BGH zu embryonalen Stammzellen: Keine Chance für kein Patent auf Leben

von Oliver Tolmein

28.11.2012

Glaubt man den Presseerklärungen der Parteien, dann gab es am Dienstag vor dem X. Senat des BGH nur Gewinner. Greenpeace zeigte sich zufrieden, dass kein Patent auf menschliche Embryonen zugelassen wurde. Der Wissenschaftler Brüstle sieht sein Patent dennoch weiter geschützt. Oliver Tolmein befürchtet, dass sich eine Forschung etabliert, die zwar Embryonen nicht zerstört, aber doch gefährdet.

Der Streit hat bereits das Bundespatentamt und den Europäischen Gerichtshof (EuGH, Urt. v. 18.10.2011, Az. C-34/10) beschäftigt. Letzterer zeichnete das Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vor: Das Patent konnte in der 1999 erteilten und auch jetzt noch von Brüstle verteidigten Fassung keinen Bestand haben, weil es auf der Zerstörung menschlicher Embryonen gründet (Urt. v. 27.11.2012, Az. X ZR 58/07).

Der konsequenten "Kein Patent auf Leben"-Position erteilten die Bundesrichter dennoch eine Absage, indem sie dem Hilfsantrag des Neurowissenschaftlers stattgaben. Brüstle hat damit erreicht, dass sein Patentschutz für unreife Körperzellen bestehen bleibt, soweit menschliche embryonale Stammzellen gewonnen werden können, ohne dabei zerstört zu werden. Die Zellen sollen schließlich zur Behandlung neurologischer Krankheiten wie multiple Sklerose oder Parkinson dienen.

Greenpeace: kommerzielle Verwendung menschlicher Embryonen Tür und Tor geöffnet

Menschliche embryonale Stammzellen selbst hält der BGH nämlich nicht für Embryonen im Sinne der EU-Biopatentrichtlinie. Denn Stammzellen könnten nicht die Entwicklung eines Menschen in Gang setzen. Es genüge nicht, dass sie durch Kombination mit anderen Zellen diese Fähigkeit gewinnen könnten, um sie schon davor als Embryonen zu verstehen.

Der EuGH hatte in seiner Entscheidung, in der es nicht um den Hilfsantrag ging, noch offen gelassen, ob embryonale Stammzellen Embryonen im unionsrechtlichen Sinne sind. Das sollten, so die Luxemburger Richter, die nationalen Gerichte im Lichte der aktuellen wissenschaftlichen Entwicklung beurteilen.

Die Karlsruher Richter haben diesen Spielraum nun zugunsten Brüstles genutzt – wie weit und mit welchen Konsequenzen wird sich erst zeigen, wenn die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen. In einem Papier über die Hintergründe des exemplarischen Rechtsstreits hatte die Umweltorganisation Greenpeace vor der Verhandlung mit Blick auf den Hilfsantrag festgestellt: "Würde der BGH der Argumentation der Patentinhaber zustimmen, würde der Patentierung einer kommerziellen Verwendung menschlicher Embryonen Tür und Tor geöffnet."

Die Umweltschützer und Patentkritiker befürchten nämlich ein erhebliches Risiko, dass Embryonen – selbst wenn sie bei der Entnahme von Zellen nicht zerstört würden – doch in einem Ausmaß geschädigt werden, das nur zu Forschungszwecken nicht akzeptabel sei. Vor der Verhandlung hatte Greenpeace außerdem darauf hingewiesen, dass bei einer Durchsetzung des Hilfsantrages die Gefahr bestehe, dass ethisch bedenkliche Patente künftig in Europa "richtig" formuliert angemeldet werden könnten.

Patentanträge müsse nur sorgsam genug formuliert werden

Damit greift die Organisation einen Aspekt auf, der in der mündlichen Verhandlung durchaus eine gewisse Rolle gespielt hat: Die Richter hielten es für ausschlaggebend, wie das Verfahren in der Patentschrift beschrieben wird. So hieß es in der Pressemitteilung von Mittwoch, dass Brüstle-Patent in seiner ursprünglich erteilten Form könne keinen Bestand haben. Andernfalls werde der nicht mit dem Patentgesetz zu vereinbarende Eindruck vermittelt, die Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen aus Embryonen sei von der Patentierung umfasst und werde vom Staat gebilligt.

Wissenschaftler müssen in Zukunft also nur sorgsam genug die Formulierungsklippen umschiffen und ihre Patentanträge werden bessere Erfolgschancen haben als der Brüstles, obwohl sie im Grunde auf denselben Entwicklungen beruhen. Was in Europa nun passieren könnte, hat der Brüstle in seinem freundlichen Kommentar zu der BGH-Entscheidung angedeutet: Das Urteil komme zu einer Zeit, in der mehr und mehr Alternativen für die Gewinnung pluripotenter Zellen entwickelt werden, und schaffe Klarheit darüber, auf welche Zelllinien sich die Forschung bei der Entwicklung von Zelltherapien konzentrieren könne.

Ob am Ende wirklich nachvollzogen werden kann und nachvollzogen wird, welche Zellinien Eingang in ein Patent gefunden haben, bleibt damit völlig offen. Für einen wirksamen Embryonenschutz könnte damit wenig gewonnen sein, weil anstelle einer Forschung, die Embryonen zerstört, eine treten wird, die Embryonen gefährdet, wenngleich sie ansonsten nützlich sein mag.

Der Autor Dr. Oliver Tolmein ist Fachanwalt für Medizinrecht und Gründungspartner der überregional tätigen Kanzlei Menschen und Rechte. Er unterhält das Blog biopolitikblog.de.

Zitiervorschlag

Oliver Tolmein, BGH zu embryonalen Stammzellen: Keine Chance für kein Patent auf Leben . In: Legal Tribune Online, 28.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7662/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen