BVerfG verhandelt über § 217 StGB: Es bleibt an den Ärzten hängen

von Pia Lorenz

17.04.2019

Der Gesetzgeber muss den Rahmen schaffen, das Grundrecht auf Suizid zu verwirklichen, sagte Andreas Voßkuhle. Doch § 217 StGB schränkt die Freiheit von Ärzten ein, die es für die Autonomie von Menschen braucht.

Warum hat der Gesetzgeber, statt ein System zu schaffen, das mit der Hilfe von Ärzten und Psychiatern einen freiverantwortlichen Entschluss zum Freitod ohne gefährliche Einflüsse Dritter sicherstellt, eine Strafvorschrift geschaffen, bei der es am Ende an den Ärzten hängen bleibt? Das fragte Richterin des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Dr. Syiblle Kessal-Wulff am zweiten Tag der Verhandlung hinsichtlich ebendieser Strafnorm in Karlsruhe.

§ 217 Strafgesetzbuch (StGB) stellt die geschäftsmäßige Förderung der Suizidbeihilfe unter Strafe. Es ist die Strafnorm, gegen die Todkranke, Ärzte und sogenannte Sterbehilfevereine in Karlsruhe vorgehen. Letztere haben mit Inkrafttreten der Norm ihre Tätigkeit in Deutschland eingestellt, dieses erklärte Ziel der Reform aus dem Jahr 2015 hat der Gesetzgeber also erreicht. Das könnte dafür sprechen, dass die Norm in Ordnung ist, wie Prof. Dr. Andreas Voßkuhle als Senatsvorsitzender am Mittwoch hinwies. Ebenso wie auch die Tatsache, dass es bislang nicht ein einziges Ermittlungsverfahren in Deutschland gibt wegen des Verdachts eines Verstoße gegen § 217 StGB.

Das könnte zwei Gründe haben: Entweder schränkt die Norm, abgesehen vom Betrieb eben der Vereine, die sie ja gerade verhindern wollte, niemanden in seiner Betätigung. So argumentiert die Bundesregierung. Oder aber, so argumentieren die Antragsteller, die Ärzte wagen es jetzt nicht mehr, ihre Patienten bei ihrem letzten Weg zu unterstützen. Es herrsche große Unsicherheit, Ärzte wüssten seit Inkraftreten von § 217 StGB nicht mehr, ob und wann sie sich strafbar machen, wenn sie jemandem ein Medikament verschreiben, mit dessen Hilfe er sterben kann, so die Kläger in Karlsruhe.

§ 217 StGB aus der Sicht von Ärzten und von Strafrechtlern

Andere Ärzte und ihre Vertreter sahen das anders. Sie erklärten, sich nicht eingeschränkt zu fühlen durch die neue Norm. Und recht schnell wurde deutlich, dass hinter dieser Beteuerung eine ganz andere, sehr große Sorge steckt: die Sorge, bei einem Wegfall der Strafnorm in eine faktische Pflicht zu geraten, Menschen beim Suizid zu unterstützen. Es war der Präsident der Ärztekammer Hamburg, der das Selbstverständnis der Ärzte ansprach, das sich traditionell mit der Erhaltung, nicht aber mit der Beendigung des menschlichen Lebens beschäftige. Letzteres sei noch neu, auch wenn die Diskussionsbereitschaft steige. Umfragen hätten gezeigt, dass sich Ärzte, die einer Assistenz beim Suizid kritisch gegenüber stehen – oder sich mit ihr gar nicht beschäftigen wollen -, sich durch die Norm des § 217 StGB nicht bedroht sehen. Gleich mehreren Aussagen von Medizinern konnte man gar entnehmen, dass die Strafnorm für sie eine Schutznorm zu sein scheint. Eine Vorschrift, die sie davor schützt, von jemandem um assistierten Suizid gebeten zu werden.

Dabei will – und kann – die Strafnorm ja nicht die Ärzte, die sowieso nie gegen sie verstoßen würden, davor schützen, in einen ethischen Konflikt zu kommen. Sondern sie will die Ärzte, die diesen ethischen Konflikt für sich anders entscheiden, davon abhalten, ihre Entscheidung umzusetzen -  zumindest wenn sie beabsichtigen, das mehr als einmal zu tun. Eingeschränkt fühlen sich von der Verbotsnorm diejenigen Ärzte, die ihren Beruf anders verstehen. Wer mit seinem medizinischen Ethos auch die Hilfe bei der Selbsttötung vereinbart, der werde durch § 217 StGB kriminalisiert, monieren die klagenden Ärzte. Wer einmal beim Suizid hilft und dabei auch nur die Absicht hat, in einem ähnlich drastisch gelagerten Fall wieder zu assistieren, könnte bereits "geschäftsmäßig" handeln und sich damit nach § 217 StGB strafbar machen.

Es ist diese mangelnde Bestimmtheit der Norm, die auch die strafrechtliche Literatur fast geschlossen kritisiert. Einer Norm, die, wie Klägervertreter Gerhard Strate anmerkte, eine Unterstützungshandlung zu einer Haupttat, die ihrerseits nicht strafbar ist, zu einer Haupttat erklärt. Der Selbstmord ist in Deutschland nicht strafbar. Wer jemandem mit Wiederholungsabsicht dabei hilft, ihn zu begehen, soll sich jetzt strafbar machen.

"Gesetzgeber muss den Rahmen schaffen, das Grundrecht auf Suizid zu verwirklichen"

Es bleibt also an den Ärzten hängen. Das sagte der Richter des BVerfG, Michael Huber. Das griff Richterin Sybille Kessal-Wulff auf, als sie fragte, warum der Gesetzgeber seiner Sorge, Hilfe zum Suizid könnte zum alltäglichen Dienstleistungsangebot werden, mit einer Strafnorm habe abhelfen wollen. Einer Norm also, die massiv in grundrechtlich geschützte Positionen eingreift. Und die deshalb eine Rechtfertigung bräuchte, einen legitimen Zweck, den sie nicht mit anderen, ebenso wirksamen Mitteln erreichen kann, um verfassungsgemäß zu sein.

§ 217 StGB greift ein in die Grundrechte von Ärzten, die sich in ihrer Berufsfreiheit verletzt sehen. Aber vor allem in die Grundrechte von Menschen, die sich das Leben nehmen wollen. Gerichtspräsident Voßkuhle brachte zum Ausdruck, dass er – wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, das Bundesverwaltungsgericht und die ganz herrschende Meinung in der juristischen Literatur - das Recht auf Suizid für ein Grundrecht hält. "Und dann ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen man dieses Grundrecht verwirklichen kann. Für diese Menschen brauchen wir einen Weg", stellte der Senatsvorsitzende klar.

Derzeit sehen die Verfassungsrichter diesen Weg durch § 217 offenbar verstellt. Wenn es keinen Sterbehilfeverein mehr gibt, der den Kontakt zu einem Arzt herstellen kann, und wenn es keinen Arzt mehr gibt, der das tödliche Medikament verschreibt, weil er damit ein Strafverfahren und den Verlust seiner Zulassung riskiert, dann ist ein Grundrecht auf einen selbstbestimmten Tod nur noch graue Theorie.

Mehr Suizide können mehr Gebrauch von Grundrechten bedeuten

Voßkuhle ergänzte, was den Bundestagsabgeordneten, die "ihren" § 217 StGB verteidigten, am Mittwoch ebenso wenig verständlich zu machen war wie mehreren Ärzten, die es aus ethischen Gründen ablehnen, Suizidbeihilfe zu leisten: Wenn sich die Zahl der Selbstmorde – wie auch in anderen Ländern wie den Niederlanden oder der Schweiz – nach der Ermöglichung des assistierten Suizids erhöhte, dann gilt es das aus Sicht der Bundestagsabgeordneten zu verhindern. Es war für sie einer der Hauptzwecke von § 217 StGB. Weil für sie das Leben an sich ein offenbar abstrakt und absolut zu schützender Wert ist.

Aus der Sicht des Verfassungsrechts aber, das stellte Voßkuhle klar, könnte eine gestiegene Anzahl an Suiziden ein Zeichen dafür sein, dass mehr Menschen von ihrem Grundrecht Gebrauch machen.

Aus grundrechtlicher, aus freiheitlicher Sicht braucht es einen Weg, den Menschen, die aufgrund eigenen, freien Entschlusses sterben wollen, einen selbstbestimmten Tod zu ermöglichen. Dazu braucht es Ärzte, die nicht befürchten müssen, dafür ins Gefängnis zu wandern. Abseits vom zutiefst menschlichen und vor allem ärztlichen Wunsch und Impuls, menschliches Leben zu erhalten. Abseits von Moral.

Zitiervorschlag

BVerfG verhandelt über § 217 StGB: Es bleibt an den Ärzten hängen . In: Legal Tribune Online, 17.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34975/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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