Fahndungsaufruf in der Bild-Zeitung: Wenn Jour­na­listen sich für Staats­an­wälte halten

2/2: Eine Öffentlichkeitsfahndung ist keine Verdachtsberichterstattung

Die Berichterstattung ist damit nach den Vorgaben der Verdachtsberichterstattung unzulässig. Ihre rechtliche Bewertung muss aber genaugenommen bereits einen Schritt früher ansetzen, da es sich nicht lediglich um eine Verdachtsmeldung, sondern vor allem auch um eine Öffentlichkeitsfahndung handelt.

Während Medien im Rahmen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung die Aufgabe zukommt, Missstände und Straftaten in der Gesellschaft durch investigative Recherchen aufzudecken, liegt die Zuständigkeit für Öffentlichkeitsfahndungen ausschließlich bei den Strafverfolgungsbehörden. Weil der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht bei einer solchen öffentlichen Fahndung immens ist, muss  selbst die Polizei zuvor sämtliche anderen zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten, wie beispielsweise Zeugenvernehmungen oder Videoauswertungen, ausgeschöpft haben, bevor sie eine Person öffentlich zur Fahndung ausschreibt. Aus diesem Grund kommt es grundsätzlich auch immer erst nach einem gewissen Zeitablauf zu einer Öffentlichkeitsfahndung.

Vor einer durch die Polizei initiierten öffentlichen Fahndung ist darüber hinaus auch immer noch ein offizieller staatsanwaltschaftlicher oder richterlicher Beschluss erforderlich, wie er beispielsweise bei den Öffentlichkeitsfahndungen nach dem U-Bahn-Treter von Berlin oder nach den Jugendlichen, die einen Obdachlosen angezündet haben, vorlag. In diesen Fällen dürfen die Medien die Öffentlichkeitsfahndung der Polizei dann auch zum Anlass identifizierender Berichterstattung nehmen.

Diese hohen Hürden für die ausschließlich zuständigen Polizeibehörden lassen keinen Zweifel daran, dass der öffentliche und bereits unmittelbar nach den Ausschreitungen erfolgte Fahndungsaufruf der Bild-Zeitung rechtswidrig war.

Der Grund für diese äußerst restriktiven Voraussetzungen einer Öffentlichkeitsfahndung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes liegt im Schutz des Persönlichkeitsrechts. Die Prangerwirkung einer Vorverurteilung durch eine Öffentlichkeitsfahndung ist spätestens im Zeitalter von Social Media tatsächlich nicht mehr auszuräumen. Wenn sich danach im Ermittlungs- oder auch im anschließenden Strafverfahren herausstellt, dass die gesuchte Person doch unschuldig war, ist der angerichtete schwere Reputationsschaden regelmäßig nicht wiedergutzumachen, weil die Feststellung der Unschuld sich erfahrungsgemäß sehr viel schwächer öffentlich verbreitet, als die vorherige Vorverurteilung.

Welche Konsequenzen drohen der Bild?

Da im vorliegenden Fall davon auszugehen ist, dass die Abgebildeten von einer Durchsetzung ihrer Ansprüche wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung gegen Bild Print und Bild Online eher absehen werden, wird es wahrscheinlich nur zu einer Rüge des Deutschen Presserats kommen, die in der Praxis leider ein eher stumpfes Schwert darstellt. Interessanter wäre da schon die Prüfung einer möglichen Strafanzeige wegen Amtsanmaßung nach § 132 StGB gegen die verantwortlichen Redakteure. Sollte ein Gericht über die unzulässige Verdachtsberichterstattung hinaus tatsächlich auch eine unzulässige Öffentlichkeitsfahndung durch die Bild bejahen, hätte die Bild mangels polizeilicher Kompetenzen und mangels richterlichem oder staatsanwaltlichem Beschluss eine Handlung vorgenommen, welche nur Kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf. Womit nicht gesagt sein soll, dass es sich bei den verantwortlichen Redakteuren um Verbrecher handelt: Im deutschen Recht ist die Amtsanmaßung aufgrund des angedrohten Strafmaßes (Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe) lediglich ein Vergehen.

Abschließend ist noch einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Polizei intensive Ermittlungen nach den Tätern vom G20-Gipfel aufgenommen hat. Aktuell können beispielsweise über ein dafür eingerichtetes Portal Videos und Fotos von jedermann hochgeladen werden, die der Polizei bei der Überführung der Täter helfen können. Und wenn die Personalien der Täter in einzelnen, besonders schwerwiegenden Fällen letztlich nicht ermittelt werden können, kommt es vielleicht auch noch zu einer zulässigen Öffentlichkeitsfahndung durch die Polizei.

Der Autor Dr. Niklas Haberkamm, LL.M. oec. ist Partner der Kanzlei Lampmann, Haberkamm & Rosenbaum in Köln. Er ist spezialisiert auf Medienrecht und dort insbesondere auf das Reputationsmanagement sowie den Schutz des Persönlichkeitsrechts.

Zitiervorschlag

Niklas Haberkamm, Fahndungsaufruf in der Bild-Zeitung: Wenn Journalisten sich für Staatsanwälte halten . In: Legal Tribune Online, 14.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23459/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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