Strafverfolgung von Cybergrooming: "Der Gesetz­geber geht zu weit"

Gastbeitrag von Dr. Jenny Lederer

03.12.2019

Die Bundesregierung will zum Schutz von Kindern verstärkt gegen Cybergrooming, also das gezielte Ansprechen im Internet mit dem Ziel sexueller Kontakte, vorgehen. Jenny Lederer sieht nicht nur die geplante Versuchsstrafbarkeit kritisch.

Mit ihrem Gesetzentwurf verfolgt die GroKo das Ziel, Kinder und Jugendliche im Internet besser vor Tätern zu schützen, die mit der Absicht im Netz unterwegs sind, sexuellen Missbrauch oder die Herstellung von Kinderpornographie anzubahnen. Allerdings: Juristisch misslingt das Vorhaben. Denn allein der böse Wille soll künftig strafbegründend sein. Die geplante Versuchsstrafbarkeit bezieht sich auf ein – schon in seiner "Vollendungs"-Variante eigentlich als straflose Vorbereitung zu qualifizierendes - Delikt.

Und nicht nur diese Vorverlagerung der Versuchsstrafbarkeit ist dogmatisch kaum zu begründen und im Strafgesetzbuch (StGB) eher systemfremd. Auch einer Ausnahme in § 184b StGB, der unter anderem die Verbreitung kinderpornographischer Schriften unter Strafe stellt, bedarf es nicht – jedenfalls nicht, um damit Ermittlern im Darknet das Leben leichter zu machen.  

Als Erstsemester lernt man auch ein für Nicht-Juristen überzeugendes Deliktsstufen-System: wer einen Tatbestand vollendet – zum Beispiel einen Menschen erschießt –, macht sich strafbar. Wer eine strafbare Handlung versucht – die anvisierte Person nicht stirbt –, macht sich bei Verbrechen stets, bei Vergehen nur bei ausdrücklicher Regelung strafbar. Schon mit einem Versuch geht also nicht zwingend eine Pönalisierung einher. In Abgrenzung zu bloßen, straflosen Vorbereitungshandlungen bedarf es bei einem Versuch zudem eines unmittelbaren Ansetzens zu der Tat; es reicht nicht aus, sich für eine eventuell spätere Tötungshandlung eine Waffe zu besorgen.

Vorbereitungshandlungen nur ausnahmsweise strafbar

Nur ausnahmsweise werden im StGB auch Vorbereitungshandlungen von der Strafbarkeit erfasst: So etwa bei Beteiligung Mehrerer nach § 30 StGB (Versuch der Beteiligung) oder auch nach § 89a Abs. 2a StGB, wonach bestraft wird, wer es unternimmt, die Bundesrepublik zu verlassen, um sich an schweren Gewalttaten im Ausland zu beteiligen oder um sich für die Teilnahme an schweren Gewalttaten ausbilden zu lassen sowie hierzu auszubilden. Schon diese Verlagerung der Strafbarkeit in ein frühes Stadium ist zweifelhaft, einen juristischen Laien mag das Motiv "Terrorbekämpfung" von einem Sinn der Strafbarkeit überzeugen.

Ein ähnliches, gesinnungsstrafrechtlich anmutendes "Totschlagsargument", gegen das man kaum ankommt, hört man oft im Kontext der Bekämpfung des Kindesmissbrauchs. Wenn man hier gegen die Bestrafungshypertrophie argumentieren will, wird man gleichsam genötigt, rechtfertigend eine Selbstverständlichkeit voranzustellen: "Natürlich ist Kindesmissbrauch schlimm", aber...bei allem darf man doch nicht die Dogmatik aus dem Blick verlieren.

Nach § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB fällt Cybergrooming bereits heute unter Strafe. Danach ist das bloße Einwirken auf ein Kind mittels Schriften oder Informations- oder Kommunikationstechnologie strafbar, wenn damit ein späterer sexueller Missbrauch oder das Herstellen von oder die Besitzverschaffung an kinderpornographischem Material bezweckt ist.

Kriminalisierung im Vorfeld

Unabhängig von der bedenklich weiten und konturenlosen Ausgestaltung des objektiven und Fokussierung auf den subjektiven Tatbestand muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es sich um ein bloß abstraktes Gefährdungsdelikt handelt: ein Rechtsgut ist nicht verletzt, die sexuelle Selbstbestimmung eines Kindes nicht beeinträchtigt. Schon hier hatte also der Gesetzgeber eine lediglich im Vorbereitungsstadium befindliche Handlung, ein allenfalls vorbereitetes sexuelles Hands-on-Delikt, als vollendete Tat kriminalisiert.

Beim "Grooming" handelt es sich im Übrigen auch offline um ein bei sexuellem Missbrauch typisches, altbekanntes Phänomen: eine Strategie, um sich Schritt für Schritt dem potentiellen kindlichen Opfer anzunähern, es in seinen Einflussbereich zu bekommen und Vertrauen aufzubauen – mit der Absicht eines Übergriffes. Dieses Vorgehen in der realen Welt ist – anders als in der virtuellen – als bloße Vorbereitungshandlung nicht strafbar (und dies soll nicht als Aufforderung an den Gesetzgeber missverstanden werden! Dies stellt keine zu füllende Lücke dar!).

Deutschland geht mit seiner bestehenden Regelung nach § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB bereits über die europarechtlichen Anforderungen hinaus, da es – anders als etwa in der österreichischen Regelung – keiner Verabredung mit dem kindlichen Adressaten, keiner auf ein Treffen hinführenden konkreten Handlungen bedarf, geschweige denn: eines realen Aufeinandertreffens. Der deutsche Gesetzgeber hätte also durchaus eine Vollendungsstrafbarkeit schaffen können, die weniger angreifbar, da weniger vorfeldverlagert, wäre.

"Allein der böse Wille soll pönalisiert werden"

Als wäre diese punktuelle, systemfremde Qualifizierung einer Vorbereitungshandlung als Vollendungstat nicht problematisch genug, soll nach den Plänen der Bundesregierung nun eine weitere Vorverlagerung der Strafbarkeit – sozusagen in das Vorfeld des Vorfeldes – stattfinden, indem eine Versuchsstrafbarkeit implementiert werden soll. Damit wird die Kritik an der Vollendungs-Vorschrift ignoriert, gar perpetuiert.

Erfasst werden sollen künftig Fälle des untauglichen Versuches, wenn statt eines Kindes ein verdeckter Ermittler Adressat ist. Wenn schon bei einem Kind als potentiellen Einwirkungsadressaten kein Rechtsgut verletzt ist, potenziert sich dies bei einem Scheinkind, gleichsam im Sinne einer Gefährdung der Gefährdung. Allein der böse Wille soll pönalisiert werden.

Denn worum geht es wirklich? Ermittlern soll damit der Zugriff ermöglicht werden; es sollen Verdachtsgrade konstruiert werden, um insbesondere strafprozessuale Maßnahmen zu ermöglichen. Von "Türöffnern" und "Eintrittskarten" ist – insofern ehrlicherweise – die Rede. Allerdings: Maßnahmen wie Durchsuchungen sind in der Regel bereits jetzt möglich und auch ein effektives Mittel gerade in diesem Deliktsbereich.

Überhaupt ist nicht nachvollziehbar, warum ausgerechnet bei diesem "Phänomenbereich" eine Gefährderansprache nicht zielführend sein soll, wenn doch der Einwirkende in der virtuellen Welt nicht mit einer Aufdeckung oder Beobachtung rechnet, mit einem Auftauchen der Polizei zwecks Ansprache überrascht und damit signalisiert wird: wir haben dich im Blick.

Der Gesetzgeber hat (wieder einmal) eine vermeintliche "Lücke" ausgemacht und schießt über das Ziel hinaus. Indem gefahrenabwehrrechtliche oder strafprozessuale Überlegungen in ein strafrechtliches Gewand gekleidet werden, werden elementare dogmatische Institute wie die Deliktsstufen noch weiter abgeschliffen und flexibilisiert, als dies ohnehin schon der Fall ist. Dass Strafrecht ultima ratio ist, bleibt damit unberücksichtigt. Es droht ein – weiterer – Dammbruch.

Ermittler als "agents provocateurs" im Darknet

Doch damit nicht genug: Dem Bundesrat schwebt über den Entwurf der Bundesregierung hinaus eine Erweiterung des § 184b StGB vor, wonach Ermittlern – straflos – ermöglicht werden soll, computergeneriertes kinderpornographisches Material in (Darknet-)Foren zur Verfügung stellen zu können. Dies sei erforderlich, um Zugang zu derartigen Foren zu erhalten und die Integritätsprüfung ("Keuschheitsprobe") zu bestehen, die an erstmalige Nutzer gestellt wird: Bei dieser wird man in der Regel dazu aufgefordert, selbst inkriminiertes Material hochzuladen, damit ausgeschlossen werden kann, dass sich verdeckte Ermittler im Netz tummeln.

Eine solche Ausweitung widerstreitet aber – ganz zu schweigen von generellen Vorbehalten gegenüber dem Einsatz von agents provocateurs – der ratio legis des § 184b StGB und droht, diese gar zu konterkarieren: Kann denn verantwortet werden, dass gleichsam der Markt, der eigentlich bekämpft und "ausgetrocknet" werden soll, belebt und aktiv gefördert wird? Wird damit nicht gerade das geschaffen, was den Gesetzgeber ursprünglich einmal zu der strafrechtlichen Regelung bewogen hatte, nämlich eine "Nachfrage nach weiteren kinderpornographischen Produkten und somit der Anreiz zur Begehung von Kindesmissbrauch, zur Produktion kinderpornographischer Materialien" zu verringern? Drohen nicht die vom Gesetzgeber damals besorgten Nachahmungseffekte, dass Hemmschwellen – nun möglicherweise erst initiiert durch Ermittler – herabgesetzt und Konsumenten zu Hands-on-Delikten angeregt werden können?

Auch hier werden eigentlich gefahrenabwehrrechtliche oder strafprozessuale Überlegungen in das materielle Strafrecht transferiert, ohne dass eine Not hierfür bestünde.

Um abschließend Montesquieu zu bemühen – und das gilt sowohl für die Versuchsstrafbarkeit des Cybergroomings als auch den vorgeschlagenen weiteren Ausschlusstatbestand im Rahmen des § 184b StGB: "Wenn ein Gesetz nicht notwendig ist, ist es notwendig, das Gesetz nicht zu erlassen." Der Gesetzgeber geht zu weit, wenn derartige Regelungen eingeführt würden.

Dr. Jenny Lederer ist Fachanwältin für Strafrecht in Essen und Mitglied im Strafrechtsausschuss des DAV. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte sie als Sachverständige im November 2019 zur Anhörung im Bundestag zum Gesetzentwurf "Cybergrooming" eingeladen.   

Zitiervorschlag

Strafverfolgung von Cybergrooming: "Der Gesetzgeber geht zu weit" . In: Legal Tribune Online, 03.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39029/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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