BGH eröffnet Urheberrechtsschutz für Massenware: Neue Monopole für Designer

von Jens Petry

18.11.2013

In Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung gewährte der BGH vergangene Woche Gebrauchsgegenständen unter einfacheren Voraussetzungen den Schutz des Urheberrechts. Für Kinderspielzeug soll nicht mehr unbedingt etwas anderes gelten als für einen Roman. Das stärkt die Rechte der Designer, erfordert aber auch eine aufwändige Marktrecherche, um keine Rechte Dritter zu verletzen, meint Jens Petry.

Nachdem er seinen Weg auf zahlreiche Kinder-Geschenktische gefunden hatte, erreichte der Geburtstagszug nun auch den Richtertisch in Karlsruhe. Für alle, die keine kleinen Kinder haben: Das ist ein Spielzeugzug aus Holz, auf dessen Waggons sich Kerzen und Zahlen aufstecken lassen. Für jedes Jahr gibt es eine weitere Kerze und eine neue Zahl. In der Regel hat so ein Zug sechs bis acht Waggons.

Entworfen hatte ihn eine selbständige Designerin im Auftrag eines Spielwarenherstellers. Dafür erhielt sie ein Honorar von 400 DM. Da der Verkaufserfolg des Geburtstagszugs größer ausfiel, als erwartet, war der Designerin diese Vergütung im Nachhinein zu wenig. Sie verlangte von der Herstellerin eine angemessene Nachhonorierung und stützte sich dabei auf das Urheberrecht.

Der Bundesgerichtshof (BGH) gab ihr nun – entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung – im Grundsatz Recht. Bei Gebrauchsgegenständen wie dem Geburtstagszug dürften keine höheren Anforderungen an den Urheberrechtsschutz gestellt werden als bei Werken der zweckfreien Kunst, also etwa Gemälden oder Kompositionen. Der BGH verwies die Sache zurück an das Berufungsgericht, das nun prüfen muss, ob der Geburtstagszug diesen – geringen – Anforderungen genügt (Urt. v. 13.11.2013, Az. I ZR 143/12).

Reform des Geschmacksmusterrechts

Bisher gingen die Gerichte davon aus, dass das Design von Gebrauchsgegenständen primär als Geschmacksmuster zu schützen ist und ein darüber hinaus gehender Urheberrechtsschutz nur unter strengen Voraussetzungen möglich ist, nämlich dann, wenn das Design als "Werk der angewandten Kunst" gelten kann. Dafür musste es eine durchschnittliche Gestaltung deutlich überragen. In der Praxis wurde das nur selten bejaht.

Im Gegensatz dazu reichte bei "Werken der zweckfreien Kunst" ein weit niedrigeres Maß an Gestaltungshöhe aus, um in den Genuss des Urheberrechtsschutzes zu kommen.

An diesen unterschiedlichen Maßstäben will der BGH nun nicht mehr festhalten. Zukünftig sollen die Schutzvoraussetzungen für alle Werkarten einheitlich beurteilt werden. Eine "künstlerische Leistung" soll ausreichen, wobei auf die Sicht von Kreisen, die mit Kunst einigermaßen vertraut sind, abgestellt wird.

Begründet wird diese Anpassung mit der Reform des Geschmacksmusterrechts aus dem Jahr 2004. Seitdem ist für einen Geschmacksmusterschutz keine bestimmte Gestaltungshöhe mehr erforderlich, sondern lediglich eine Unterscheidbarkeit. Außerdem ist seit der Reform anerkannt, dass sich Geschmacksmuster- und Urheberrechtsschutz nicht ausschließen. Es sei daher nicht mehr gerechtfertigt, den urheberrechtlichen Schutz von Gegenständen, die dem Geschmacksmusterschutz zugänglich sind, von strengeren Voraussetzungen abhängig zu machen, so die Karlsruher Richter.

Vieles wird komplizierter

Die Entscheidung hat weitreichende Auswirkungen auf alle Branchen, die mit der Herstellung und dem Vertrieb von Gebrauchsgütern befasst sind, jedenfalls soweit die Produkte mit ästhetischem Anspruch gestaltet wurden.

Mit einem Mal kommt für eine Vielzahl von formschönen Gebrauchsgegenständen Urheberrechtsschutz in Betracht. Der Schutz entsteht mit der Schöpfung des Werkes und ist – anders als das Geschmacksmuster – nicht von weiteren Formalitäten wie beispielsweise einer Registrierung abhängig.

Das Urheberrecht gewährt dem Designer weitreichende Rechte. Das müssen die beauftragenden Hersteller beachten. Es geht nicht nur – wie im Fall des Geburtstagszugs – um eine Nachhonorierung. Viel bedeutsamer dürften die Rechte des Urhebers bei der Einräumung und Übertragung von Verwertungsrechten oder bei der Umgestaltung des Werkes sein.

Außerdem werden nun – auch rückwirkend – Gebrauchsgegenstände monopolisiert, die bislang zum freien Formenschatz gehörten, etwa weil sie nicht als Geschmacksmuster registriert waren. Das versetzt den Rechteinhaber in die Lage, gegen nachahmende Wettbewerber vorzugehen, selbst wenn diese bereits etliche Jahre mit der Nachahmung auf dem Markt sind. Der BGH stellte für den Zeitpunkt der Absenkung der Schutzschwelle ausdrücklich auf die Reform des Geschmacksmusterrechts 2004 ab.

Designer und Hersteller werden zudem noch stärker darauf achten müssen, was es bereits für Werke gibt. Bislang konnten sie durch eine Recherche der einschlägigen Geschmacksmusterregister einigermaßen verlässlich sicherstellen, dass ihr Design keine Rechte Dritte verletzt. Nun müssen sie den Markt umfassend überwachen. Gerade bei langlebigen Gebrauchsgegenständen ist dies ausgesprochen aufwändig, vor allem vor dem Hintergrund der langen urheberrechtlichen Schutzfristen von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers.

Der Autor Jens Petry ist Rechtsanwalt bei FPS Rechtsanwälte & Notare in Frankfurt am Main. Sein Schwerpunkt liegt im gewerblichen Rechtsschutz und im Designrecht.

Zitiervorschlag

Jens Petry, BGH eröffnet Urheberrechtsschutz für Massenware: Neue Monopole für Designer . In: Legal Tribune Online, 18.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10070/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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