Beobachtung durch den Verfassungsschutz: "Wie die Bösen finden und die Guten schützen?"

Interview mit Dr. Peter Hauck-Scholz

24.09.2013

In Niedersachsen hat der Verfassungsschutz zu Unrecht Journalisten überwacht, wie der Innenminister vergangene Woche mitteilte. Der Fall erinnert an die Beobachtung des Abgeordneten Bodo Ramelow. Sein Anwalt Peter Hauck-Scholz erklärt, warum bestimmte Berufe besonders vor einer Überwachung geschützt werden müssen und wieso über die Verfassungsbeschwerde seines Mandanten noch nicht entschieden ist.

LTO: Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius begründete die Rechtswidrigkeit der Beobachtung der Journalisten mit einem mangelnden "Extremismusbezug" und fehlender Relevanz. Dass sich die überwachten Personen auf die Pressefreiheit berufen können, macht also gar keinen Unterschied?

Hauck-Scholz: Nein, jedenfalls nicht nach den Verfassungsschutzgesetzen. Die regeln zwar seit dem Volkszählungsurteil die Voraussetzungen für eine Beobachtung, sind aber so gummiartig formuliert, dass sie geradezu nach richterlicher Kontrolle schreien. Die findet aber nicht statt, weil die Betroffenen in der Regel von der Überwachung nichts wissen.

LTO: Das heißt, überwacht werden darf jeder, egal welcher Tätigkeit er nachgeht?

Dr. Peter Hauck-ScholzHauck-Scholz: Nach den Verfassungsschutzgesetzen ja. Und das ist die Parallele zum Fall Bodo Ramelow, den ich anwaltlich vertrete. Er wurde als Bundestagsabgeordneter vom Bundesverfassungsschutz beobachtet. Als Parlamentarier schützt ihn das Grundgesetz aber besonders, nämlich durch das freie Mandat, das Art. 38 Abs. 1 Grundgesetz gewährt. Genauso können sich die Journalisten, die vom niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet wurden, auf die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit berufen.

Es geht hier um das Spannungsfeld zwischen Verfassungsschutz einerseits und den grundgesetzlich geschützten Individualrechten andererseits. Dazu gibt es viel ältere Rechtsprechung, die von dem Grundgedanken ausgeht, dass der Verfassungsschutz ein durch das Grundgesetz anerkanntes Verfassungsgut ist. Die Gerichte berufen sich dabei auf Zuständigkeitsvorschriften im Grundgesetz, nämlich Art. 73 Abs. 1 Nr. 10b für die Gesetzgebungskompetenz des Bundes, und Art. 87 für die Kompetenz zur Errichtung der Verfassungsschutzbehörde des Bundes.

"Beobachtung besonderer Berufsgruppen muss gesetzlich geregelt werden"

LTO: Überzeugt Sie das?

Hauck-Scholz: Solche juristischen Klimmzüge gab es auch in anderen Zusammenhängen. Die Konstruktion ist dennoch relativ mutig und entspricht nicht unbedingt der Grundrechtsdogmatik, weil die Einräumung einer Kompetenz noch keine Rechtfertigung für Grundrechtseingriffe gibt.

Die Urteile beruhen übrigens überwiegend auf Klagen aus der rechten Szene. Das waren in den 70er und 80er Jahren die fleißigsten Kläger, die erstaunliche Erfolge erzielt haben. Da haben die Gerichte auf einmal mit einer sehr hohen Sensibilität argumentiert, dass man nicht so ohne weiteres in die Rechte einer Partei – der NPD oder der Republikaner – eingreifen könne. Bodo Ramelow als Abgeordneter der Linken hat da gleich viel schlechtere Karten. Das fällt auf, wenn man die Rechtsprechung liest.

LTO: Wie begründen Sie Ihre Verfassungsbeschwerde?

Hauck-Scholz: Das Bundesverwaltungsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Konflikt zwischen den Rechten des Abgeordneten und dem Verfassungsschutz im Einzelfall aufgelöst werden müsse, also von der Verwaltung und später gegebenenfalls von den Gerichten. Wir vertreten in der Verfassungsbeschwerde, dass das weder die Aufgabe der Justiz noch der Verwaltung ist, sondern die des Gesetzgebers. Er muss diesen Konflikt lösen. Das hat er für Abgeordnete eindeutig nicht getan. Und soweit ich die Verfassungsschutzgesetze überblicke, gibt es eine solche Regelung auch nicht für Journalisten.

LTO: Wie könnte so eine Regelung aussehen?

Hauck-Scholz: Der Gesetzgeber muss Anforderungen formulieren, die über das hinausgehen, was für andere ausreicht, um beobachtet zu werden. Aber wie findet man die Bösen und schützt gleichzeitig die Guten?

"BVerfG sollte noch dieses Jahr entscheiden"

LTO: Würden Sie sagen, Journalisten und Abgeordnete sollten gar nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden dürfen?

Hauck-Scholz: Das würde ich so nicht vertreten. Es gibt keine Berufsgruppe in unserem Gemeinwesen, innerhalb derer sich nicht Einzelne zur Aufgabe machen, unsere verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen. Das anzunehmen, wäre blauäugig.

LTO: Sollten auch für andere Berufsgruppen besondere Regeln gelten?

Hauck-Scholz: Ja, zum Beispiel für Anwälte. Im Grunde für alle Berufe, die das Strafrecht einer gesteigerten Verschwiegenheitspflicht unterwirft.

LTO: Auf welchem Stand ist die Verfassungsbeschwerde denn?

Hauck-Scholz: Wir warten alle auf eine Entscheidung. Sie soll noch in diesem Jahr kommen. Eine mündliche Verhandlung wird nicht stattfinden. Parallel läuft  noch ein Organstreitverfahren, das die Fraktion der Linken im Bundestag anhängig gemacht hat, weil durch zahlreiche kleine Anfragen geklärt ist, dass die Bundestagsfraktion als Ganze unter Beobachtung stand. Mittlerweile heißt es nur noch, dass einzelne Gruppierungen innerhalb der Partei beobachtet würden, aber nicht mehr die Partei insgesamt. Was mit der Fraktion ist, ist noch ungeklärt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) denkt wohl darüber nach, die Verfassungsbeschwerde mit dem Organstreitverfahren zu verbinden.

LTO: Vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Peter Hauck-Scholz ist Rechtsanwalt in Marburg. Er vertritt Bodo Ramelow in seinem Rechtsstreit gegen eine Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz.

Das Interview führte Claudia Kornmeier.

Zitiervorschlag

Dr. Peter Hauck-Scholz, Beobachtung durch den Verfassungsschutz: "Wie die Bösen finden und die Guten schützen?" . In: Legal Tribune Online, 24.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9653/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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