In den letzten Jahren haben beihilferechtliche Streitigkeiten zwischen Wettbewerbern auch vor deutschen Gerichten zugenommen. Ein Urteil des BGH von Donnerstag dürfte potentiellen Klägern Mut machen – zumindest ein wenig. Von Ulrich Soltész.
Der vom Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag entschiedene Fall zum Flughafen Lübeck-Blankensee ist Teil einer endlosen Geschichte, die die deutschen und die EU-Gerichte sowie die Europäische Kommission über Jahre hinweg beschäftigt hat. Im Kern geht es in dem Verfahren um die Frage, inwieweit Regionalflughäfen einzelnen Airlines besonders günstige Konditionen gewähren dürfen. Daneben behandelt der Fall grundsätzliche verfahrensrechtliche Aspekte von beihilferechtlichen Konkurrentenklagen und zeigt, dass der BGH dem EuGH nicht immer ganz ohne Einschränkungen folgt.
Der Luftverkehrssektor unterlag in den letzten Jahren bekanntlich einem tiefgreifenden Wandel. Flugtickets werden heute zu Preisen angeboten, die früher kaum denkbar waren und oft weit unter den Kosten für andere Verkehrsmittel liegen.
Dieser Billigflieger-Boom hat zu einem fieberhaften Ausbau von Regionalflughäfen geführt.
Die "Low-cost-Carrier" werden oft mit ganz erheblichen Vergünstigungen an kleinere Flughäfen gelockt. Denn ein stark frequentierter Flughafen wirkt sich positiv auf Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung in der Region aus. Dies macht es für Länder, Städte und Gemeinden häufig attraktiv, den Ausbau "ihrer" örtlichen Flughäfen massiv zu unterstützen.
Der Billigfliegerboom wird durch Steuergelder finanziert
Von den Verbrauchern wird diese Entwicklung natürlich begrüßt. Sie können von Niedrigstpreisen profitieren und für zweistellige Eurobeträge eben mal nach Mallorca hoppen. In der öffentlichen Wahrnehmung bleibt hierbei jedoch oft unbemerkt, dass dieser Boom zum ganz erheblichen Teil mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, und dass der Subventionswettlauf der Airports um die Billigflieger zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führen kann.
Angesichts der starken Konkurrenz versuchen Betreiber von Regionalflughäfen (die ganz überwiegend von der öffentlichen Hand gehalten werden) durch attraktive Bedingungen möglichst viele Flugbewegungen an sich zu ziehen. Dies geschieht vor allem durch geringe Flughafengebühren und –entgelte, aber auch durch andere Sondervorteile, wie die Übernahme von Schulungs- und Unterhaltskosten des Personals der Fluggesellschaft, Niedrigstpreise für Bodenverkehrsdienstleistungen, preiswerte Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten, gemeinsame Werbemaßnahmen u.v.a. Letztlich geht dies natürlich auf Kosten der öffentlichen Hand. Und es wirkt sich zu Lasten der nicht-subventionierten Flughäfen aus - und zum Nachteil derjenigen Airlines, die diese anfliegen.
Konkurrenzkampf mit den Mitteln des Beihilferechts
Dies hat dazu geführt, dass sich die benachteiligten (nicht-subventionierten) Konkurrenzairlines, aber auch andere Flughäfen, mit allen Mitteln wehren. Zahlreiche Player haben Beschwerden, die sich gegen die Subventionierung von Billigfliegern richten, bei der Europäischen Kommission platziert. Als Reaktion auf diese Beschwerden (die letztlich dem Billigfliegerkonzept die Geschäftsgrundlage entziehen könnten) haben mittlerweile einige Low-cost-Carrier, insbesondere Ryanair, "Gegenbeschwerden" bei der Kommission wegen angeblicher Beihilfen an einige "etablierte" Airlines veranlasst. Daneben haben einige Luftfahrtunternehmen Konkurrentenklagen bei nationalen Gerichten erhoben – so auch im nun entschiedenen Fall.
Die Konkurrenten stützen sich hierbei auf das Verbot staatlicher Beihilfen in Art. 107f. des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Bereits im Jahre 2011 hatte der BGH bestätigt, dass sich Konkurrenten auf eine Verletzung des EU-Beihilferechts berufen können. Nach Auffassung des BGH kann die Subventionierung eines Konkurrenten ein Verstoß gegen das beihilferechtliche Durchführungsverbot in Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV darstellen und somit einen deliktischen Schadensersatzanspruch sowie Unterlassungsansprüche auslösen. Diese werden flankiert durch Ansprüche gegen den Beihilfegeber auf Auskunftserteilung.
2/2: BGH folgt dem EuGH
Der BGH geht in seinem heutigen Urteil allerdings noch einen Schritt weiter (Urt. v. 09.02.2017, Az. I ZR 91/15). Im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH stellt er fest, dass das nationale Gericht bereits dann vom Vorliegen einer rechtswidrigen Beihilfe ausgehen muss, wenn die Europäische Kommission ein sog. förmliches beihilferechtliches Prüfverfahren eröffnet hat. Eine solche Bindungswirkung für die nationalen Gerichte ist nach Auffassung zahlreicher Kritiker systemwidrig. Denn mit der Eröffnung eines Prüfverfahrens äußert die Kommission eigentlich nur einen "Verdacht auf Beihilfe". Es handelt sich hierbei der Natur der Sache nach nur um eine vorläufige Einschätzung. In der Praxis kommt es auch recht häufig vor, dass die Kommission am Ende eines Prüfverfahrens zu dem Schluss gelangt, dass gar keine Beihilfe vorliegt.
Dennoch geht der BGH in seinem Urteil davon aus, dass der nationale Richter diese (vorläufige) Einstufung als Beihilfe grundsätzlich zugrunde legen muss. Für den klagenden Wettbewerber ist dies natürlich eine Verbesserung seiner Position.
Ausnahmen müssen möglich bleiben
Gleichzeitig hat der BGH aber die Bindungswirkung an die Eröffnung des Prüfverfahrens allerdings etwas relativiert. Dies ist die eigentliche Überraschung des Urteils, das sich insoweit in Widerspruch zur EuGH-Rechtsprechung setzt – zumindest ein bisschen.
Eine "absolute und unbedingte Verpflichtung des nationalen Gerichts", der vorläufigen Einschätzung der Kommission zu folgen, soll nämlich nicht bestehen. So kann der nationale Richter - und dies ist eigentlich nichts Neues - eine Anfrage an die Kommission richten oder den EuGH um eine Vorabentscheidung ersuchen. Insbesondere könnten neue Umstände, die nicht erkennbar im Eröffnungsbeschluss berücksichtigt wurden, Anlass für eine solche Rückfrage geben. Zudem könne das Gericht unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten von einer Rückforderung absehen, wenn die Beihilfe mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Kommission genehmigt wird und die Rückforderung die Existenz des davon betroffenen Unternehmens ernsthaft bedrohen würde.
Im entschiedenen Fall sei zudem fraglich, ob die Beihilfe noch wettbewerbsverzerrende Wirkung habe. Hiermit lässt der BGH also eine Hintertür für den nationalen Richter auf, wenn er in besonders gelagerten Fällen von der Auffassung der Kommission abweichen will.
Praktische Bedeutung sollte nicht überschätzt werden
Die Rechtsprechung des EuGH, die im Urteil des BGH (wenn auch mit geringfügigen Einschränkungen) übernommen wurde, ist sicherlich ein scharfes Schwert. Man sollte die praktische Bedeutung aber nicht überzeichnen. Denn letztlich hilft die Bindungswirkung vor allem dann, wenn die Kommission eine förmliche Untersuchung eingeleitet hat. Diese Fälle sind selten, und es dürfte in solchen Konstellationen auch regelmäßig keinen Grund für die Erhebung einer (zusätzlichen) Klage vor den nationalen Gerichten geben, da die Kommission meist sowieso zurückfordern wird.
Hat die Kommission hingegen, wie in der Mehrzahl der Fälle, kein Prüfverfahren eingeleitet, ist die Erhebung einer Wettbewerberklage alles andere als ein Selbstläufer. Dies liegt an den hohen Beweisanforderungen zur Darlegung einer Beihilfe, an dem Informationsrückstand des Wettbewerbers (der oft keine Information über die Beihilfegewährung hat), und an den erheblichen Prozesskostenrisiken. Daher haben solche Klagen in der deutschen forensischen Praxis bisher noch keine entscheidende Rolle gespielt. Es bleibt abzuwarten, ob sich dies ändert.
Der Autor Dr. Ulrich Soltész ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz in Brüssel. Er arbeitet seit über 20 Jahren im EU-Recht, insbesondere im Europäischen Kartell- und Beihilferecht.
Dr. Ulrich Soltész, Billigflieger im Konflikt mit dem Beihilferecht: BGH widerspricht EuGH… aber nur ein bisschen . In: Legal Tribune Online, 09.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22050/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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