BGH legt Sampling dem EuGH vor: Streit um 2 Sekunden geht in die nächste Runde

von Sven Schonhofen, LL.M.

02.06.2017

2/2: Fragen an den EuGH: freie Benutzung und die Zuständigkeit des BVerfG

Die Beklagten verfolgten danach ihren Klageabweisungsantrag vor dem BGH weiter. Der hat nun das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH einen Fragenkatalog vorgelegt (Beschl. v. 01.06. 2017, Az. I ZR 115/16, "Metall auf Metall III"). Er fragt zunächst, ob ein Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht zur Vervielfältigung (Art. 2 c) Richtlinie 2011/29/EG) und Verbreitung (Art. 9 I b) Richtlinie 2011/29/EG) vorliege, wenn seinem Tonträger kleinste Tonfetzen entnommen und auf einen anderen Tonträger übertragen werden.

Außerdem will der BGH wissen, ob eine Vorschrift wie § 24 Abs. 1 UrhG das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht in der Weise beschränken kann, dass ein selbstständiges Werk in freier Benutzung des Tonträgers ohne Zustimmung des Herstellers verwertet werden darf. Zudem fragt der BGH, ob der Eingriff möglicherweise durch das Zitatrecht (Art. 5 Abs. 3 d) Richtlinie 2011/29/EG) gerechtfertigt sei, auch wenn nicht erkennbar ist, dass ein fremdes Werk genutzt wird. Der BGH gibt hier aber schon eine klare Tendenz vor. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein Hörer annehme, dass die Rhythmussequenz, die dem Song "Nur mir" unterliegt, einem fremden Werk oder Tonträger entnommen worden sei.

Daneben wirft der BGH die spannende Frage auf, ob das BVerfG  in dem Fall überhaupt etwas zu sagen hatte. Innerstaatliche Rechtsvorschriften, die eine EU-Richtlinie in deutsches Recht umsetzen, seien grundsätzlich nicht am Maßstab des Grundgesetzes, sondern allein am Unionsrecht zu messen, wenn die Richtlinie den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum lasse. Daher stelle sich die Frage, ob die europarechtlichen Vorschriften zum Vervielfältigungsrecht und Verbreitungsrecht des Tonträgerherstellers Umsetzungsspielräume im nationalen Recht zulassen.

In einem weiteren Schritt fragt der BGH, inwieweit bei der Bestimmung des Schutzumfangs des Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechts des Tonträgerherstellers die Grundrechte der EU-Grundrechtecharta zu berücksichtigen sind. Der EuGH könnte sich in diesem Verfahren somit zur spannenden Grundsatzfrage des Verhältnisses zwischen Kunstfreiheit und geistigem Eigentum äußern.

Sampling weltweit ungeklärt –und vielleicht bald auch vor dem U.S. Supreme Court

Der nun schon über 13 Jahre andauernde Rechtsstreit geht also in die Verlängerung. Es wird noch zwei weitere Urteile, und zwar des EuGH und des BGH, geben. Es bleibt abzuwarten, wie weit der EuGH den Schutzbereich des Leistungsschutzrechts der Tonträgerhersteller zieht. Überzeugend wäre hier, dass er nicht schon kleinste Tonfetzen umfassen kann. Dem Tonträgerhersteller sollte kein größerer Schutz zugesprochen werden als einem Urheber. Urheberrechtlicher Schutz ist nur gegeben, wenn der übernommene Teil eine persönliche geistige Schöpfung darstellt.

Die Zulässigkeit des Samplings ist derzeit nicht nur in Deutschland ungeklärt, sondern auch in anderen Jurisdiktionen, z.B. in den USA. Hier gab es im vergangenen Jahr eine Abkehr von dem bisherigen Grundsatz des Court of Appeals for the Sixth Circuit "Get a license or do not copy" (Urt. v. 07.09. 2004, Az. 383 F. 3d 390).

Der Court of Appeal for the Ninth Circuit (Urt. v. 02.06.2016, Az. 14-55837) hatte über den Song "Vogue" von Madonna zu entscheiden. Dort wurde eine 0,23 Sekunden lange Sequenz aus einem Song namens "Love Break" übernommen. Die Übernahme sei zulässig gewesen. Der durchschnittliche Hörer könne wegen der Kürze des Samples nicht erkennen, dass die Sequenz aus einem anderen Werk übernommen wurde. Da es jetzt einen "Circuit Split" gibt, wird das Problem des Samplings möglicherweise auch bald das höchste Gericht der USA, den Supreme Court beschäftigen.

Der Autor Sven Schonhofen, LL.M. (Fordham University, New York) ist Rechtsanwalt bei Reed Smith LLP in München und Fellow am Fordham IP Institute. Er ist spezialisiert auf Urheberrecht, gewerblichen Rechtsschutz und IT-Recht.

Zitiervorschlag

Sven Schonhofen, LL.M., BGH legt Sampling dem EuGH vor: Streit um 2 Sekunden geht in die nächste Runde . In: Legal Tribune Online, 02.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23095/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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