Ein Arbeitnehmer muss für ein Arbeitszeugnis mit der Note "gut" auch überdurchschnittliche Leistung beweisen, entschied das BAG. Obwohl viele Arbeitgeber bessere Zeugnisse erteilen und fast immer bessere Noten vergeben, sind diese eben nicht Norm. Michael W. Felser erklärt, warum auch Arbeitnehmer froh über dieses Urteil sein können.
Eine 25-jährige Zahnarzthelferin hatte bis 2011 ein Jahr lang bei einer Zahnarztpraxis am Empfang gearbeitet. Ihr Arbeitgeber hatte ihre Leistungen in der Gesamtbewertung des Zeugnisses nur als "zu unserer vollen Zufriedenheit" gewürdigt. In der allgemein anerkannten Zeugnissprache bedeutet das durchschnittliche Leistungen und entspricht einer Schulnote "drei". Die Mitarbeiterhin hingegen war der Meinung, dass das Arbeitszeugnis ihre tatsächlichen Leistungen nicht zutreffend bewertete. Eine durchschnittliche Bewertung bei Bewerbungen ist nicht hilfreich, eine einvernehmliche außergerichtliche Einigung zwischen den Parteien gelang nicht. So klagte die Bewertete im März 2013 vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg.
Dort verlangte sie eine gute Bewertung, also ein "stets zu unserer vollen Zufriedenheit". Das LAG verhalf der Zahnarzthelferin hierzu, indem es dieses verklausulierte "gut" einfach zu einer durchschnittlichen Bewertung erklärte. Es ersparte den Parteien und sich dadurch eine Beweisaufnahme über die Leistungen der Klägerin. Doch damit haben die Landesarbeitsrichter es sich doch zu leicht gemacht. Nach der am Dienstag ergangenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) muss es sich nun doch mit der Frage auseinandersetzen, wie gut die Frau tatsächlich gearbeitet hat.
Verklausulierte deutsche Arbeitszeugnisse
Verklausulierte Formulierungen wie "stets zu unserer vollsten Zufriedenheit" und "hat sich stets bemüht", die alle erstmal irgendwie gut klingen, sind eine spezifisch deutsche Eigenheit. Jeder Arbeitnehmer hat hierzulande einen Anspruch auf ein Zeugnis und kann verlangen, dass seine Arbeit auch bewertet wird, § 109 Abs. 1 Gewerbeordnung (GewO).
Eine solche Bewertung muss zudem "wohlwollend" sein beziehungsweise so klingen, denn sie darf das berufliche Fortkommen nicht ungerechtfertigt erschweren, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in den 60-er Jahren. Gleichzeitig muss das Zeugnis natürlich auch klar, verständlich und wahr sein, was sich aus § 109 Abs. 2 GewO ergibt. Aus diesem Spannungskonflikt zwischen Nettigkeit und Ehrlichkeit hat sich der spezifisch deutsche Sprachcode entwickelt.
Welche Arbeit der Arbeitnehmer tun muss, ergibt sich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Laut § 243 Abs. 1 BGB muss bei jeder Art von Schuldverhältnissen immer eine Leistung mittlerer Art und Güte erbracht werden. Bisher hat das BAG diese immer, wie bei Schuldnoten auch, bei einer "drei" gesehen. Erbringt der Mitarbeiter also durchschnittliche Arbeit, müsste sich in seinem Zeugnis die Formulierung "zu unserer vollen Zufriedenheit" finden.
Wer besser bewertet werden will, muss unter Beweis stellen, dass er besser gearbeitet hat, also seine Arbeit von besserer als mittlerer Art und Güte war. Der Arbeitgeber hingegen trägt die Darlegungs- und Beweislast für eine unterdurchschnittliche Bewertung. Lässt sich auch nach den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast weder das eine noch das andere Ergebnis feststellen, kommen die Arbeitsgerichte eben zu einer durchschnittlichen Bewertung.
2/2: Dem LAG reichte die normative Kraft des Faktischen
In dem Rechtsstreit, der am Dienstag vor dem BAG endete, ging es am Ende nur noch darum, ob die Behauptungen der Klägerin zutrafen, sie sei eine gute Mitarbeiterin gewesen. Da dies zwischen den Parteien streitig war, hätte das LAG also Beweis erheben müssen.
Das Gericht der Vorinstanz verhalf der Klägerin aber trickreich ohne Beweisaufnahme zu der von ihr begehrten guten Gesamtbewertung. Dazu berief es sich auf zwei Studien, welche durch Untersuchung von insgesamt 1.802 Arbeitszeugnissen zu dem Ergebnis kamen, dass statistisch gesehen die meisten Zeugnisse mit guten oder sehr guten Gesamtbewertungen erteilt wurden. Nach Ansicht der Richter sei wegen dieser durch die Studien belegten Praxis darauf abzustellen, ob eine befriedigende Leistungsbewertung nach dem heutigen Verständnis des Wirtschaftslebens noch als durchschnittliche Beurteilung angesehen werden kann. Da 87,3 Prozent der 2011 ausgewerteten Zeugnisse beziehungsweise 68,3 Prozent der 2010 ausgewerteten Zeugnisse gute oder sehr gute Bewertungen enthalten, nahm das LAG dies zum Anlass, eine gute Leistungsbewertung als statistischen Durchschnitt anzusehen.
Insoweit konsequent erlegte das Gericht dem Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für eine unterdurchschnittliche Bewertung auf, die nach seiner Ansicht damit schon bei einer befriedigenden Bewertung vorlag. Dieser sei der Arbeitgeber aber nicht nachgekommen, so dass dem Antrag der Klägerin auf eine gute, nach dieser Ansicht nun durchschnittliche Bewertung ohne Beweisaufnahme stattgegeben wurde.
BAG: Viele Gefälligkeitszeugnisse ändern nicht die Rechtslage
Die LAG-Richter waren sich darüber im Klaren, dass sie mit dieser Entscheidung wohl nicht auf der bisherigen Linie des BAG lagen, denn sie ließen die Revision dorthin zu. Das Bundesgericht machte in seinem am Dienstag verkündeten Urteil die Berufung auf die normative Kraft des Faktischen aber nicht mit. Ob die in den Studien beurteilten Arbeitnehmer auch tatsächlich entsprechende Leistungen erbracht hätten, sei nicht feststellbar.
Der Senat bemängelte, dass den Studien möglicherweise viele Gefälligkeitszeugnisse zugrunde lagen, die dem Wahrheitsgebot des Zeugnisrechts nicht entsprächen. Einen Gleichbehandlungsanspruch in der Unwahrheit gebe es im Zeugnisrecht aber genauso wenig wie einen Anspruch auf ein Gefälligkeitszeugnis. Damit erteilte es einer statistisch belegten Praxis auch für die Zukunft eine Absage.
Der Senat blieb damit bei seiner Rechtsprechung, nach der die Nulllinie bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei einem befriedigend als allgemein anerkannter Durchschnittsnote liegt. Damit bleibt es bei dem Rechtsanspruch der Klägerin auf ein wahres Zeugnis.
Überdurchschnittliche Leistungen hatte aber auch das LAG nicht festgestellt. Konsequent verwies das BAG den Rechtsstreit daher zur Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Diese wird nun, gegebenenfalls durch eine Beweisaufnahme, klären müssen, ob die Klägerin tatsächlich die von ihr behaupteten überdurchschnittlichen Leistungen gezeigt hat.
Rein kosmetische Verbesserung hätte niemandem geholfen
Die Zahnarzthelferin wird also noch eine Weile auf ihr Zeugnis warten müssen. Frühestens 2015, nach erneuter Entscheidung des LAG, kann sie hoffen, das letztlich verbindliche Abschlusszeugnis zu erhalten, also mehr als vier Jahre nach ihrem Ausscheiden. Die Lücke, die in ihrem Lebenslauf entstanden ist, wird für die Arbeitnehmerin wohl einiges mehr an Rückfragen nach sich ziehen als das Zeugnis allein.
Da die Rechtsprechung des LAG Berlin bisher keine Zustimmung durch andere Arbeitsgerichte gefunden hat, ist damit zu rechnen, dass die Arbeitsgerichte der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ohne Wenn und Aber folgen werden.
Für Arbeitnehmer ist die Entscheidung verkraftbar, denn sie führt zum einen zu keiner Verschlechterung der bisherigen Rechtslage. Zum anderen hätte die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg nur zu einer kosmetischen Verbesserung von Zeugnissen geführt. Durch Gefälligkeitszeugnisse wird das Arbeitszeugnis in der Praxis ohnehin bereits deutlich entwertet. Die quasi selbstreferenzielle Bezugnahme auf die statistische Lage würde diesen Trend weiter verstärken. Wenn am Ende alle durchschnittlichen Zeugnisse schon gut wären und nur die überdurchschnittlichen sehr gut, wäre für alle Beteiligten nichts gewonnen.
Der Autor Michael W. Felser ist als Rechtsanwalt insbesondere auf das Arbeitsrecht spezialisiert. Zudem ist er Verfasser einiger Fachbücher, schreibt für Fachzeitschriften und Rechtsrubriken in Publikumszeitschriften und gibt regelmäßig Interviews in den Medien für arbeitsrechtliche Themen.
Michael W. Felser, BAG zur Bewertung in Arbeitszeugnissen: Mit der "vollen Zufriedenheit" muss man zufrieden sein . In: Legal Tribune Online, 19.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13855/ (abgerufen am: 18.04.2024 )
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