Vier Mitglieder des umstrittenen Hamburger Vereins "Sterbehilfe Deutschland" sind mit ihrem Versuch gescheitert, den neuen § 217 StGB vorläufig außer Kraft setzen zu lassen. Ihre Verfassungsbeschwerde ist aber nicht aussichtslos.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit der vier Sterbewillige erreichen wollten, dass die umstrittene Neufassung des § 217 Strafgesetzbuch (StGB) vom 3. Dezember 2015 außer Vollzug gesetzt wird.
Die neue Vorschrift, für deren Beschluss im Dezember der Fraktionszwang aufgehoben wurde, untersagt die geschäftliche Sterbehilfe. Nach § 217 StGB riskiert bis zu drei Jahre Haft, wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt.
Dass er sich an eine solche Regelung halten würde, die eine Begleitung zum Suizid verbietet, hatte der umstrittene Hamburger Verein "Sterbehilfe Deutschland" schon im August 2015 per Satzungsänderung geregelt. Bis dahin hatte der Verein, der sich die Selbstbestimmung am Lebensende auf die Fahnen schreibt, Mitgliedern, die aus dem Leben scheiden wollen, einen begleiteten Suizid "unter Beachtung der jeweils geltenden deutschen und schweizerischen Rechtsordnung" ermöglicht.
Die vier Beschwerdeführer, die vom renommierten Münchner Straf- und Revisionsrechtler Prof. Dr. Christoph Knauer vertreten werden, sind solche sterbewilligen Mitglieder. Sie alle haben jeweils ein Gutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vorgelegt, das ihre uneingeschränkte Einsichtsfähigkeit und ihren selbstbestimmten Entschluss, sterben zu wollen, belegte. Der Verein hatte ihnen im Frühsommer 2015, also vor Inkrafttreten seiner Satzungsänderung und lange vor der umstrittenen Änderung von § 217 StGB, die Zusage gegeben, sie bei ihrer Selbsttötung zu unterstützen. Mit ihrer Auffassung, dass sie in ihrem Selbstbestimmungsrecht über das eigene Sterben verletzt würden, drangen sie im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht durch, wie das BVerfG am Freitag mitteilte (BVerfG, Beschl. v. 21.12.2015, Az. 2 BvR 2347/15).
Rechtsfolgenabwägung: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
Die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache ist - das stellt die 2. Kammer des Zweiten Senats vorab klar - allerdings nicht etwa von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Ebendiese Vorab-Erwägung bedeutet für das beim BVerfG ohnehin sehr strenge einstweilige Rechtsschutzverfahren eine Abwägung der jeweils eintretenden Folgen, wenn die einstweilige Anordnung erlassen, die Verfassungsbeschwerde aber später erfolglos wäre, oder aber wenn sie nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte.
Diese Abwägung, die bei der Prüfung von Außervollzugsetzung von Gesetzen einem sogar noch strengeren Maßstab unterliegt, geht nach Ansicht der Karlsruher Richter zu Lasten der Beschwerdeführer aus: Sie würden, wenn § 217 StGB n.F. bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache in Kraft bleibt, nicht so gravierende Nachteile erleiden, dass es unabdingbar wäre, § 217 StGB vorläufig außer Kraft zu setzen.
Denn sie könnten zwar, so die Verfassungsrichter, die von ihnen gewünschte Form der Sterbehilfe von dem Hamburger Verein nicht mehr in Anspruch nehmen. Aber einerseits hätten die Sterbewilligen ihren Wunsch schon in den Jahren 2013 und 2014 geäußert, aber diesen seitdem nicht aktualisiert. Außerdem würde, wenn § 217 in Kraft bleibt, diese begleitete Selbsttötung nur aufgeschoben, wenn das BVerfG später der Verfassungsbeschwerde stattgäbe.
2/2: Bis zur Hauptsache: Vorstellung des Gesetzgebers nicht offensichtlich fehlerhaft
Schließlich könnten die Sterbewilligen sich, so die die Karlsruher Richter, ihren Wunsch nach einem selbstbestimmten Sterben auch in anderer Form als durch die Begleitung durch Sterbehilfe e.V. erfüllen, gegebenenfalls sogar mit Hilfe von Ärzten, sofern diese nur nicht geschäftsmäßig handeln.
Der neue § 217 StGB nimmt Ärzte nicht von der Strafbarkeit aus. Er stellt aber nicht jegliche, sondern nur die geschäftsmäßige Unterstützung zur Selbsttötung unter Strafe, weil die Entwicklung der Beihilfe zum Suizid zu einem "Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung" verhindert werden sollte. Kritiker nicht nur aus der Ärzteschaft bemängelten bereits im Vorfeld, dass dieses unterhalb der Gewerbsmäßigkeit angesiedelte, nur auf Wiederholung abstellende Merkmal allerdings sehr schwammig und vor allem für Palliativmediziner schnell erfüllt sein könnte.
Schlimmere Folgen würden die Karlsruher Richter fürchten, wenn sie § 217 StGB vorläufig außer Kraft setzen würden, die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache dann aber am Ende erfolglos bliebe. Die Vorstellung des Gesetzgebers, dass Suizid ohne die neue Vorschrift den "fatalen Anschein einer Normalität" bekommen, schlimmstenfalls sogar Menschen zur Selbsttötung verleitet werden könnten, halten die Verfassungsrichter nicht für offensichtlich fehlerhaft. Diese abstrakte Gefährdung des wichtigsten Rechtsguts "Leben" könnte zudem eine nicht schätzbare Anzahl von Menschen betreffen, so die 2. Kammer des Zweiten Senats.
Sterbewillige können sich nicht selbst strafbar machen
Ihr Beschluss entspricht den hohen Anforderungen an den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das höchste deutsche Verfassungsgericht: Diese müsste zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten sein. Darüber, wie ihre Entscheidung am Ende aussehen wird, sagt er nur insoweit etwas aus, als die Richter – anders als bei einem Großteil der in Karlsruhe eingereichten Verfassungsbeschwerden – die Verfassungsbeschwerde gegen § 217 StGB nicht als per se unzulässig oder unbegründet ansehen.
Auch in der Hauptsache vermutlich nicht erfolgreich sein werden die Beschwerdeführer allerdings mit dem Einwand, sie seien in ihrem Selbstbestimmungsrecht über das eigene Sterben auch als mögliche Adressaten von § 217 StGB verletzt. Ihr Argument: Sie könnten sich selbst strafbar machen, und zwar wegen Anstiftung ihres potenziellen Unterstützers bei ihrer eigenen Selbsttötung oder wegen Beihilfe dazu.
Diese Betroffenheit als Normadressaten sieht das BVerfG nicht. Auch wenn die Sterbewilligen Mitarbeiter von Sterbehilfe e.V. oder andere geschäftsmäßige Suizidhelfer zur Begleitung ihres Todes bestimmen sollten, würden sie selbst straffrei bleiben. Denn nach den Grundsätzen der notwendigen Teilnahme bleibt das durch die Strafvorschrift geschützte Opfer auch bei einer Mitwirkungshandlung straflos. Gerade für den Suizidwilligen sei diese Straffreistellung ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers, der auch bei der Neuregelung von § 217 StGB eben aus diesem Grund darauf verzichtet habe, den Suizidenten explizit von der Strafbarkeit auszunehmen.
Pia Lorenz, BVerfG lehnt einstweilige Anordnung gegen neues Sterbehilfe-Verbot ab: Stirb an einem anderen Tag . In: Legal Tribune Online, 08.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18080/ (abgerufen am: 19.03.2024 )
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