Ortlieb vs. Amazon vor dem BGH: Mehr gefunden als gesucht

Gastbeitrag von David Ziegelmayer

25.07.2019

Der Fahrradtaschenhersteller Ortlieb zieht zum zweiten Mal gegen Amazon zu Felde – und gewinnt diesmal vor dem BGH. Den langen und weiter andauernden Markenrechtsstreit um unerwünscht angezeigte Konkurrenzprodukte erklärt David Ziegelmayer.

Die Firma Ortlieb aus dem mittelfränkischen Heilsbronn hält viel auf ihre Marke. Und offensichtlich hat sie zurzeit einen markenrechtlichen Lieblingsgegner, nämlich Amazon. Nachdem sie erst im vergangenen Jahr vor dem Bundesgerichtshof (BGH) um die Ergebnisdarstellung der internen Suchmaschine des Versandriesen stritt, ging es diesmal um die Darstellung der Treffer bei von Amazon gebuchten Google-Anzeigen.

Ortlieb störte sich daran, dass bei Eingabe der Suchbegriffe "Ortlieb Fahrradtasche", "Ortlieb Gepäcktasche" und "Ortlieb Outlet" in die Google-Suchfunktion von Amazon gebuchte Anzeigen erschienen, die entsprechend der Suche beispielsweise die Wörter "Ortlieb Fahrradtasche Zubehör", "Lenkertasche Fahrrad Ortlieb" oder "Ortlieb Fahrradtasche" enthielten, etwa wie folgt:

Suchergebnis

 

 

Neben "Ortlieb" wird auch "Vaude" angezeigt

Die Google-Anzeigen waren wiederum mit Angebotslisten auf den Amazon-Seiten verlinkt, die neben Ortlieb-Produkten allerdings auch Produkte anderer Hersteller zeigten. Wer also nach "Ortlieb" suchte, bekam bei seinem Amazon-Besuch nach Anklicken der Anzeige eben auch Angebote von Wettbewerbern zu sehen, etwa Angebote für eine Radtasche des Herstellers "Vaude", für die an erster Stelle Amazon als Verkäufer genannt wurde.

Die Firma Ortlieb, die selbst keine Produkte bei Amazon anbietet, sah in den mit gemischten Angebotslisten verlinkten Anzeigen eine Verletzung des Rechts an der auf den Geschäftsführer Hartmut Ortlieb eingetragenen und ihr lizensierten Marke "ORTLIEB". Sie nahm Amazon auf Unterlassung und Erstattung vorgerichtlicher Kosten in Anspruch.

In seinem am Donnerstag verkündeten Urteil (v. 25.07.2019, Az. I ZR 29/18) gab der BGH Ortlieb Recht. Die konkrete Darstellung durch Amazon sei irreführend.

Auf die Gestaltung kommt es an

Die Betonung liegt dabei auf "konkret". Denn grundsätzlich kann ein Händler neben Produkten des Markenherstellers auch Konkurrenzprodukte anbieten und die Marke sogar in der Werbung benutzen, sofern die berechtigten Interessen des Markeninhabers gewahrt bleiben. Es ist danach zu fragen, ob für den Internetnutzer aus der Werbeanzeige selbst heraus erkennbar ist, dass die vom Werbenden angebotenen Waren oder Dienstleistungen eben nicht nur vom Markeninhaber oder mit ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmen stammen (so auch die Vorgabe des Europäischen Gerichtshofs, EuGH, Urt. v. 22.09.2011, Az. C-323/09, "Interflora"). 

Die Beurteilung, ob der Kunde dies erkennen kann, hängt dabei von der Gestaltung der Anzeige ab. Ist aus der Anzeige für einen normal informierten und angemessen aufmerksamen Internetnutzer nicht oder nur schwer zu erkennen, ob die dort beworbenen Waren oder Dienstleistungen vom Inhaber der Marke oder von einem mit ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmen oder vielmehr von einem Dritten stammen, ist die herkunftshinweisende Funktion der Marke beeinträchtigt. 

Ob nach diesen Grundsätzen eine Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion vorliegt oder vorliegen kann, ist Sache der Würdigung durch das nationale Gericht. In den Vorinstanzen hatten sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht München die Google-Anzeige(n) und die nachfolgenden Amazon-Ergebnislisten als Markenverletzung eingestuft (OLG München, Urt. v. 11.1.2018, Az. 29 U 486/17 ). 

Kaufhaus-Maßstab für das Internet

Das OLG bediente sich dabei eines anschaulichen Beispiels. Der Fall sei nämlich mit der Situation vergleichbar, in der ein Kunde "einen Verkäufer nach Produkten einer bestimmten Gattung eines konkreten Herstellers fragt und der Verkäufer ihm sodann ohne entsprechenden Hinweis Produkte anderer Hersteller präsentiert." Dieser rechne "auch im stationären Handel nicht damit, Produkte anderer Hersteller angeboten zu bekommen und geht zumindest zunächst davon aus, dass es sich bei den Angeboten um die von ihm nachgefragten Markenprodukte handelt", so das OLG.

Der BGH ging in seinem am Donnerstag verkündeten Urteil mit dieser Ansicht d'accord. Demnach erwarte der Verkehr, dass ihm beim Anklicken der streitgegenständlichen Anzeigen Angebote der dort beworbenen Produkte - unter anderem Fahrradtaschen, Lenkertaschen und Gepäcktaschen – (nur!) von Ortlieb gezeigt werden. Er erwarte aber gerade nicht, dass ihm eine Angebotsübersicht präsentiert wird, in der ohne gesonderte Kenntlichmachung neben Ortlieb-Produkten gleichrangig Angebote anderer Hersteller enthalten sind.

Internetadressen sprechen – und wecken Erwartungen

Nur: Das gilt eben nicht immer, sondern dem aktuellen Urteil nach nur für den hier konkret zu entscheidenden Fall. Die verkürzten Adressen der Internetseiten unter dem Text der Google-Anzeigen - z.B. www.amazon.de/ortlieb+fahrradtasche – suggerieren nach Auffassung der Münchner Gerichte, dass dieser Link zu einer Zusammenstellung von Angeboten auf der Webseite www.amazon.de führt, die die genannten Kriterien erfüllen, mithin (allein) zu Produkten der Marke Ortlieb. Dieser Erwartung werde Amazon nicht gerecht, sondern führe den Verkehr in die Irre und begehe damit eine Markenverletzung nach § 14 Abs. 1 und 2 Nr. 1, Abs. 5, Abs. 7 Markengesetz (MarkenG).

Die Faustregel lautet also: Wer sucht, will finden – und zwar das, was er erwarten darf. Für Amazon dürfte die Umsetzung dieser Vorgaben zumindest theoretisch nicht allzu schwer sein. Denn aus der bislang nur als Pressemitteilung vorliegenden Entscheidung wird bereits jetzt deutlich, dass durch Änderung der Google-Anzeigen, Aufhebung der "Gleichrangigkeit" der Präsentation anderer als der Markenware und deren deutlichere Kennzeichnung keine Verletzung des gerichtlichen Unterlassungsgebots mehr vorliegen dürfte. Der Streithahn Amazon wird sich in der Praxis aber vermutlich schon aufgrund seiner weltweit standardisierten Prozesse schwer tun, eine deutsche Insellösung zu schaffen.

Streit auch um Amazons interne Suchmaschine

Das streitbare Unternehmen aus Mittelfranken geht immer wieder gegen den Online-Versandhändler vor. Im vergangenen Jahr war es schon einmal beim BGH vorstellig geworden, weil auch bei Eingabe von "Ortlieb" direkt in die interne Suchmaschine von Amazon Wettbewerbsprodukte angezeigt werden. 

Damals war der BGH allerdings weniger streng und verwies das Verfahren zurück an das Oberlandesgericht München (Urt. v. 15.2.2018, Az. I ZR 138/16), das nochmals prüfen müsse, ob der Nutzer wirklich "fehlgeleitet" wird oder eventuell ein Unterlassungsanspruch auf wettbewerbsrechtlicher Grundlage begründet ist. Die Begründung der Zurückverweisung deutete allerdings bereits darauf hin, dass der BGH hier skeptisch ist, was die "exklusive" Erwartung von bestimmter Markenware des Internetnutzers eingibt, wenn er nach einem Markennamen direkt bei Amazon sucht.

So entschied dann vor wenigen Wochen auch das Münchner OLG entsprechend (Urt. v. 06.06.2019, Az. 29 U 3500/15) und stellte fest, dass der Online-Riese bei der Produktrecherche mittels seiner internen Suchmaske auch Konkurrenzprodukte anzeigen darf.

Der Autor David Ziegelmayer ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei LEXANTIS. Er ist als Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz spezialisiert auf das Marken- und Wettbewerbsrecht für Unternehmen.

Zitiervorschlag

Ortlieb vs. Amazon vor dem BGH: Mehr gefunden als gesucht . In: Legal Tribune Online, 25.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36695/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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