Rund eine Million konfessionslose Ehepartner in glaubensverschiedenen Ehen zahlen Kirchensteuer. Laut dem EGMR soll das auch so bleiben. Jacqueline Neumann meint, dass sich eine Überprüfung des Einkommensteuerbescheids dennoch lohnt.
Bei dem besonderen Kirchgeld handelt es sich um eine spezielle Kirchensteuer für Kirchenmitglieder, deren Ehepartner keiner Kirche angehört (sog. glaubensverschiedene Ehe). Die Rechtsfigur beruht auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1965 (BVerfG, Urt. v. 14.12.1965, Az. 1 BvR 606/60).
In der Entscheidung hatte das Gericht den Halbteilungsgrundsatz des deutschen Kirchensteuerrechts, nach dem in glaubensverschiedenen Ehen die Kirchensteuer des einer steuerberechtigten Religionsgesellschaft angehörenden Ehegatten nach der Hälfte der zusammengerechneten Einkommensteuer beider Ehegatten erhoben wird, für verfassungswidrig erklärt.
Dabei beließ es das Gericht jedoch nicht. Zum Ausgleich zeigte es den Kirchen in einem obiter dictum eine alternative Möglichkeit der Besteuerung auf: In Fällen, in denen das Kirchenmitglied mangels eigenen Einkommens selbst keine Kirchensteuer zahlen muss (sog. Hausfrauenehe), aufgrund seines gut verdienenden konfessionsfreien Partners aber eine höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als ohne die Ehe hat, könnten die Kirchen den sog. Lebensführungsaufwand des kirchenangehörigen Ehegatten besteuern.
Besonderes Kirchgeld: Halbteilungsgrundsatz durch die Hintertür
Im Nachgang zu dieser Entscheidung wurde in immer mehr Bundesländern das besondere Kirchgeld eingeführt. Gegenwärtig wird es von allen evangelischen Landeskirchen, etlichen katholischen Bistümern sowie einer Reihe kleinerer Religionsgemeinschaften erhoben.
Grundlage für die Bemessung des Lebensführungsaufwandes des kirchenangehörigen Ehegatten bildet dabei das „gemeinsam zu versteuernde Einkommen“ des Ehepaares. Da der kirchenangehörige Ehegatte in der Konstellation der Hausfrauenehe jedoch über kein eigenes Einkommen verfügt, bemisst sich das besondere Kirchgeld letztlich allein am Einkommen des nicht der Kirche angehörigen Ehegatten. Damit haben die Kirchen den Halbteilungsgrundsatz durch die Hintertür wieder eingeführt.
Doch in der Praxis gehen die Kirchen noch weiter und erheben das besondere Kirchgeld mit staatlicher Billigung nicht nur in der vom BVerfG für zulässig erklärten Fallkonstellation der Hausfrauenehe, sondern auch in Fällen der Dazuverdienerehe und der Doppelverdienerehe.
Wird festgesetzt, weil es höher ist als die Kircheneinkommensteuer
Rechtsgrundlage des besonderen Kirchgeldes sind die Kirchensteuergesetze der Bundesländer, welche es den Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus ermöglichen, aufgrund eigener Steuerordnungen Kirchensteuer zu erheben. Die Kirchensteuergesetze verpflichten die Kirchen dann i.d.R. zum Erlass eigener Steuerordnungen und jährlicher Steuerbeschlüsse zur Ausgestaltung der Details. Sowohl die Steuerordnungen als auch die -beschlüsse bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der staatlichen Genehmigung.
Die staatlichen und die kirchlichen Vorschriften zum besonderen Kirchgeld enthalten keine Einschränkung dahingehend, dass das besondere Kirchgeld nur dann festgesetzt werden kann, wenn beim kirchenangehörigen Ehegatten kein eigenes Einkommen vorliegt. Stattdessen findet sich in den jeweiligen Normen i.d.R. nur der Hinweis auf eine Vergleichsberechnung. Eine solche soll demnach zwischen der Kirchensteuer vom Einkommen und dem Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe durchgeführt und dann soll der höhere Betrag festgesetzt werden.
Entscheidend für die Festsetzung und Berechnung des besonderen Kirchgeldes seitens des staatlichen Finanzamtes sind damit allein das gemeinsam zu versteuernde Einkommen ungeachtet seiner Zusammensetzung und die Vergleichsberechnung. Die höhere von zwei Steuern wird allein deshalb erhoben, weil sie höher ist.
Das besondere Kirchgeld wird auch beim Mehrfachen des Durchschnittseinkommens erhoben. Wenn das Kirchenmitglied zu versteuernde Einkünfte von z.B. 100.000 Euro hat und sein kirchenfremder Ehegatte solche von 200.000 Euro, beträgt die zu erhebende Kircheneinkommensteuer (bei 8 Prozent) 2.701 Euro. Aus der Kirchgeldtabelle ergibt sich bei einem gemeinsam zu versteuernden Einkommen von 300.000 Euro ein jährliches Kirchgeld i.H.v. 3.600 Euro. Dieses wird in dem skizzierten Fall nach der Vergleichsberechnung auch erhoben, allein weil es höher ist als die an sich zu erhebende Kircheneinkommensteuer. Die Mehrzahlung beträgt 899 Euro.
2/2: Landes- und Kirchenrecht: verfassungswidrig
Da das BVerfG in seinem Grundsatzurteil die Besteuerung nach dem Lebensführungsaufwand nur für den einkommenslosen kirchenangehörigen Ehegatten ermöglicht hat, sind die landesrechtlichen Bestimmungen als verfassungswidrig zu qualifizieren. Die Bundesländer haben insoweit keinen Gestaltungsspielraum. Gleiches gilt für die kirchlichen Vorschriften, denn die Religionsgemeinschaften haben auch bei der Ausfüllung des Rahmens, den ein Landesgesetzgeber ihnen gesetzt hat, die Grundrechte zu beachten. Diese Argumentation ist – soweit ersichtlich – noch nicht höchstrichterlich geprüft worden.
Vor diesem Hintergrund hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vier Beschwerden zur Vereinbarkeit der Rechtsfigur des besonderen Kirchgeldes mit der Europäischen Menschenrechtskonvention zu prüfen. Drei von Ihnen wies er als unzulässig ab, da nicht der deutsche Staat, sondern die Kirche die Steuer erhoben und berechnet habe und dies dem Staat nicht zurechenbar sei.
Angesichts des geschilderten Ineinandergreifens staatlicher und kirchlicher Rechtsvorschriften und des staatlichen Genehmigungserfordernisses greift dies zwar zu kurz. Insofern hat sich der Gerichtshof jedoch inhaltlich mit der deutschen Rechtslage überhaupt nicht befasst.
EGMR billigt die Verrechnungspraxis der deutschen Finanzämter
Lediglich die vierte Beschwerde veranlasste ihn zu einer Sachprüfung. Das Finanzamt hatte einen dem Beschwerdeführer zustehenden Steuererstattungsanspruch mit dem Anspruch der Kirche gegen seine Ehefrau auf Zahlung des besonderen Kirchgeldes verrechnet. Grundlage der Beschwerde war die Fallkonstellation einer Dazuverdienerehe.
Der EGMR erkannte in der Verrechnungspraxis des deutschen Staates einen Eingriff in die negative Religionsfreiheit des Beschwerdeführers. Im Ergebnis erklärte er das Vorgehen jedoch für mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar (EGMR, Urt. v. 06.04.2017, Beschwerde-Nr. 1038/11 u.a.). Begründet hat er dies mit dem öffentlichen Interesse an einem effizienten Steuereinzug und dem den Mitgliedstaaten zustehenden Beurteilungsspielraum bei der Ausgestaltung der Finanzierung von Religionsgemeinschaften.
Nach der Entscheidung gingen die Kommentatoren übereinstimmend davon aus, dass der EGMR das besondere Kirchgeld gebilligt habe. Explizit hat er sich jedoch gar nicht zur Rechtmäßigkeit der Erhebung und Berechnung des besonderen Kirchgeldes im Allgemeinen und im Falle einer Dazuverdienerehe im Besonderen geäußert. Die Straßburger Richter haben vielmehr lediglich die Verrechnungspraxis gebilligt, da der Beschwerdeführer jedenfalls die Möglichkeit gehabt hätte, gegen die Verrechnung vorzugehen und diese rückgängig zu machen.
Doch selbst wenn man aus dem Urteil herauslesen wollte, dass der EGMR das besondere Kirchgeld implizit überprüft und als dem Grunde nach konventionsgemäß gebilligt hätte, bliebe es bei der skizzierten Verfassungswidrigkeit nach deutschem Recht. Dies insbesondere auch deshalb, weil eine entsprechende Verrechnung bereits nach dem nationalen Recht rechtswidrig ist (Finanzgericht BW, Urt. v. 12.03.2004, Az. 9 K 43/01).
Die Rechtsfigur des besonderen Kirchgeldes hat trotz des aktuellen Urteils des EGMR kaum an Sprengkraft eingebüßt, da die Entscheidungen des Straßburger Gerichts nur einfachgesetzliche Wirkung haben. Es harrt in vielerlei Hinsicht einer erneuten höchstrichterlichen Überprüfung auf nationaler Ebene.
Dr. Jacqueline Neumann ist Rechtsanwältin in Köln. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählt die Durchsetzung von Grund- und Menschenrechten. Sie hat den Beschwerdeführer in dem zitierten Verfahren vor dem EGMR vertreten.
Dr. Jacqueline Neumann, Das besondere Kirchgeld: Konventionsgemäß, aber verfassungswidrig . In: Legal Tribune Online, 15.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22666/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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