Weil ein Rechtsanwalt nicht ausdrücklich widersprach, gab die RAK Stellungnahmen des Anwalts aus seinem berufsrechtlichen Verfahren an den Beschwerdeführer weiter. Christian Deckenbrock über die aktuelle Rechtsprechung zum Thema.
Der Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in einem noch nicht veröffentlichten Urteil (v. 11.1.2016, Az. AnwZ (Brfg) 42/14) die Rechte eines Anwalts gestärkt, gegen den aufgrund einer Beschwerde eines Dritten ein berufsrechtliches Aufsichtsverfahren eingeleitet worden ist. Die Verschwiegenheitspflicht des Kammervorstands verbietet es grundsätzlich, im Aufsichtsverfahren abgegebene Stellungnahmen des Anwalts ohne dessen eindeutige Zustimmung an den Beschwerdeführer weiterzuleiten, so der Senat. Nicht nur die betroffene Rechtsanwaltskammer (RAK) Köln, sondern auch viele andere Kammern müssen somit künftig ihre Praxis in Aufsichtsverfahren umstellen.
Ausgangspunkt des Rechtsstreits war ein Aufsichtsverfahren, das die RAK Köln gegen eines ihrer Mitglieder wegen eines angeblichen Verstoßes gegen ein berufsrechtliches Tätigkeitsverbot angestrengt hatte. Diesem Aufsichtsverfahren wiederum lag eine Beschwerde der RAK München zugrunde. Nach Eingang der Beschwerde forderte die Kölner Kammer den betroffenen Rechtsanwalt nach § 56 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zur Auskunft auf. Dabei wies sie den Anwalt auf Folgendes hin: "Die Zweitschrift Ihrer Stellungnahme ist grundsätzlich zur Weiterleitung an den Verfasser der Eingabe bestimmt, um ihm Gelegenheit zur abschließenden Äußerung zu geben. Soweit Ihre Stellungnahme ausschließlich nur für den Kammervorstand bestimmt sein soll, müssen Sie darauf besonders hinweisen."
Da der betroffene Rechtsanwalt in seiner Stellungnahme keinen Vorbehalt machte, wurde diese auch der Münchener Kammer mit der Bitte um ergänzende Äußerung zugeleitet. Dies wiederum rief den Anwalt auf den Plan, der einen Verschwiegenheitsverstoß des Kammervorstands rügte. Er begehrte unter anderem die Feststellung, dass die RAK Köln nicht berechtigt gewesen sei, seine in dem Aufsichtsverfahren abgegebenen Stellungnahmen ohne seine ausdrückliche Zustimmung an die RAK München weiterzuleiten.
Verschwiegenheitspflicht gegen Verfahrenstransparenz
Der Anwaltsgerichtshof (AGH) Hamm hatte in der Vorinstanz (Urt. v. 9.5.2014, Az. 1 AGH 6/14 V) die Klage noch als unzulässig angesehen, weil die Kölner Kammer zwischenzeitlich erklärt hatte, keine (weiteren) Stellungnahmen des Rechtsanwalts in diesem Verfahren weiterzuleiten. Auch nach dem BGH hat eine solche Erklärung grundsätzlich das für die Zulässigkeit der Klage erforderliche Feststellungsinteresse entfallen lassen. In diesem Streitfall kam aber die Besonderheit hinzu, dass die Kölner Kammer in einem weiteren, gegen denselben Rechtsanwalt gerichteten Aufsichtsverfahren ebenfalls die beanstandeten Passagen verwendete. Hieraus leitete der Anwaltssenat dann unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr das notwendige Feststellungsinteresse ab.
Auch in der Begründetheit bekam der Kläger mit seinem zentralen Antrag weitgehend Recht. Der Senat hält zunächst fest, dass die Stellungnahmen, die der Rechtsanwalt in einem ihm betreffenden berufsrechtlichen Aufsichts- und Beschwerdeverfahren gegenüber dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer abgibt, Bestandteil der über ihn von der Kammer geführten Personalakte ist. Sie unterliegen der Pflicht zur Verschwiegenheit, die die Vorstandsmitglieder der Rechtsanwaltskammer nach § 76 Abs. 1 BRAO "gegen jedermann" zu bewahren haben.
2/2: Keine gesetzliche Ermächtigung zur Weitergabe
Insoweit stellt der Senat überzeugend fest, dass der Beschwerdeführer in berufsrechtlichen Beschwerdeverfahren nicht Beteiligter ist und grundsätzlich keinerlei Verfahrensrechte genießt. Zur Erhöhung der Transparenz von Beschwerdeverfahren hat der Gesetzgeber aber 2009 den Vorstand der RAK in § 73 Abs. 3 BRAO dazu verpflichtet, den Beschwerdeführer von seiner Entscheidung in Kenntnis zu setzen. Diese Mitteilung hat nach Abschluss des Verfahrens einschließlich des Einspruchsverfahrens zu erfolgen und ist mit einer kurzen Darstellung der wesentlichen Gründe für die Entscheidung zu versehen. Zugleich hat der Gesetzgeber jedoch klargestellt, dass auch insoweit die aus § 76 BRAO folgende Pflicht zur Verschwiegenheit unberührt bleibt. Insbesondere dürfen Tatsachen, die dem Beschwerdeführer unbekannt sind, diesem nicht mitgeteilt werden.
Für die Weiterleitung von Stellungnahmen des Rechtsanwalts im laufenden Beschwerdeverfahren fehlt es daher von vornherein an jeglicher gesetzlichen Ermächtigung. Hierdurch wird nach Ansicht des Senats auch die Aufklärung des Sachverhalts nicht unangemessen erschwert. Der zuständigen Kammer sei es möglich, "ohne Bezugnahme auf die Stellungnahme des Rechtsanwalts und in Gestalt einer reinen Auskunftsbitte" an den Beschwerdeführer oder einen sonstigen Dritten Fragen mit dem Ziel der Sachverhaltsaufklärung zu richten.
Eine Rechtfertigung für die Weiterleitung habe auch dann nicht bestanden, wenn sich die RAK Köln von der Münchener Kammer eine rechtliche Bewertung des Sachverhalts erhofft haben sollte. Eine solche rechtliche Würdigung des Verhaltens des betroffenen Anwalts sei ausschließlich dem zuständigen Kammervorstand vorbehalten.
Hohe Anforderungen an Entbindung von der Schweigepflicht
Eine Weiterleitung der Stellungnahmen an den Beschwerdeführer kam daher nur bei einer Einwilligung des betroffenen Rechtsanwalts in Betracht. Zwar muss eine solche Entbindung von der Schweigepflicht – anders als der Kläger beantragt hatte – nicht zwingend ausdrücklich, sondern kann auch konkludent erfolgen. Allerdings ist – wie der Anwaltssenat nun zu Recht betont – "ein restriktiver Umgang mit der Annahme einer konkludenten Zustimmung geboten." Die Verschwiegenheitspflicht des Kammervorstands sei auch deshalb weit zu verstehen, weil andernfalls der Rechtsanwalt Gefahr laufe, seinerseits die Verschwiegenheit, die er seinem Mandanten schulde (§ 203 Abs. 1 Nr. 3 Strafgesetzbuch, § 43a Abs. 2 BRAO), zu verletzen. Dieses berechtigte Interesse Dritter gebiete es, die Anforderungen an eine Zustimmung zur Offenbarung von Tatsachen nicht zu gering anzusetzen.
Für den Streitfall bedeutete dies, dass das Schweigen des Anwalts auf die Ankündigung der Kammer, die Stellungnahme bei ausbleibendem Widerspruch an den Beschwerdeführer weiterzuleiten, nicht den notwendigen sicheren Schluss auf eine Zustimmung zulasse. Dass dem Schweigen grundsätzlich kein Erklärungsgehalt zu entnehmen ist, ist an sich keine große Neuigkeit. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Senat auch für Anwälte selbst keine anderen Maßstäbe anlegt. Ohne Bedeutung war es für das Gremium auch, dass mit der RAK München der Beschwerdeführer eine Körperschaft des öffentlichen Rechts war, deren Vorstand seinerseits zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Damit bekräftigt der Senat zugleich, dass das Erfordernis der Einwilligung auch gegenüber einer selbst an die Schweigepflicht gebundenen Person ernst zu nehmen ist.
Nachdem die Reichweite der Verschwiegenheitspflicht des Kammervorstands geklärt ist, bleibt abzuwarten, welches Schicksal das Aufsichtsverfahren nehmen wird: Es ist nun mit dem Makel der rechtswidrigen Verfahrensführung belastet. Die nächste Auseinandersetzung über die Frage, ob hieraus Verfahrenshindernisse oder zumindest Beweisverwertungsverbote entstehen, steht damit vor der Tür.
Der Autor Dr. Christian Deckenbrock ist Akademischer Rat am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist das Recht der freien Berufe und hier vor allem das anwaltliche Berufsrecht.
Christian Deckenbrock, BGH zu berufsrechtlichem Aufsichtsverfahren: Schweigepflicht gilt auch ohne Vorbehalt . In: Legal Tribune Online, 11.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18764/ (abgerufen am: 18.03.2024 )
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