist eine der zentralen politischen und rechtlichen Herausforderungen im Zeitalter der Industrie 4.0 mit gläsernen Autos.
Prof. Dr. Rolf Schwartmann ist Leiter der Kölner Forschungsstelle Medienrecht an der Technischen Hochschule Köln und Vorsitzender der GDD e.V., Bonn.
Sascha Kremer ist Partner bei Login Partners Rechtsanwälte, Pulheim. Als Fachanwalt für IT-Recht, externer Datenschutzbeauftragter und Datenschutzauditor berät er Unternehmen jeder Größenordnung, öffentliche und kirchliche Einrichtungen.
Beide Autoren treffen Sie auf 2. GDD-Fachtagung zum Datenschutz im gläsernen Auto am 20.4.2016 in Köln.
Rolf Schwartmann, Streit um personenbezogene Daten: Das Automobil als Datenschleuder . In: Legal Tribune Online, 26.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18607/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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