Zeitarbeitsunternehmen sollen nachzahlen: Das teure Vertrauen der Personalvermittler

von Dr. Sandra Urban-Crell

06.06.2012

Nun ist es amtlich: Die Spitzenorganisation der christlichen Gewerkschaften war nie tariffähig. Sämtliche seit Gründung der CGZP im Dezember 2002 mit dieser geschlossenen Tarifverträge sind unwirksam, bestätigte das BAG Ende Mai. Auf Zeitarbeitsunternehmen kommen nun Nachforderungen in Milliardenhöhe zu. Ob sie diese aber tatsächlich bezahlen müssen, bezweifelt Sandra Urban-Crell.

Überraschend waren die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts nicht (BAG, Beschl. v. 22.05.2012, Az. 1 ABN 27/12 sowie v. 23.05.2012, Az. 1 AZB 58/11). Bereits Ende 2010 hatte das höchste deutsche Arbeitsgericht die Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) festgestellt (Beschl. v. 14.12.2010, Az. 1 ABR 19/10). Dies allerdings nur gegenwartsbezogen. Offen blieb, ob die christliche Spitzenorganisation auch bereits in der Vergangenheit tarifunfähig war. Seit den jüngsten Beschlüssen des BAG steht nun aber rechtskräftig fest: Sämtliche jemals von der CGZP geschlossenen Haus- und Flächentarifverträge sind unwirksam.

Hohe Nachforderungen

Zeitarbeitsunternehmen, welche in der Vergangenheit die Billiglohntarifverträge der CGZP anwandten, haben ihre Arbeitnehmer in den vergangenen neun Jahren zu niedrig entlohnt. Damit drohen hohe Nachforderungen sowohl der Zeitarbeitskräfte als auch der Sozialversicherungsträger.

Denn ohne einen wirksamen Tarifvertrag kommt das gesetzliche Prinzip des so genannten Equal Pay und Equal Treatment zum Zuge. In einen Kundenbetrieb überlassene Leiharbeitnehmer können danach für die Zeit ihres Einsatzes dasselbe Arbeitsentgelt und dieselben sonstigen Arbeitsbedingungen wie vergleichbare Stammarbeitskräfte im Betrieb des entleihenden Kunden einfordern.

Die Klagewelle gegen die Zeitarbeitsunternehmen rollt bereits. Die Arbeitsgerichte, die ihre Verfahren bis zur Entscheidung des BAG ausgesetzt hatten, werden diese sehr bald fortsetzen. Viele Unternehmen werden die gegen sie gerichteten Forderungen jedoch in Grenzen halten können: Die Ansprüche vieler Arbeitnehmer sind bereits verjährt oder aufgrund wirksamer vertraglicher Ausschlussklauseln verfallen.

Beitragsnachforderungen in Milliardenhöhe

Sorgen bereiten den Zeitarbeitsunternehmen vielmehr die Nachforderungen der Sozialversicherungsträger. Experten schätzen allein diese auf rund 2 Milliarden Euro. Der Ausgang der Arbeitsgerichtsprozesse tangiert die Versicherungsträger nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gilt im Sozialrecht das so genannte Entstehungsprinzip (BSG, Urt. v. 14.7.2004, Az. B 12 KR 1/04 R). Danach können die Sozialversicherungsträger auch auf solche Vergütungsansprüche Beiträge erheben, die nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen bereits verfallen oder verjährt sind oder von den anspruchberechtigten Leiharbeitnehmern schlicht nicht geltend gemacht werden. Denn anders als im Steuerrecht muss im Sozialrecht der Vergütungsanspruch nur irgendwann entstanden sein, gleichgültig, ob das Arbeitsentgelt an den Arbeitnehmer ausgezahlt wurde.

Nachforderungsbescheide haben die Sozialversicherungsträger seit den ersten Betriebsprüfungen im Juli 2011 rückwirkend ab 2006 in großer Zahl erlassen. Nur Beitragsnachforderungen für die Zeit vor 2006 sind verjährt.

Gegen die Nachforderungen wehren sich die Zeitarbeitsunternehmen vor den Sozialgerichten. Sie argumentierten bisher vor allem damit, dass das BAG die Tarifunfähigkeit der CGZP nur gegenwartsbezogen für die Zeit ab 2009 rechtskräftig festgestellt habe. Diesem Einwand ist nach den aktuellen Entscheidungen des höchsten Arbeitsgerichts nun der Boden entzogen.

Sozialgerichte uneins – noch keine Klärung durch das BSG

Die Sozialgerichte sind sich uneins darüber, wie sich die Tarifunfähigkeit der CGZP auswirkt. Während einige Gerichte die Rechtmäßigkeit von Beitragsnachforderungen für die Vergangenheit uneingeschränkt bejahen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 13.5.2012, Az. L 8 R 164/12 B ER; LSG Hessen, Beschl. v. 14.5.2012, Az. L 1 KR 95/12 B ER), halten andere die Nachforderungen für rechtswidrig (LSG Bayern, Beschl. v. 22.3.2012; Az. L 5 R 138/12 B ER; SG Dortmund, Beschl. v. 23.1.2012, Az. S 25 R 2507/11 ER).

Soweit bereits eine Betriebsprüfung erfolgt und ein bestandskräftiger Bescheid erlassen worden sei, müsse dieser erst mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Dies wiederum sei allerdings nur in Ausnahmefällen möglich, begründen die ablehnenden Sozialgerichte ihre Auffassung. Denn die Zeitarbeitsunternehmen genießen Vertrauensschutz (§ 45 SGB X). In der Regel könnten bereits geprüfte Zeiträume nicht erneut geprüft werden.

Es dürften noch einige Monate bis zu einer rechtskräftigen Klärung der Frage durch das BSG vergehen. Für die Zeitarbeitsbranche besteht deshalb weiterhin erhebliche rechtliche und wirtschaftliche Unsicherheit. Da auch das Bundesarbeitsministerium einen generellen Schuldenerlass ablehnt, werden sich die Personaldienstleister weiterhin vor den Sozialgerichten zur Wehr setzen müssen. Ein Konsens mit den Sozialversicherungsträgern sollte wohl überlegt sein. Es sprechen gute Argumente dafür, dass das BSG den Zeitarbeitsunternehmen Vertrauensschutz gewähren wird.

Die Autorin Dr. Sandra Urban-Crell ist Partnerin und Fachanwältin für Arbeitsrecht bei McDermott Will & Emery Rechtsanwälte Steuerberater LLP am Standort Düsseldorf. Sie ist Lehrbeauftragte für Arbeitsrecht an der FH Köln und Verfasserin mehrerer arbeitsrechtlicher Fachbücher zur Zeitarbeit.

Zitiervorschlag

Sandra Urban-Crell, Zeitarbeitsunternehmen sollen nachzahlen: Das teure Vertrauen der Personalvermittler . In: Legal Tribune Online, 06.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6341/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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