Ein Mann surfte in einem Monat 45 Stunden privat bei der Arbeit. Das ergab die Auswertung seines Dienstcomputers, der er aber nicht zugestimmt hatte. Ob ihm trotzdem gekündigt werden darf, sollte das BAG entscheiden. Von Michael Fuhlrott.
Die interessantesten Fälle enden häufig in einem Vergleich – leider: Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Az. 2 AZR 198/16) wäre am 27.4.2017 zur Entscheidung eines vom Sachverhalt her außergewöhnlichen Falls berufen gewesen. Gestritten wurde über eine fristlose Kündigung, die dem als Gruppenleiter Konstruktion beschäftigten Arbeitnehmer gegenüber im März 2014 ausgesprochen worden war.
Die Arbeitgeberin stützte die Kündigung auf eine exzessive Privatnutzung des Internets, deren zeitlicher Umfang und qualitativer Inhalt ausführlich über einen Zeitraum von zwei Monaten ausgewertet worden war. Hiernach hatte der Arbeitnehmer im Monatsschnitt rund 45 Stunden Arbeitszeit für privates Surfen verbraucht. Dabei rief er neben seinem privaten Email-Konto und der Online-Präsenz seiner Bank weitere Versanddienstleister (otto.de, ebay.de, amazon.de) als auch die Webseiten diverser "Freizeitdienstleister" und "Partnervermittler" (poppen.de, finya.de, petgirls.de, sklavenmarkt.de) in ebenfalls erheblichem Umfang auf.
Dem beschäftigenden Unternehmen ging das zu weit, es sprach dem Mann die fristlose Kündigung aus. Zuvor hatte dieser den Abschluss eines Aufhebungsvertrags abgelehnt. Gegen die Kündigung ging der Mitarbeiter sodann gerichtlich vor. Er berief sich darauf, dass nach den betrieblichen Regelungen die private Nutzung des Internets in Pausen erlaubt sei. Außerdem sei die ohne seine Einwilligung vorgenommene Auswertung des Browsers auf seinem Dienstcomputer datenschutzrechtswidrig erfolgt. Die Auswertung über sein Surfverhalten im Arbeitsgerichtsverfahren sei daher unverwertbar.
Die Urteile der Vorinstanzen
Mit dieser Argumentation drang der klagende Arbeitnehmer aber weder vor dem Arbeitsgericht Berlin (ArbG Berlin, Urt. v. 21.1.2015, Az.: 37 Ca 4257/14) noch vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 14.01.2016, 5 Sa 657/15) durch. Beide Gerichte bewerteten die fristlose Kündigung als wirksam.
Das LAG ließ aber aufgrund der datenschutzrechtlichen Fragestellungen rund um die prozessuale Verwertbarkeit der ohne Einwilligung erhobenen Daten die Revision zum BAG zu. Dieses wollte am 27.04.2017 über die Sache entscheiden, was es nun aufgrund eines von den Parteien kurz vor der dortigen mündlichen Verhandlung geschlossenen Vergleiches nun nicht mehr muss.
Doch nicht nur die Entscheidungen der Vorinstanzen lassen eine Prognose zu, wie das BAG den Fall womöglich entschieden hätte.
Überlegung vorab: Warum klagt der Arbeitnehmer?
Nun mag man sich fragen, warum der Mann in seinem Fall, in dem ein über lange Zeit nachweisbar gravierendes Fehlverhaltens dokumentiert wurde, seine Kündigungsschutzklage in öffentlicher Verhandlung über alle Instanzen der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit weiterverfolgte. Immerhin war im Rahmen umfangreicher Beweisaufnahmen neben Dauer und Umfang insbesondere auch der Inhalt der besuchten Seiten bekannt und vor einem großen Publikum breitgetreten worden.
Zunächst gilt: Eine fristlose Kündigung darf gem. § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausgesprochen werden, wenn ein an sich wichtiger Grund (Stufe 1) vorliegt. Dieser muss nach Durchführung einer Interessenabwägung auch unter konkreter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände (Stufe 2) wie etwa der Betriebszugehörigkeit oder des Lebensalters eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers selbst bis zum regulären ordentlichen Kündigungstermin unzumutbar machen.
Zwar wies der klagende Mann eine Betriebszugehörigkeit von rund 15 Jahren auf, doch war er mit seinem Geburtsjahr 1970 und keinen bestehenden Unterhaltspflichten unter sozialen Gesichtspunkten vergleichsweise wenig schutzwürdig. Hingegen waren die Fehlverhaltensweisen über einen langen Zeitraum und fortgesetzt erfolgt und dürften rechtlich als schwere Pflichtverletzungen unter den Stichworten "Arbeitszeitbetrug" und ggf. auch "Gefährdung der IT-Sicherheit" zu subsumieren sein.
Ein "sicherer" Fall für den Arbeitgeber also, sodass der Mann sich den langen Rechtsstreit besser gespart hätte?
2/2: Fall gar nicht so eindeutig
Dass es durchaus Risiken und Klärungsbedarf gibt, ist bereits aus der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg zu entnehmen, das die Revision zum BAG zuließ. Im Fokus der rechtlichen Diskussion stand die Frage, ob die Erkenntnisse aus der Auswertung des Browserverlaufes überhaupt berücksichtigt werden durften. Entscheidungserhebliche Frage war damit, ob die in einem Dienstrechner gespeicherten Daten über die Internetnutzung prozessual verwertet werden dürfen oder diesem Vorgehen ein Beweisverwertungs- oder Sachvortragsverbot entgegensteht.
In Fällen der Verletzung des Rechts der informationellen Selbstbestimmung kann in der Tat ausnahmsweise ein solches Verbot bestehen. Hierbei sind aber auch die berechtigten Interessen des Arbeitgebers an der Verwertbarkeit in der Entscheidung zu berücksichtigen. Diese Abwägungsfrage zwischen Nutzung von Daten und deren unrechtmäßiger Verwendung wird durch das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) konkretisiert, welches für eine Nutzung von Daten stets eine Ermächtigung verlange, so das LAG.
Mangels wirksamer Betriebsvereinbarung oder Einwilligung des Arbeitnehmers komme nur eine gesetzliche Legitimation in Kraft. Als solche könne § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG dienen, der dem Arbeitgeber die Erhebung und Verwertung von Daten im Arbeitsverhältnis zur Missbrauchskontrolle erlaubt. Dies sei auch in einem erforderlichen Rahmen vorliegend erfolgt, da das konkrete Ausmaß eines Missbrauchs des dienstlichen Internetzugangs sich nur durch Auswertung der Verlaufsdaten und nicht etwa schon durch die Auswertung der im Firewall-Server protokollierten Volumina des Internetverkehrs habe feststellen lassen.
Im Ergebnis nahmen die Berliner Landesarbeitsrichter also ein datenschutzrechtskonformes Verhalten des Arbeitgebers an, ließen mangels höchstrichterlicher Entscheidung zum Zeitpunkt des Urteils aber die Revision zum BAG zu.
Wie das BAG wohl entschieden hätte
Legt man die Erkenntnisse aus dem landesarbeitsgerichtlichen Urteil zu Grunde, so spricht viel dafür, dass das BAG sich den Vorinstanzen angeschlossen hätte. Zum einen erscheint angesichts der massiven Vorwürfe eine datenschutzrechtlich Auswertung im Ergebnis gerechtfertigt, da die erhebliche Beeinträchtigung der Interessen des Unternehmens bei einer Abwägung überwiegen dürfte.
Zum anderen hatten die Erfurter Richter in zwei jüngeren Urteilen (v. 22.9.2016, Az.: 2 AZR 848/15 u. v. 20.10.2016, Az.: 2 AZR 395/15) betont, dass selbst ein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorgaben nicht per se zur Unverwertbarkeit entsprechend erlangter Erkenntnisse führt. Vielmehr bedürfe es in jedem Fall einer Abwägung im Einzelfall zwischen Beweisverwertungsinteresse und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers.
Die gegenteilige Auffassung, die partiell von Instanzgerichten (LAG Baden-Württemberg v. 20.7.2016, 4 Sa 61/15) vertreten wurde, hat das BAG damit ausdrücklich abgelehnt. Ob der Mann seine Erfolgsaussichten deshalb gering einschätzte und nach einem langen Streit einen Vergleich einging, ist nicht bekannt. Vielleicht war ihm auch bloß eine weitere ausführliche Diskussion der Inhalte der von ihm besuchten Seiten vor Gericht inklusive medialer Aufmerksamkeit zu viel des Guten.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht und Studiendekan Wirtschaftsrecht an der Hochschule Fresenius sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Römermann Rechtsanwälte AG in Hamburg.
Michael Fuhlrott, Kündigung nach exzessiver Internetnutzung: 45 Stunden im Monat privat bei der Arbeit gesurft . In: Legal Tribune Online, 21.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22713/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag