Strafanzeige gegen Christoph Harting: "Eine Ver­un­glimp­fung wäre auch im hei­mi­schen Wohn­zimmer ein­ge­t­reten"

von Tanja Podolski

05.09.2016

Viele Deutsche schienen empört über das Verhalten von Christoph Harting, nachdem er Olympia-Sieger geworden war. Aber ob es gleich eine Anzeige sein muss? Einer Privatperson missfiel es offenbar so sehr, dass sie Strafanzeige erstattete.

LTO: Herr Schmitt, eine Privatperson hat gegen den Olympia-Sieger im Diskuswerfen, Christoph Harting, Anzeige erstattet. Harting hat - von Kameras weltweit in die Wohnzimmer übertragen - gepfiffen und getanzt, als bei der Siegerehrung die deutsche Nationalhymne gespielt wurde. Welche Straftatbestände könnte er damit verwirklicht haben?

Christian Schmitt: Das Verhalten kann, wenn überhaupt, nur den Straftatbestand des § 90a Strafgesetzbuch  verwirklichen. Die Vorschrift stellt mit der sogenannten Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole unter anderem die Verunglimpfung der Hymne der Bundesrepublik unter Strafe.

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LTO: Aber Harting wird ein Verhalten in Brasilien vorgeworfen - nach welchen Regelungen wird es in Deutschland verfolgt?

Schmitt: Herr Harting hat zwar in Brasilien gehandelt. Der tatbestandsmäßige Erfolg, also die Verunglimpfung – unterstellt es gäbe eine –, wäre aber aufgrund der Medienberichterstattung im Rahmen einer Live-Übertragung auch in Deutschland eingetreten, nämlich im heimischen Wohnzimmer vor dem Fernseher. Nach § 9 Abs. 1 StGB ist damit die Tat auch in Deutschland begangen und damit deutsches Strafrecht anwendbar. 

"Auch sein Bruder hat es schon mit dem Thema in die Medien geschafft"

LTO: Christoph Harting ist Polizist, welche Folgen könnte sein Verhalten über ein Strafverfahren hinaus haben?

Schmitt: Für einen Polizeibeamten kann die Begehung einer Straftat ein Disziplinarverfahren nach dem einschlägigen Landesdisziplinargesetz mit sich bringen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass gegen ihn - unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung - disziplinarische Schritte erwogen werden.

LTO: Der Straftatbestand der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole ist nicht unbedingt ein Dauerbrenner - weder in der täglichen Realität der Gerichte noch in der Ausbildung für Juristen. Kennen Sie weitere Fälle, in denen die Normen angewendet werden mussten?

Schmitt: Durchaus. Christoph Hartings Bruder Robert hat es vor einigen Jahren zum Beispiel durch das Zerreißen seines Trikots und eine daraufhin bei ihm eingehende E-Mail mit diesem Thema in die Medien geschafft.

Vor allem aber, wenn sich Künstler mit den Staatssymbolen im Rahmen ihrer Kunst auseinandergesetzt haben, ist vor dem Hintergrund der grundrechtlich garantierten Kunstfreiheit viel über diesen Straftatbestand diskutiert worden.

Es gibt zum Beispiel eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2000 zum Abspielen eines Liedes einer Punkrockband mit dem Titel "Deutschland muss sterben". Die in diesem Zusammenhang diskutierten Fälle sind aber augenscheinlich deutlich drastischer als das Verhalten von Herrn Harting auf dem Podium in Rio. Allerdings kann sich Christoph Harting auch nicht auf das Grundrecht der Kunstfreiheit berufen.

LTO*: Glauben Sie, dass das erforderlich werden könnte? Halten Sie den Tatbestand des § 90a StGB für erfüllt? Gehen Sie davon aus, dass die Ermittlungsbehörden ein Ermittlungsverfahren einleiten werden?
 
Schmitt*: Auf die Kunstfreiheit wird sich Herr Harting wohl nicht berufen müssen, ungeachtet dessen, dass das schwierig werden dürfte. Denn sein Verhalten dürfte die Nationalhymne nicht verunglimpfen. Klassische Fälle sind hier diejenigen, in denen der Text verunglimpfend entstellt wird. Das Verhalten von Herrn Harting dürfte vielmehr als unsportliche, aber straflose Respektlosigkeit vor der Zeremonie der Siegerehrung einzustufen sein und nicht als strafbare Verunglimpfung der Nationalhymne.  

LTO: Herr Schmitt, vielen Dank für Ihre Antworten.

Christian Schmitt ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz bei Seitz Rechtsanwälte Steuerberater in Köln. Er ist daneben auch im Medien- und Presserecht sowie im Sportarbeitsrecht tätig.

Die Fragen stellte Tanja Podolski.

*Anm. d. Red.: Die letzte Frage und Antwort wurden aufgrund eines Redaktionsversehens nachgepflegt ca. 15 Minuten nach Veröffentlichung des Interviews. Zeitpunkt der Änderung: 17:31 Uhr (pl)

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, Strafanzeige gegen Christoph Harting: "Eine Verunglimpfung wäre auch im heimischen Wohnzimmer eingetreten" . In: Legal Tribune Online, 05.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20483/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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