Ausgehen in Zeiten von Corona: Wann man sich strafbar macht

Gastbeitrag von Dipl.-Jur. Fynn Wenglarczyk

21.03.2020

Wer in der Öffentlichkeit unterwegs ist, obwohl er vielleicht mit dem Coronavirus infiziert ist, kann sich strafbar machen. Und zwar nicht erst, wenn er Ausgangssperren ignoriert oder auf Corona-Partys geht, erklärt Fynn Wenglarczyk.

Das gesellschaftliche Leben in Deutschland befindet sich im Standby-Modus. Wissenschaftler und Politiker fordern die Bevölkerung auf, zuhause zu bleiben und Sozialkontakte zu vermeiden – #socialdistancing,  #flattenthecurve und #stayhome sind die Schlagworte der Stunde.

Das ist auch strafrechtlich geboten. Denn wer um seine eigene Infektion mit dem Coronavirus (Sars-CoV-2) weiß, kann sich bei Ansteckung Dritter wegen verschiedener Delikte strafbar machen. Neben vorsätzlicher oder fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung kommt auch eine Strafbarkeit wegen Totschlags oder Mordes in Betracht.

Verstoß gegen Quarantäne und Ausgangssperre: Freiheitsstrafe

Für die Bekämpfung der Corona-Pandemie bedienen sich die Länder derzeit effektiver Rechtsinstrumente. Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) ermächtigt die Landesregierungen, durch Rechtsverordnung entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen.

So müssen etwa nach der hessischen "Vierten Verordnung zur Bekämpfung des Coronavirus" Fitnessstudios, Freizeitparks, Kinos, Spielplätze und viele weiteren Einrichtungen schließen. Die "SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung" des Landes Schleswig-Holstein vom 17. März 2020 verbietet gar die Einreise in das Bundesland aus "touristischem Anlass" oder "zu Freizeitzwecken". In Freiburg und im Saarland gibt es bereits Ausgangssperren, der bayerische Ministerpräsident Söder hat am Freitag eine Ausgangssperre für das gesamte Bundesland angekündigt und Hessen verbietet Ansammlungen von mehr als fünf Personen. Noch an diesem Wochenende dürfte sich entscheiden, ob es zu einer bundesweiten Ausgangssperre kommt. Um es mit den Worten der Bundeskanzlerin zu sagen: "Die Lage ist ernst."

Wer gegen behördliche Anordnungen verstößt, die auf Grundlage dieser Verordnungen in Verbindung mit den infektionsschutzrechtlichen Standardbefugnissen (§ 28 Abs. 1 S. 1, 2 IfSG) ausgesprochen werden, der kann sich strafbar machen. Im IfSG finden sich in den §§ 74, 75 IfSG Straftatbestände, die infektionsschutzrechtliche Verhaltensgebote in genau solchen Krisenzeiten durchsetzen sollen. Zuwiderhandlungen gegen vollziehbare Anordnungen auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG, also temporäre Platzverweise oder auch Betretungsverbote von öffentlichen Plätzen zur Durchsetzung von Schutzmaßnahmen nach § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG, können mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft werden (§ 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG). Das könnte auch Verstöße gegen konkrete Anordnungen betreffen, die etwa auf Grundlage einer Ausgangssperre ausgesprochen werden. Uneinigkeit besteht bei den Staats- und Verwaltungsrechtlern aber noch darüber, ob Ausgangssperren ihre Rechtsgrundlage überhaupt in § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG finden können

Dass der (juristische) Teufel im Detail steckt, wird, wie so oft, erst bei näherem Hinsehen deutlich: Die konkrete Anordnung muss nämlich ihrerseits rechtmäßig sein. Da dies aber erst später vor Gericht entschieden wird, kann man sich darüber streiten, welcher Maßstab für die Sicht des Betroffenen gilt. Hier können sich komplizierte Probleme ergeben (Stichwort: Rechtmäßigkeitsmaßstab im Strafrecht und Verbotsirrtum). Ist der Anordnung die Rechtswidrigkeit "auf die Stirn geschrieben“, dürfte eine Strafbarkeit aber jedenfalls ausscheiden. Für den Laien gilt: Wer Adressat einer behördlichen Corona-Bekämpfungsmaßnahme ist, dem ist aus strafrechtlicher Sicht zunächst dringend zu raten, der Anordnung Folge zu leisten. 

Wer sich also am Wochenende auf dem Freiburger Augustinerplatz trotz konkreter Platzverweise   mit Freunden sonnt, kann mit einer Strafanzeige rechnen. Das gilt erst recht für Zuwiderhandlungen gegen echte Infektionsschutzmaßnahmen nach dem IfSG wie etwa eine angeordnete Quarantäne (§ 30 IfSG) oder eine Beobachtung (§ 31 IfSG). 
 

Husten, Niesen, Händeschütteln: mindestens gefährliche Körperverletzung

Aber auch ohne eine Ausgangssperre kann sich strafbar machen, wer in Zeiten des Coronavirus anderen Menschen nah kommt. Wer positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurde, sollte unbedingt zu Hause bleiben, um kein Strafverfahren zu riskieren.

Wer einen anderen im Bus oder in der U-Bahn anhustet oder anniest, kann sich strafbar machen. Anders als bei einem grippalen Infekt ist eine Strafbarkeit nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die Rechtsgemeinschaft ein solches Verhalten als sozialadäquat hinnehmen müsste. Eine Ansteckung mit Sars-CoV-2 ist kein erlaubtes Risiko. Wer also eine andere Person mit einem Krankheitserreger ansteckt, der verwirklicht zunächst den objektiven Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung.

Bei der Ansteckung eines anderen Menschen mit dem Coronavirus handelt es sich um eine Körperverletzung mit einem gesundheitsschädlichen Stoff, also um eine gefährliche Körperverletzung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB). Die Strafandrohung beträgt bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe. Darunter fällt Sars-CoV-2 als Virus genauso wie etwa der AIDS-Erreger. Selbst wenn die Ansteckung beim anderen nur zu einer Infizierung führt, nicht aber zu körperlichen Beschwerden wie etwa Fieber oder Kopf- und Halsschmerzen, handelt es sich um eine Körperverletzung in der Variante der Gesundheitsschädigung.

Verursacht eine infizierte Person tatsächlich die Erkrankung eines anderen, steht eine gefährliche Körperverletzung im Raum. Führt die Erkrankung in der weiteren Folge zum Tod, kann man mit einer Anklage wegen (versuchter) Körperverletzung mit Todesfolge, oder (versuchten) Totschlags oder gar Mordes schnell vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts landen.

Wer nicht getestet wurde: Sorglosigkeit schützt vor Strafe nicht

Ob eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Körperverletzung oder gar Tötung in Betracht kommt, entscheidet die innere Seite des Täters. Wegen vorsätzlicher Tatbegehung kann nur bestraft werden, wer seine eigene Infizierung als möglich erkennt. Zudem muss er  die Ansteckung des anderen zumindest billigend in Kauf nehmen. 

Erforderlich ist also zumindest bedingter Vorsatz, auch Eventualvorsatz genannt. Liegt diese Vorsatzform vor, macht man sich sogar strafbar, wenn die andere Person sich gar nicht ansteckt. Denn auch der Versuch ist strafbar – sogar für denjenigen, der nur fälschlich dachte, er sei infiziert (§ 23 Abs. 3 StGB).

Wer überhaupt nicht auf Sars-CoV-2 getestet wurde, der kann nicht sicher sagen, ob er infiziert ist. Aus strafrechtlicher Sicht bedeutet das aber nicht, dass keine Konsequenzen drohten. Erkennt jemand eine eigene Infektion zumindest als möglich und vertraut beim Kontakt mit Dritten (Niesen, Husten, Händeschütteln) darauf, dass schon nichts passieren werde, dann kann er immer noch wegen fahrlässiger Tatbegehung bestraft werden.

Wer also Symptome aufweist oder Kontakt zu einer infizierten Person hatte, sollte lieber gar nicht erst rausgehen oder sich sehr vorsichtig verhalten. Auch wer jemanden nur "aus Versehen" beim Niesen im Biergarten ansteckt, macht sich wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung strafbar – selbst wenn er gar nicht wollte, dass sich die andere Person ansteckt. Und es gilt: Je stärker der Verdacht einer eigenen Infektion, desto höher sind die Anforderungen an Vorsichtsmaßnahmen gegenüber anderen Menschen.

Corona-Partys: Machen mindestens unglaubwürdig

Auch die Teilnahme an sog. Corona-Partys kann strafbar sein. Zwar ist die Ansteckung der anderen Teilnehmer nicht unbedingt strafbar, denn alle willigen in die dadurch verwirklichten gegenseitigen Körperverletzungen ein.

Aus der Teilnahme resultieren aber erhöhte Sorgfaltspflichten, weil man danach von einer eigenen Infektion ausgehen muss. Wer sich im Fall der Fälle vor Gericht sonst damit verteidigen könnte, dass er weder wusste noch wissen konnte, dass er infiziert ist, wird das nach einer Corona-Party kaum mehr von sich behaupten können. Im Gegenteil: Die Teilnahme legt nahe, dass es ihm gerade auf eine eigene Infektion ankam.

Zudem muss den Teilnehmenden bewusst sein, dass es Menschen gibt, bei denen der Virus einen schweren Verlauf nimmt oder sogar zum Tod führt. Corona-Partys werden nämlich gerade in der Annahme veranstaltet, die eigene Infektion werde schwach verlaufen. Es liegt daher nahe, anzunehmen, dass den Teilnehmern bewusst ist, dass eine Infektion bei älteren Menschen oder anderen besonders Gefährdeten zum Tode führen kann. Dann zu sagen, man hätte nicht damit gerechnet, eine andere Person anzustecken oder zu schädigen, ist unglaubhaft.

Letzte Konsequenz: Strafrecht als Instrumente der Verhaltenskontrolle

Vor Gericht käme es bei alle dem auf den Nachweis weiterer Feinheiten an. So müsste etwa zweifelsfrei festgestellt werden, dass die Tathandlung, also das Niesen, Anhusten oder Händeschütteln die Infektion verursacht hat. Dieser Kausalitätsnachweis dürfte vor allem nach der Teilnahme an einer Corona-Party schwierig zu führen sein.

Aber das ist Sache des Strafgerichts und ändert nichts an der strafrechtlichen Bewertung. Wer in dieser Zeit andere gefährdet und ansteckt und somit auch den Tod anderer Personen billigend in Kauf nimmt, kann schnell auf der Anklagebank landen.

Das kann man strafrechtsdogmatisch kritisieren. So geschehen kürzlich durch den ehemaligen Bundesrichter Prof. Dr. Thomas Fischer in einer Spiegel-Kolumne, der es offenbar zumindest für fragwürdig hält, dass so schnell von gefährlichem Verhalten in der Öffentlichkeit auf bedingten Vorsatz geschlossen werde. Am Risiko eines Strafverfahrens ändert das aber nichts.

Der Hinweis auf strafrechtliche Konsequenzen sollte aber auch in Krisenzeiten letztes Mittel sein. Denn das Strafrecht ist und bleibt das schärfte Schwert staatlicher Verhaltenssteuerung.  Diese Wertung als ultima ratio sollte man auch in Pandemie-Zeiten nicht aus den Augen verlieren. Dass die Gefährdung anderer auch abseits rechtlicher Wertungen sozialethisch zu missbilligen ist, sollte eigentlich jedem klar sein, auch ohne ein Jurastudium.

Der Autor Dipl.-Jur. Fynn Wenglarczyk ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtstheorie an der Goethe-Universität in Frankfurt und promoviert dort zu Problemen der Individualbestrafung im Unternehmensstrafrecht. Der Beitrag gibt ausschließlich seine persönliche Rechtsauffassung wieder.

Zitiervorschlag

Ausgehen in Zeiten von Corona: Wann man sich strafbar macht . In: Legal Tribune Online, 21.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40995/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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