BSG zum Bezug von Arbeitslosengeld: Frei­ge­s­tellt und trotzdem beschäf­tigt

Gastbeitrag von Radoslaw Kleczar

24.09.2018

Das BSG schafft endlich Rechtsklarheit: Auch der Zeitraum einer unwiderruflichen Freistellung von der Arbeit spielt für die Berechnung des Arbeitslosengelds eine Rolle. Eine richtige Entscheidung, findet Radoslaw Kleczar.

Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts vom Arbeitgeber unwiderruflich freigestellt wird, sind bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes zu berücksichtigen. Das hat der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) entschieden (Urt.v. 30.08.2018, Az. B 11 AL 15/17 R).

Im Fall, der dem Urteil des BSG zugrunde lag, hatte die Klägerin, die seit 1996 als Pharmareferentin beschäftigt war, einvernehmlich durch Aufhebungsvertrag mit ihrer Arbeitgeberin die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart. Zudem einigten sich die Parteien darüber, dass die Arbeitnehmerin bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Unternehmen von der Arbeitsleistung unwiderruflich freigestellt wird. In der Zeit der Freistellung zahlte die Arbeitgeberin an die Klägerin ihre monatliche Vergütung unverändert weiter. Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses bezog die Klägerin zunächst Krankengeld. Sodann beantragte sie Arbeitslosengeld. Bei der Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes ließ die Bundesagentur für Arbeit die Zeit der unwiderruflichen Freistellung unberücksichtigt. Dies begründete sie damit, dass die Beschäftigung der Klägerin bereits mit dem Beginn der Freistellungsphase geendet habe.

Die Höhe des Arbeitslosengeldes richtet sich gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) III nach dem durch den Arbeitnehmer im Durchschnitt erzielten Bruttoentgelt innerhalb des Bemessungszeitraums. Dieser Bemessungszeitraum erstreckt sich gemäß § 150 Abs. 1 SGB III auf die versicherungspflichtigen Beschäftigungen des Arbeitnehmers innerhalb des Bemessungsrahmens von einem Jahr. In der Regel unkompliziert ist daher die Ermittlung der Höhe des Arbeitslosengeldes ist in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses tatsächlich gearbeitet hat.

Uneinheitliche LSG-Rechtsprechung

Umstritten war aber die Berechnung in denjenigen Fällen, in denen der Arbeitnehmer bis zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unwiderruflich von der Arbeitspflicht freigestellt war. Uneinigkeit herrschte zwischen den Landessozialgerichten (LSG) insbesondere bei der Frage, ob in der Phase der Freistellung noch ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 150 SGB III gegeben ist, mit der Rechtsfolge, dass der in dieser Zeit gezahlte Lohn als Bemessungsentgelt anzusehen ist. Die Ablehnung eines Beschäftigungsverhältnisses in der Freistellungszeit hatte für den Arbeitnehmer regelmäßig schwerwiegende Konsequenzen. Sie führte zur Erweiterung des Bemessungsrahmens auf zwei Jahre gemäß § 150 Abs. 3 SGB III und häufig dazu, dass dem Arbeitslosengeld das fiktive Arbeitsentgelt gemäß § 152 SGB III zugrunde gelegt wurde, das regelmäßig niedriger war als der tatsächlich gezahlte Lohn.

Die LSG Baden-Württemberg, Hamburg und Bayern vertraten bislang die Auffassung, dass in der Phase der unwiderruflichen Freistellung keine Beschäftigung im leistungsrechtlichen Sinne vorläge. Folglich berücksichtigten die Richter bei der Festlegung des Bemessungsentgelts und des Bemessungsrahmens die Zeit der unwiderruflichen Freistellung nicht. Auch die Bundesagentur für Arbeit sah in ihren Geschäftsanweisungen vor, dass die Freistellungsphase nicht zu berücksichtigen ist.

Das LSG NRW vertrat eine andere Auffassung und meinte, dass in der Freistellungsphase nicht nur eine versicherungspflichtige, sondern auch eine Beschäftigung im Sinne des § 150 SGB III vorläge. Der während der unwiderruflichen Freistellung erhaltene Lohn sei daher bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes zu berücksichtigen.

Konsequentes BSG

Bereits 2008 hatte das BSG festgestellt, dass eine unwiderrufliche Freistellung des Arbeitnehmers keinen Einfluss auf das Vorliegen einer Beschäftigung im versicherungsrechtlichen Sinne hat. Mit dem Urteil vom 30.08.2018 stellt das BSG nun klar, dass auch bezüglich der Bemessung des Arbeitslosengeldes die Beschäftigung im versicherungsrechtlichen Sinne entscheidend ist. Folglich ist auch das in der Zeit der Freistellung erzielte Arbeitsentgelt bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes zu berücksichtigen.

Die Entscheidung des BSG ist zu begrüßen. Das Gericht beendet damit die unterschiedliche Bewertung der unwiderruflichen Freistellung. Damit hat es auch eine große praktische Relevanz. Denn Freistellungsvereinbarungen spielen bei Verhandlungen über die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine wichtige Rolle. Bislang musste die Ungewissheit der Auswirkungen einer längeren Freistellung Berücksichtigung finden und die Arbeitnehmer von den ggf. drohenden Rechtsfolgen gewarnt werden. Nach der Entscheidung des BSG können die Parteien nun eine Freistellungsvereinbarung treffen, ohne dass diese für den Arbeitnehmer mit negativen Konsequenzen im Hinblick auf das Arbeitslosengeld behaftet wäre.

Der Autor Radoslaw Kleczar ist Rechtsanwalt bei Pauly & Partner Rechtsanwälte, Fachanwälte für Arbeitsrecht in Bonn. Er berät Unternehmen und Arbeitnehmer in allen Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts.

Zitiervorschlag

BSG zum Bezug von Arbeitslosengeld: Freigestellt und trotzdem beschäftigt . In: Legal Tribune Online, 24.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31087/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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