BVerfG kippt § 217 StGB: "Die freie Ent­schei­dung in letzter Kon­se­quenz akzep­tieren"

von Pia Lorenz

26.02.2020

Das BVerfG hat nicht nur das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt. Das Urteil ist eine klare Entscheidung für die Selbstbestimmung bis in die letzte Konsequenz. Der Gesetzgeber hat nun einiges zu tun.

"Wir mögen seinen Entschluss bedauern, wir dürfen alles versuchen, ihn umzustimmen, wir müssen seine freie Entscheidung aber in letzter Konsequenz akzeptieren". So beendete der Präsident des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) am Mittwoch seine Erklärung zur Nichtigerklärung von § 217 Strafgesetzbuch (StGB). Die Norm, welche die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt, sei verfassungswidrig (BVerfG, Urt. v. 26.02.2020, Az. 2 BvR 2347/15; 2 BvR 651/16; 2 BvR 1261/16).

Die Möglichkeiten, sich mit professioneller Hilfe das Leben zu nehmen, würden in einem solchen Umfang verengt, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verbleibe, so der Zweite Senat in seiner 115 Seiten langen Entscheidung, die man sich "nicht leicht gemacht" habe, wie Prof. Dr. Andreas Voßkuhle am Mittwochmorgen betonte.

Die Norm sei zwar geeignet, um die legitimen Schutzanliegen des Gesetzgebers zu erreichen, aber jedenfalls nicht angemessen, führte der Zweite Senat aus, der sie deshalb für nichtig erklärte.

"Das Recht auf Selbsttötung in weiten Teilen faktisch entleert"

Das BVerfG toleriert die Einschätzung des Gesetzgebers zum Zweck der Norm als "nachvollziehbar". Mit der von Anfang an umstrittenen Norm des § 217 StGB wollte der Gesetzgeber eine gesellschaftliche Normalisierung von Sterbehilfe insbesondere durch deren Kommerzialisierung vermeiden und labile Menschen, die nicht wirklich sterben wollten, vor interessengeleiteter Einflussnahme schützen.

Auch ein strafrechtliches Verbot erklärt das BVerfG für theoretisch denkbar, um Risiken zu begegnen. Die von § 217 StGB ausgehende Einschränkung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben in seiner existenziellen Bedeutung aber sei zumindest nicht angemessen und damit nicht verhältnismäßig. Denn der legitime Einsatz des Strafrechts finde seine Grenze dort, wo die freie Entscheidung nicht mehr geschützt, sondern unmöglich gemacht wird.

Mit seinem Urteil hat das BVerfG erstmals auch bestätigt, dass aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben erwächst. Und Deutschlands höchstes Gericht geht noch weiter: Das Recht auf Selbsttötung verbiete es, die Zulässigkeit einer Hilfe zur Selbsttötung materiellen Kriterien zu unterwerfen. Das bedeutet auch: Sie darf nicht von einer unheilbaren Krankheit abhängig gemacht werden.

Im Gefüge mit der übrigen deutschen Rechtslage führe § 217 StGB dazu, dass das Recht auf Selbsttötung in weiten Teilen faktisch entleert würde. Der Entschluss zur Selbsttötung sei in seiner Umsetzung tatsächlich davon abhängig, dass Dritte bereit sind, Gelegenheit zum Suizid zu gewähren, zu verschaffen und zu vermitteln. In rechtlicher Hinsicht müssten diese Dritten ihre Bereitschaft auch umsetzen dürfen, so das BVerfG. Die unter § 217 StGB verbleibenden Optionen aber seien, so der Senat, nur noch eine theoretische, nicht eine echte Aussicht auf Selbstbestimmung.

Hilfe beim Sterben ersetzt nicht Hilfe zum Sterben

Die bestehenden Palliativangebote seien kein Korrektiv zur Beschränkung von frei gefassten Selbsttötungsentschlüssen und niemand sei verpflichtet, sie in Anspruch zu nehmen, auch wenn sie möglicherweise den Sterbewunsch so manches Todkranken reduzierten.  

Darauf, einen Arzt zu finden, der aus dem Leben hilft, können sich die Betroffenen nicht verlassen. Das Selbstverständnis vieler Mediziner ist noch immer auf das Erhalten, nicht das Beenden von Leben gerichtet. Vor allem aber untersagt ihr Berufsrecht ihnen de lege lata – in den meisten Ländern - die ärztliche Suizidhilfe. Diejenigen unter ihnen, die sich bereit erklären, Menschen aus dem Leben zu helfen, müssen also häufig gegen geschriebenes Recht verstoßen.

Solange das so bleibt, brauche es auch geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe, stellte der Senat am Mittwoch klar, der auch der Verfassungsbeschwerde von Dignitas Deutschland stattgab. Ohne geschäftsmäßige Angebote hänge es sonst mehr oder weniger vom Zufall ab, ob ein Sterbewilliger einen Arzt findet, der bereit ist, ihm Suizidhilfe zu leisten.

Was das für Ärzte, Sterbehilfeorganisationen und Jens Spahn bedeutet

Für den Gesetzgeber ist nun klar, dass es keine Grundlage für ein Verbot von Sterbehilfeorganisationen gibt. Im Gegenteil: Nun gibt es, von höchster juristischer Stelle bescheinigt, einen Bedarf für deren Tätigkeit, den der Gesetzgeber auch mit größter Mühe nicht mehr wird ignorieren können. Zumindest so lange nicht, wie er es Sterbewilligen nicht auf andere Art und Weise ermöglicht, auf zumutbarem Wege an die Mittel kommen, um würdig und in Ausübung ihrer Autonomie sterben zu können.

Das BVerfG unterstreicht, dass der Gesetzgeber Suizidhilfe durchaus regulieren dürfe, aber eben nur im Rahmen der Akzeptanz dieser Autonomie. Deutschlands höchste Richter machen sehr deutlich, dass die Vorgaben sich an dieser Autonomie als oberstes Gebot zu orientieren haben werden - und verweisen auf ein "breites Spektrum an organisierte Sterbehilfe", das dem Gesetzgeber offen stehe.

Großen Wert legt das BVerfG dabei auf den Nachweis der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Selbsttötungswillens, an den "je nach Lebenssituation unterschiedliche Anforderungen" gestellt werden könnten. Der Senat verweist auf die Möglichkeit, prozedural abzusichern, dass der Sterbewille nicht nur kurzfristig oder aus einer dunklen Phase heraus entsteht, sondern dauerhaft bleibt und auf einer freien Entscheidung beruht.

Aufklärungspflichten sprechen die Richter ebenso an wie Wartepflichten zwischen der ersten Beratung und der Umsetzung des Sterbewunschs. Erlaubnisvorbehalte, welche die Zulässigkeit von Suizidhilfeangeboten sichern, halten sie für ebenso denkbar wie – auch strafrechtliche - Verbote besonders gefahrträchtiger Erscheinungsformen der Sterbehilfe.

Es folgt ein weiterer Hinweis aus Karlsruhe, der nur als mehr als deutlich in die Richtung von Bundesgesundheitsminsiter Jens Spahn gedeutet werden kann, der veranlasst hat, dass trotz einer entgegenstehenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tödliche wirkende Medikamente nicht an Suizidwillige herausgegeben werden. Dem Recht des Einzelnen, so die Karlsruher Verfassungsrichter, aufgrund freier Entscheidung mit Unterstützung Dritter aus dem Leben zu scheiden, müsse auch faktisch hinreichender Raum zur Entfaltung und Umsetzung belassen werden. Das erfordere eine konsistente Ausgestaltung des – derzeit zersplitterten - Berufsrechts der Ärzte und der Apotheker sowie eventuell eine Anpassung des Betäubungsmittelrechts.

Für die Ärzte bedeutet das Karlsruher Urteil nicht, dass Sterbewillige künftig einen Anspruch  auf Suizidhilfe hätten, das stellt das BVerfG mit Blick auf die Ärzteschaft klar. Kein Arzt wird verpflichtet werden, Sterbehilfe zu leisten.

Zitiervorschlag

BVerfG kippt § 217 StGB: "Die freie Entscheidung in letzter Konsequenz akzeptieren" . In: Legal Tribune Online, 26.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40489/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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