Nach Anschlägen: Bundeswehreinsatz im Inland?: Es braucht mehr als eine Schön­wet­ter­ord­nung

von Dr. Manuel Ladiges, LL.M. (Edinburgh)

02.08.2016

Nach den jüngsten Anschlägen ertönt der Ruf nach einer Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr. Manuel Ladiges gibt einen Überblick zur geltenden Rechtslage und zeigt, wo im Gesetz die Lücken für Einsätze gegen den Terror liegen.

Nach dem Amoklauf in München, der Messerattacke bei Würzburg und dem Selbstmordanschlag in Ansbach steht wieder einmal der Einsatz der Bundeswehr im Inland zur Debatte. Bayerns Innenminister Hermann forderte, "in Fällen akuter, extremer Bedrohung" müssten auch die Streitkräfte unter Leitung des betroffenen Bundeslandes zur Gefahrenabwehr im Inland eingesetzt werden. Entsprechend hatte Verteidigungsministerin von der Leyen nach dem Amoklauf in München Bundeswehreinheiten in erhöhte Bereitschaft versetzt, um notfalls die Polizeikräfte unterstützen zu können.

Generell lässt sich ein striktes Verbot von Bundeswehreinsätzen im Inland aus dem Grundgesetz nicht herleiten. Bei der Aufstellung der Bundeswehr wurde 1956 zwar in Art. 143 Grundgesetz (GG) alte Fassung eine Sperrvorschrift für Inlandseinsätze in das Grundgesetz aufgenommen. Es bestand zu diesem Zeitpunkt jedoch weitgehend Einigkeit, dass diese Vorschrift nur temporären Charakter haben, aber nicht zum Ausdruck bringen sollte, dass die neu aufgestellten Streitkräfte ausschließlich den äußeren Feind bekämpfen sollten.

Richtig ist, dass die Bundeswehr ihren Hauptauftrag, nämlich die "Verteidigung" gemäß Art. 87a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GG, im Inland ausüben kann, ohne dass es dazu einer gesonderten Ermächtigung im Grundgesetz bedarf. Zum Verteidigungsauftrag gehört auch die Eigensicherung der Streitkräfte. Würde bei einem größeren Schadensereignis etwa auf Sanitätskräfte der Bundeswehr zur Versorgung von Verwundeten zurückgegriffen werden, könnte die Bundeswehr selbst die Sanitätseinheiten schützen und dazu auch mit hoheitlichem Zwang gegen Störer vorgehen. Im Spannungsfall, der in einer Krisensituation schon im Vorfeld von konkreten Gefahren oder Schadensereignissen vom Bundestag gemäß Art. 80a GG festgestellt werden könnte, und im Verteidigungsfall kann auf die Streitkräfte gemäß Art. 87a Abs. 3 S. 2 GG der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden. Es handelt sich dabei um die Wahrnehmung von polizeilichen Aufgaben durch die Bundeswehr, die – wie die Systematik von Art. 87a Abs. 3 GG zeigt – vom Verteidigungsauftrag unabhängig ist.

Knackpunkt: Vorliegen eines "katastropischen Ausmaßes"

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Plenarbeschluss vom 3. Juli 2012 zum Luftsicherheitsgesetz entschieden, dass auch absichtlich herbeigeführte Ereignisse von "katastrophischem Ausmaß" einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne von Art. 35 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1 GG darstellen können. Im sogenannten Katastrophennotstand können die Streitkräfte auch hoheitlich, also mit Zwangsbefugnissen, eingesetzt werden. Die rein technische Hilfe, wie etwa Hilfsleistungen beim Hochwasserschutz, wird bereits über die allgemeine Amtshilferegelung in Art. 35 Abs. 1 GG erfasst.

Im regionalen Katastrophennotstand kann eine Landesregierung die Streitkräfte anfordern und den Einsatz leiten, während beim überregionalen Katastrophennotstand die Bundesregierung – nach Auffassung des BVerfG in Form einer Kollegialentscheidung – den Einsatz beschließen kann. Demnach können auch terroristische Angriffe, die aus dem Inland herrühren, beim Erreichen eines katastrophischen Ausmaßes mit Hilfe der Streitkräfte bekämpft werden. Nach Ansicht des BVerfG ist dabei auch die Verwendung spezifisch militärischer Waffen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, soweit die strengen Voraussetzungen für einen bewaffneten Einsatz gemäß Art. 87a Abs. 4 GG nicht umgangen werden. Nach der geltenden Rechtslage ist also ein Einsatz der Bundeswehr zur Abwehr von terroristischen Angriffen auch unterhalb der strengen Voraussetzungen des inneren Notstands nach Art. 87a Abs. 4 GG nicht schlechthin ausgeschlossen.

Zitiervorschlag

Dr. Manuel Ladiges, LL.M. (Edinburgh), Nach Anschlägen: Bundeswehreinsatz im Inland?: Es braucht mehr als eine Schönwetterordnung . In: Legal Tribune Online, 02.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20177/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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