Berliner Pilotprojekt zu intelligenter Videoüberwachung wird verlängert: Gesicht­s­er­ken­nung mit Mütze und Schal

von Annelie Kaufmann

15.12.2017

Bundesinnenminister de Maizière hat angekündigt, das umstrittene Pilotprojekt zur automatischen Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz zu verlängern. Die Zwischenbilanz sei sehr gut, nun gehe es um die Alltagstauglichkeit. 

Das Pilotprojekt zur Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz wird um weitere sechs Monate verlängert. Das kündigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Freitag bei einem Besuch vor Ort an.

Die Bundespolizei testet am Bahnhof Südkreuz drei verschiedene Systeme, die alle ähnlich funktionieren: Eine Software gleicht die Bilder von 300 freiwilligen Testpersonen mit den Aufnahmen der Überwachungskameras am Bahnhof ab – taucht eine von ihnen in der Menschenmenge auf, erhält die Bundespolizei eine Meldung. Künftig sollen so Straftäter oder Gefährder automatisch erkannt werden, wenn sie bestimmte Orte betreten.

Mit allen drei Systemen erreiche man bisher "sehr gute Werte", so de Maizière. Nach Angaben der Bundespolizei liegt die Erkennungsquote bisher je nach Software bei 70 bis 85 Prozent. Die Testpersonen tragen Transponder bei sich, so dass die Bundespolizei überprüfen kann, ob der Software ein Treffer entgeht. Die Fälle, in denen eine Person fälschlicherweise als gesuchte Person erkannt wird, lägen bei weniger als einem Prozent.

Weitere Tests auf Alltagstauglichkeit

Ursprünglich sollte das Pilotprojekt am 31. Januar 2018 beendet werden.  Allerdings seien die Bedingungen bisher noch nicht unbedingt mit dem polizeilichen Alltag vergleichbar. "Die Ausgangsbilder der Testpersonen hatten eine sehr gute Qualität", so de Maizière. "Im polizeilichen Alltag wird aber oft nach Menschen gefahndet, von denen schlechtere Bilder vorliegen." Im weiteren Testverlauf sollen deshalb auch Bilder von schlechterer Qualität als Vorlage für die Software eingesetzt werden.

Außerdem soll sich zeigen, ob die Erkennungsquote ähnlich hoch bleibt, wenn die Testpersonen häufiger Mützen und Schals tragen. Bisher habe die Software damit aber wenig Schwierigkeiten gehabt. Der Test soll nun am 31. Juli 2018 enden.

Neben weiteren Tests zur automatischen Gesichtserkennung ist auch eine zweite Projektphase geplant, mit der weitere intelligente Analysemethoden getestet werden sollen. So könnten die Systeme bestimmte Gefahrenszenarien und verdächtige Gegenstände – etwa einen herumstehenden Koffer – automatisch zu erkennen. Wann diese Testphase beginnen soll, steht noch nicht fest.

De Maizière kündigte an, zeitnah eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz entsprechender Systeme zur Gesichtserkennung auf Bahnhöfen und an Flughäfen zu prüfen. Außerdem sei er "gerne bereit, mit den Ländern zu sprechen, ob sie diese Technik auch in ihrem Bereich, etwa im öffentlichen Nahverkehr, nutzen wollen".

Scharfe Kritik von den Grünen

Das wird davon abhängen, in welcher Konstellation die neue Regierung überhaupt zusammenkommt. Die SPD hatte schon vor der Bundestagswahl erklärt, automatische Gesichtserkennung an Bahnhöfen einzusetzen, wenn sich das in Pilotprojekten als sinnvoll erweise.

Scharfe Kritik gibt es dagegen von den Grünen: "Die massenhafte Erfassung und der automatisierte Abgleich biometrischer Daten stellen einen massiven Eingriff in die Grundrechte dar und stellt die Anonymität im öffentlichen Raum in Frage", so der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz gegenüber LTO. In den Sondierungsgesprächen zu einer Jamaika-Koalition habe sich der Innenminister mit seiner Position nicht durchsetzen können, so von Notz weiter. "Die Abkehr von der anlasslosen Massenüberwachung lag auf dem Tisch, aber nun schafft er Fakten. Angesichts einer erneuten Großen Koalition muss man sich um die Bürgerrechte in diesem Land ernsthaft sorgen."

Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt davor, das Projekt ohne Rechtsgrundlage auf andere Bahnhöfe auszudehnen. Eine umfassende Überwachung verstoße gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. "Wenn massenhaft Gesichter von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern an Bahnhöfen gescannt werden, greift der Staat schwerwiegend in Grundrechte ein," so DAV-Präsident Ulrich Schellenberg.

Fahndung nach Terroristen und Schwerverbrechern?

De Maizière weist datenschutzrechtliche Bedenken dagegen zurück: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Bedenken gibt, wenn man nach Terroristen und Schwerverbrechern fahndet." Etwas Anderes gelte, wenn man die automatische Gesichtserkennung einsetzen wolle, "um nach jedem Ladendieb zu fahnden". Das sei aber nicht geplant.

Die Deutsche Bahn baut in Zusammenarbeit mit dem Bundesinnenministerium und der Bundespolizei ihre Videoanlagen aus. Derzeit werden rund 900 Bahnhöfe mit mehr als 600 Videokameras überwacht, in rund 50 großen Bahnhöfen können Videobilder live ausgewertet werden. Die Bundespolizei erhofft sich vom Einsatz intelligenter Videoüberwachung "wesentlich mehr Fahndungserfolge".

Umstritten ist nicht nur der etwaige flächendeckende Einsatz, sondern auch schon das Pilotprojekt als solches. "Nach wie vor gibt es keine ausreichende gesetzliche Grundlage für den Einsatz automatischer Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz", so von Notz. Dass Bundesinnenminister de Maiziere dieses Projekt jetzt "auf Biegen und Brechen verlängern" wolle, sei unverständlich.

Die Passanten am Bahnhof Südkreuz zeigen sich dagegen weitgehend ungerührt. Der Bereich, in dem die Aufnahmen für den Test der Gesichtserkennungssoftware stattfinden, ist mit blauen Schildern und Pfeilen auf dem Boden gekennzeichnet. Wer den Bereich umgehen will, muss sich an die weißen Pfeile halten. Fragt man allerdings Passanten, ob sie etwas mitbekämen, lautet die Antwort häufig: "Ach, ich wusste gar nicht, dass hier eine Videoüberwachung stattfindet."

Zitiervorschlag

Annelie Kaufmann, Berliner Pilotprojekt zu intelligenter Videoüberwachung wird verlängert: Gesichtserkennung mit Mütze und Schal . In: Legal Tribune Online, 15.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26067/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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