BGH zu Arzthaftung nach Lebendorganspende: Ärzte müssen Organ­spender vor sich selbst schützen

Gastbeitrag von Prof. Dr. Martin Rehborn

30.01.2019

Vor einer Lebendorganspende müssen Ärzte die Spender über alle Risiken des Eingriffs aufklären. Auch Formverstöße können ihnen  zum Verhängnis werden, so der BGH. Im Ergebnis richtig, in der Begründung fragwürdig, findet Martin Rehborn.

Wenn ein Patient auf ein Spenderorgan wartet, bedeutet das für ihn und seine Angehörigen eine Zeit voller Angst, Ungewissheit und Einschränkungen. In einigen Fällen entschließt sich ein nahestehender Mensch, meist ein Familienmitglied, dann zu einer Lebendorganspende, die bei einer Niere oder einem Teil der Leber möglich ist. Aber in welchem Umfang müssen Ärzte die hilfsbereiten Spendewilligen vor übereilten Entscheidungen schützen? Damit hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Entscheidung am Dienstag zu befassen und sprach zwei Spendern dem Grunde nach Schadensersatzansprüche gegen ein Krankenhaus zu (Urt. v. 29.01.2019, Az. VI ZR 495/16; VI ZR 318/17).

Die Karlsruher Richter hatten dabei erstmals über die Haftung eines Transplantationszentrums gegenüber einem Organspender zu entscheiden. Nachdem die Kläger ihren Angehörigen eine Niere gespendet hatten behaupteten sie, an einem sog. Fatigue-Syndrom zu leiden, das sich durch anhaltende Müdigkeit, Erschöpfung und Antriebslosigkeit bemerkbar macht. Sie waren der Ansicht, diese Erkrankung sei eine Folge der Transplantation, über die sie nicht aufgeklärt worden seien.

Die Klägerin des ersten Verfahrens (VI ZR 495/16) spendete ihrem an einer chronischen Niereninsuffizienz leidenden Vater im Februar 2009 eine Niere. Im Mai 2014 verlor er das Organ. Nun behauptete sie, angesichts ihres gesundheitlichen Zustandes hätte die Nierenentnahme nicht durchgeführt werden dürfen, das chronische Fatigue-Syndrom sei die Folge. Die Aufklärung vor der Operation sei dabei nicht nur inhaltlich unzureichend gewesen, sondern auch formal nicht korrekt, weil es an der in § 8 Abs. 2 Transplantationsgesetz (TPG) geforderten Anwesenheit eines weiteren Arztes sowie der dort vorgegebenen Niederschrift fehle.

Vergleichbar ist der Sachverhalt des zweiten Verfahrens (VI ZR 318/17). Der Kläger spendete seiner dialysepflichtigen Ehefrau im August 2010 ebenfalls eine Niere. Auch er behauptete, die Organentnahme sei wegen einer eigenen Vorerkrankung kontraindiziert gewesen. Seit der Operation leide auch er an einem chronischen Fatigue-Syndrom. Außerdem sei die Risikoaufklärung  – ähnlich wie im ersten Verfahren – formal und inhaltlich unzureichend gewesen.

OLG unterstellte Einwilligung trotz unzureichender Aufklärung

Beide Klagen waren in den Vorinstanzen erfolglos. Das OLG Hamm (3 U 6/16 bzw. 3 U 172/16) konnte keinen Behandlungsfehler feststellen, zudem habe  beim jeweiligen Spender keine Kontraindikation für die Lebendspende eine Niere bestanden. Ein Verstoß gegen das Entnahmeverbot des § 8 Abs. 1 Satz 1 c) TPG liege deshalb nicht vor, befanden die Richter.

In beiden Fällen sah das OLG zwar die Aufklärung als unzureichend an. Die Eingriffe seien nicht medizinisch indiziert gewesen, weshalb an die Aufklärung besonders strenge Anforderungen zu stellen seien. So spreche einiges dafür, dass man auch auf die Möglichkeit von Fatigue-Erscheinungen hätte hinweisen müssen, befand das Gericht.

Dennoch lehnte es in Übereinstimmung mit früherer Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Urt. v. 25.08.2018, Az. 8 U 115/12) die Haftung der Ärzte ab, da die Formverstöße nicht zur Unwirksamkeit der Einwilligungserklärung der Spender führten. Vielmehr handele es sich um "allgemeine Verfahrensregelungen, die nicht die Frage der Wirksamkeit der Einwilligung im Einzelfall regeln sollen".

Jedenfalls aber liege ein Fall der hypothetischen Einwilligung vor. In beiden Verfahren hätten die Spender nämlich auch dann in die Organentnahme eingewilligt, wenn man sie zuvor ausreichend und auch über das Risiko von Fatigue-Erscheinungen aufgeklärt hätte. Die Spender hätten nämlich ihren Angehörigen, dem Vater bzw. der Ehefrau, auch in Kenntnis dieser möglichen Folgen helfen wollen.

BGH: Formverstöße als Indiz für schlechte Aufklärung

Der BGH hob nun die Entscheidungen des OLG auf. Beide Klagen seien dem Grunde nach begründet. Lediglich zur Feststellung des Schadensumfangs verwies er die Sachen noch einmal zurück nach Hamm. Der VI. Zivilsenat bekräftigte dabei zwar, dass die Klagen nicht bereits wegen der festgestellten Formverstöße begründet seien, da sie nicht per se zur Unwirksamkeit der Einwilligung führten. Allerdings wies er darauf hin – und das wird in Zukunft bei Streitigkeiten um Lebendorganspenden in den Tatsacheninstanzen zwangsläufig Berücksichtigung finden müssen –, dass diese Verstöße als starkes Indiz dafür heranzuziehen seien, dass eine Aufklärung nicht oder jedenfalls nicht in hinreichender Weise stattgefunden habe.

Allerdings erkannten die Karlsruher Richter auch inhaltliche Mängel an der Aufklärung beider Spender, die nicht ausreichend über die gesundheitlichen Folgen der Organentnahme informiert worden seien. Zudem hätte die Klägerin des ersten Verfahrens auch über das erhöhte Risiko eines Transplantatverlustes bei ihrem Vater aufgeklärt werden müssen. Die Nichterteilung dieser Informationen führe zur Unwirksamkeit der Einwilligung in die Organentnahme. Insoweit befand sich der BGH in Übereinstimmung mit der Vorinstanz.

Schutzzweck des TPG verbietet hypothetische Einwilligung

Anders als das Oberlandesgericht verneinte der BGH aber die Möglichkeit des Rückgriffs auf die hypothetische Einwilligung. Diese in der Rechtsprechung seit Jahrzehnten gefestigte und seit 2013 durch das Patientenrechtegesetz verankerte Konstruktion gibt Ärzten und Krankenhäusern die Möglichkeit, sich darauf zu berufen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte. Kann das gerichtlich festgestellt werden, entfällt eine Haftung. Dadurch wird dem Gedanken Rechnung getragen, dass die unzureichende Aufklärung nicht ursächlich für den schadenverursachenden Eingriff war, da der Patient – so oder so – zugestimmt hätte.

Der BGH sah für diesen Einwand in den zu entscheidenden Fällen keinen Raum, da die hypothetische Einwilligung im TPG nicht geregelt sei. Das Transplantationsrecht beinhalte aber ein gesondertes Regelungsregime – zum Arzthaftungsrecht entwickelten Grundsätze ließen sich hierauf nicht übertragen. Schließlich sei der Einwand auch nicht nach dem allgemeinen schadensersatzrechtlichen Gedanken des rechtmäßigen Alternativverhaltens beachtlich, weil dies dem im TPG verankerten Schutzzweck der erhöhten Aufklärungsanforderungen widerspräche.

Dessen Aufklärungsvorgaben dienten dazu, den "Schutz des Spenders vor sich selbst" – so der BGH in seiner Presseerklärung – zu gewährleisten. Würde man in dieser Situation den Einwand der hypothetischen Einwilligung zulassen, würden diese besonderen Schutzvorschriften des TPG unterlaufen, wodurch das Vertrauen potentieller Spender in die Transplantationsmedizin erschüttert werde.

Aufklärung über Risiken – aber auch über Chancen

Die Entscheidung des BGH überzeugt allerdings nur auf den ersten Blick. Die Besonderheiten des Behandlungsvertrages und damit wesentliche Grundlagen der Haftung von Ärzten, Krankenhäusern oder sonstigen Behandelnden sind im Bürgerlichen Gesetzbuch umfassend geregelt – nicht nur für „normale“ Behandlungen außerhalb der Transplantationsmedizin. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH dazu in der demnächst zu erwartenden umfassenden Urteilsbegründung Stellung nimmt.

Eines aber steht sehr zu recht fest: Wer uneigennützig zu Lebzeiten ein Organ (oder Teile hiervon, wie es z.B. bei der Leber möglich ist) spendet, hat einen Anspruch auf eine umfassende Aufklärung. Diese hat nicht nur die Risiken zu umfassen, denen er sich aussetzt, sondern auch die Chancen, die die Transplantation dem Empfänger – regelmäßig nahe Angehörige – bietet. Das ist in Zukunft der Maßstab.

Prof. Dr. Martin Rehborn, Dortmund, ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht. Er lehrt Gesundheitsrecht an der juristischen Fakultät der Universität zu Köln. Zu seinen Tätigkeitsbereichen gehören das Arzthaftungs- wie auch dasTransplantationsrecht.

Zitiervorschlag

BGH zu Arzthaftung nach Lebendorganspende: Ärzte müssen Organspender vor sich selbst schützen . In: Legal Tribune Online, 30.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33531/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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