Verfassungsrichter in der Wirtschaft: Aus­putzer statt Lob­by­isten

von Dr. Christian Rath

07.02.2017

Nach ihrem Ausscheiden in Karlsruhe wurde Christine Hohmann-Dennhardt Vorstandsmitglied in Auto-Konzernen und erhielt am Ende eine Millionen-Abfindung. Hat das dem Ansehen des BVerfG geschadet? Nein, meint Christian Rath.

Christine Hohmann-Dennhardt war von 1999 bis 2011 Verfassungsrichterin am Ersten Senat. Im Februar 2011 wurde sie in den Vorstand des Automobilherstellers Daimler AG berufen. Im Januar 2016 wechselte sie in den Vorstand der VW AG. Doch schon nach einem Jahr trennten sich der Wolfsburger Konzern und Hohmann-Dennhardt vor wenigen Tagen. Letzteres hat wohl am meisten Aufsehen erregt, vor allem weil die Juristin nach nur einem Jahr bei VW rund 12 Millionen Euro Abfindung erhalten soll.

Einen ähnlichen, aber weniger spektakulären Weg hatte Winfried Hassemer eingeschlagen. Nach seinem Ausscheiden aus dem Zweiten Senat wurde der Vizepräsident des BVerfG im Jahr
2010 Ombudsmann der Kreditauskunftei Schufa und 2012 Ombudsmann bei der Daimler AG. Nach seinem Tod 2014 übernahm die Position als Schufa-Ombudsmann der ehemalige BVerfG-Präsident Hans-Jürgen Papier.

Üblich sind Wechsel in die Wirtschaft aber nicht. Viele Verfassungsrichter gehen am Ende ihrer maximal 12-jährigen Amtszeit einfach in den Ruhestand. Hochschullehrer kehren oft auf ihre Lehrstühle zurück. Auch eher selten übernehmen ausgeschiedene Verfassungsrichter neue öffentliche Ämter: Roman Herzog wurde Bundespräsident, Renate Jaeger ging als Richterin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nach Straßburg, Jutta Limbach wurde Präsidentin des Goethe-Instituts und Rudolf Mellinghof präsidiert heute am Bundesfinanzhof.

Aus der Politik in die Wirtschaft

Dabei kann ein Wechsel in die Wirtschaft zumindest finanziell sehr attraktiv sein. Hohmann-Dennhardt soll bei VW pro Jahr rund drei Millionen Euro (inklusive Boni) verdient haben. Ein Verfassungsrichter erhält derzeit rund 14.500 Euro im Monat. Auch nicht frustrierend, aber doch eine Dimension kleiner.

Bei Politikern und Beamten wirken spätere Wechsel in die Wirtschaft (und ihre Verbände) inzwischen etwas anrüchig. Es wird befürchtet, dass sie schon im öffentlichen Amt vor allem an ihren späteren privaten Arbeitgeber denken. Außerdem könnten sie nach dem Seitenwechsel staatliches Insiderwissen nun im neuen Kontext verwenden oder sogar alte Kontakte nutzen, um direkt Einfluss zu nehmen.

Für Mitglieder der EU-Kommission gilt deshalb seit November 2016 eine Karenzfrist von zwei Jahren, bevor sie einen neuen Job annehmen können, für den Präsidenten der EU-Kommission beträgt die Frist sogar drei Jahre. Bei deutschen Bundesministern wird ein Wechsel in die Wirtschaft seit 2015 durch ein Ethikkomitee geprüft, das bei drohenden Interessenskonflikten die Aufnahme der neuen Tätigkeit für 12 bis 18 Monate untersagen kann. Die Organisation Lobbycontrol fordert sogar eine dreijährige "Abklingphase".

Und aus Karlsruhe?

Ist nun aber der Wechsel eines Bundesverfassungsrichters in die Wirtschaft ähnlich problematisch? Ist in solchen Fällen sogar das Ansehen des Gerichts bedroht?

Interessenskonflikte könnte es geben. Immerhin ist die Karlsruher Rechtsprechung regelmäßig auch von wirtschaftlicher Bedeutung. Man denke nur an die milliardenträchtige Klage der Energieversorger gegen den Atomausstieg oder die Richtervorlage zur Besteuerung von Unternehmenserben. Außerdem befasste sich Karlsruhe mit der privaten Krankenversicherung, mit der Glückspielbranche und mit Haftungsregeln für die grüne Gentechnik.

Wenn ein Verfassungsrichter nach seinem Ausscheiden in Karlsruhe mit einem Posten in der Wirtschaft "belohnt" würde, könnte dies als Vorteilsannahme oder Bestechlichkeit strafbar sein. Hinweise auf derartige Unrechtsvereinbarungen gibt es bisher freilich nicht. So war Christine Hohmann-Dennhardt als Verfassungsrichterin nicht für Autos zuständig, sondern für Familienrecht. Im übrigen könnte eine Belohnung auch unauffälliger als durch einen Vorstands-Posten gewährt werden, etwa durch Beraterverträge, Gutachtenaufträge oder Vortragshonorare.

Die Höhe der Abfindung der 66-Jährigen sorgt derzeit zwar für politischen Zwist. Dies wird aber vor allem als Symptom exzessiver Vorstandsvergütungen gesehen und schlägt deshalb nicht auf das Bundesverfassungsgericht durch.

Ex-Bundesrichter: Ruf wird genutzt, nicht beschmutzt

Hohmann-Dennhardt wurde auch nicht als Lobbyistin zu Daimler und VW geholt, sondern als Ausputzerin nach konkreten Skandalen. Daimler hatte zuvor in zahlreichen Ländern Regierungsbeamte bestochen, um an lukrative Aufträge zu kommen. VW steht nochimmer in der Kritik, weil eine Software den Abgasausstoß bei Tests manipulierte. Hohmann-Dennhardt sollte die Affären aufarbeiten und in Zukunft eine bessere Compliance sicherstellen. Ihr Vorstandsressort hieß jeweils "Integrität und Recht".

Wichtig waren ihr Ruf in der deutschen Öffentlichkeit, aber auch in den USA, sowie ihre Autorität nach innen. Die Tätigkeit für Daimler und VW korrumpierte also ihren Nimbus als Verfassungsrichterin nicht, sondern versuchte diesen zu nutzen.

Noch deutlicher ist das bei den Ombudsmann-Tätigkeiten von Hassemer und Papier. Sie wurden und werden hierbei zwar von Wirtschaftsunternehmen bezahlt, sollen aber als unabhängige und neutrale Instanzen Beschwerden entgegennehmen und Konflikte schlichten. Die Nähe zur richterlichen Tätigkeit liegt auf der Hand. Auch hier wird und wurde also der Ruf des Ex-Verfassungsrichters genutzt, aber nicht beschmutzt.

Die Ex-Verfassungsrichter knüpfen insofern an Vorbilder von obersten Bundesgerichten an. So ist zum Beispiel der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofs (BGH), Günter Hirsch,  schon seit 2008 Ombudsmann der Versicherungswirtschaft. Und der ehemalige BGH-Strafrichter Gerhard Schäfer wurde mehrfach mit der Aufklärung von Skandalen betraut: beim BND, bei der Deutschen Telekom AG und nach der Aufdeckung der NSU-Terrorgruppe bei den Thüringer Sicherheitsbehörden.

Insofern ist es vielleicht sogar verwunderlich, wie selten Ex-Verfassungsrichter bisher als Schlichter und Aufklärer, innerhalb und außerhalb der Wirtschaft eingesetzt werden. Hier ist eine Ressource gesellschaftlicher Legitimation noch weitgehend ungenutzt.

Zitiervorschlag

Christian Rath, Verfassungsrichter in der Wirtschaft: Ausputzer statt Lobbyisten . In: Legal Tribune Online, 07.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22006/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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