BGH zum Vergabeverfahren: Ruinöser Kalkulationsirrtum kann Vertrag vernichten

von Prof. Dr. Stephan Lorenz

12.11.2014

Es ist der Alptraum jedes Unternehmers: Nach Abgabe des Angebots für eine Ausschreibung stellt man einen Rechenfehler fest, die angebotene Leistung kann man zu diesem Preis nicht ansatzweise wirtschaftlich erbringen. Wenn man dann mit offenen Karten spielt, muss der Auftraggeber den Vertrag aufheben, entschied der BGH am Dienstag. Aber nur dann, erklärt Stephan Lorenz.

Der Fall, mit dem der u.a. für Rechtsstreitigkeiten in Vergabesachen zuständige X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) sich am Dienstag zu beschäftigen hatte, betrifft Grundfragen des Vertragsschlusses im Vergabeverfahren.

Ein Bundesland hatte Straßenbauarbeiten ausgeschrieben, der nun beklagte Bieter hatte diese für einen Preis von circa 455.000 Euro angeboten. Damit war er bei weitem der günstigste Bieter, das nachgünstigste Angebot belief sich bereits auf circa 621.000 Euro.

Zu diesem massiven Preisunterschied war es dadurch gekommen, dass das Unternehmen in einer bestimmten Position des Angebots einen falschen Mengenansatz eingestellt hatte. Es entdeckte diesen Fehler noch vor der Annahme des Angebots durch das Land, deckte ihn diesem gegenüber auf und bat, sein Angebot von der Wertung auszuschließen.

Das Land kam dem aber nicht nach, sondern erteilte ihm den Zuschlag. Nachdem das Unternehmen die Arbeiten nicht ausführen wollte, beauftragte das Land ein anderen Anbieter und verlangte von dem Unternehmen die daraus resultierenden Mehrkosten. Seine hierauf gerichtete Klage ist in beiden Tatsacheninstanzen erfolglos geblieben. Der BGH hat diese klageabweisenden Entscheidungen am Mittwoch bestätigt (Urt. v. 11.11.2014, Az. X ZR 32/14).

Privatrechtliches Rechtsverhältnis

Die Frage, ob der Unternehmer wegen Nichtausführung des Auftrags schadensersatzpflichtig ist, hatte der Senat nach den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu beurteilen.

Die Auftragsvergabe im Vergabeverfahren durch öffentliche Auftraggeber ist Bestandteil der privatrechtlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand. Fragen des Vertragsschlusses sowie nach Leistungsstörungen unterliegen vollständig den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen des BGB.

Die Verfahrensvorschriften der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A), die ohnehin keine Gesetzesqualität haben, regeln lediglich das bei öffentlichen Ausschreibungen zu wahrende Verfahren innerhalb der Verwaltung.

Bindend und kein beachtlicher Irrtum: Das Angebot steht

Im Vergabeverfahren stellt das Angebot des Bieters nach den jeweiligen, von ihm akzeptierten Ausschreibebedingungen ein bindendes Vertragsangebot im Sinne von § 145 BGB dar. Aus diesem Grund konnte das beklagte Unternehmen sein Angebot nicht einfach zurücknehmen, nachdem es seinen Irrtum entdeckt hatte. 

Auch für eine Irrtumsanfechtung ist in Konstellationen wie dieser kein Raum: Die Angebotssumme war  nicht aufgrund eines bloßen Schreibfehlers zustande gekommen, der zu einem Anfechtung wegen Erklärungsirrtum nach § 119 Absatz 1 BGB berechtigt hätte.

Der sogenannte Kalkulationsirrtum gehört vielmehr grundsätzlich zum Bereich der unbeachtlichen Motivirrtümer – er ist also unbeachtlich. Das gilt nach der Rechtsprechung des BGH selbst dann, wenn der Erklärungsempfänger diesen Kalkulationsirrtum erkannt hat (BGH, Urt. v. 07.07.1998, Az. X ZR 17/97).

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Stephan Lorenz, BGH zum Vergabeverfahren: Ruinöser Kalkulationsirrtum kann Vertrag vernichten . In: Legal Tribune Online, 12.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13780/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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