Mitbestimmung in der Matrix: BAG zeigt den fal­schen Weg

Gastbeitrag von Dr. Wolfgang Lipinski und Gerd Kaindl

18.09.2019

Wenn die Arbeit in der Zentrale verrichtet wird, doch die untergebenen Mitarbeiter in Betriebsstätten sind, welcher Betriebsrat darf dann mitreden? Die Entscheidung des BAG erklären Wolfgang Lipinski und Gerd Kaindl.

Ungefähr ein Drittel der deutschen Unternehmen greifen mittlerweile auf die Organisationsform der so genannten Matrix zurück. Bei der Matrixstruktur wird das Unternehmen horizontal in projekt- oder produktbezogene Bereiche (Produkt 1, Produkt 2) aufgeteilt. Vertikal wird sie in funktionale Bereiche (z.B. Produktion, Vertrieb, Verwaltung) geteilt. Dies hat vor allem den Vorteil, dass der Kommunikationsweg zwischen den Abteilungen deutlich kürzer ist. Ferner wird eine enge, fachliche Steuerung der Mitarbeiter über Betriebs- und Unternehmensgrenzen hinaus ermöglicht. Die Effizienz und Spezialisierung der Arbeit kann erhöht werden.

Das 1972 in Kraft getretene Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ist jedoch für eine solche moderne Matrixstruktur nicht ausgelegt. So muss nach dem BetrVG ein Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitnehmern bei einer Einstellung und Versetzung im Betrieb vorher den Betriebsrat unterrichten und seine Zustimmung einholen. Doch gilt das auch bei der Übertragung einer Führungsaufgabe in der Matrixstruktur im Betrieb der untergebenen Mitarbeiter? Und welcher Betriebsrat ist ggf. zuständig? Das gelte bei einer Eingliederung in die Betriebsstätte, und deren Betriebsrat sei dann auch zuständig, so das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer jetzt veröffentlichten Entscheidung (BAG, Beschl. v. 12.06.2019, Az. 1 ABR 5/18).

Das BAG hatte über einen Fall zu entscheiden, in welchem ein Mitarbeiter zum Bereichsleiter befördert wurde. Der Mann war schon zuvor dem Betrieb in der Zentrale zugeordnet. Der dortige Betriebsrat hatte der Beförderung zugestimmt. Nun allerdings nahm der Beschäftige von der Zentrale aus seine Führungsaufgabe inklusive Weisungsbefugnis gegenüber mehreren Arbeitnehmern in einer anderen Betriebsstätte mit eigenem Betriebsrat war. Und der verweigerte seine Zustimmung zur Beförderung unter Verweis auf die unterbliebene interne Stellenausschreibung der Bereichsleitertätigkeit.

BAG: Entscheidend ist die Einbindung

Das BAG bejahte eine Einstellung im Sinne des BetrVG - und damit die Notwendigkeit der Zustimmung durch den Betriebsrat -, wie der Bereichsleiter als Vorgesetzter in die Erfüllung der in der Betriebsstätte zu erledigenden Aufgaben eingebunden sei. Dies allein sei für eine Eingliederung und damit eine Einstellung ausschlaggebend. Keine Rolle spiele, ob die Führungskraft ihre Arbeit auf dem Betriebsgelände oder innerhalb des Betriebes verrichte; eine Mindestanwesenheit im Betrieb sei nicht Voraussetzung. Unerheblich sei auch, wie viel Zeit der Angestellte in die Tätigkeit speziell für diese Betriebstätte investiere. Denn aus dem BetrVG ließen sich keine quantitativen oder qualitativen Vorgaben für eine Einstellung entnehmen. Eine Zuordnung der Führungskraft in den Betrieb in der Zentrale stehe der Eingliederung in den Betrieb der untergeordneten Arbeitnehmer nicht entgegen. Denn eine zeitgleiche Eingliederung in mehrere Betriebe sei durchaus denkbar.

In diesem Fall war jedenfalls der lokale Betriebsrat und nicht der Gesamtbetriebsrat für die Einstellung der Führungskraft zuständig. Der hätte jedoch die Zustimmung zur Beförderung nicht verweigern dürfen. Denn der Arbeitgeber hatte in der Betriebsstätte der untergebenen Arbeitnehmer weder einen neuen Arbeitsplatz geschaffen noch einen dort schon vorhandenen Arbeitsplatz ersetzt. Damit war eine interne Stellenausschreibung der Bereichsleitertätigkeit nicht erforderlich.

BAG an der Praxis vorbei

Klar ist nun, dass Unternehmen alle Betriebsräte derjenigen Arbeitnehmer beteiligen müssen, die der Weisungsbefugnis einer neuen Führungskraft unterfallen. Bei großen Unternehmen kann das schnell die Beteiligungspflicht einer Vielzahl von lokalen Betriebsratsgremien zur Folge haben. Vor diesem Hintergrund wäre eine quantitative oder qualitative Beschränkung durch einen Schwellenwert bei Definition der Anforderungen für das Vorliegen einer "Einstellung" seitens des BAG sinnvoll gewesen.

Aus Sicht der Autoren ist es mangels tatsächlicher Eingliederung der Führungskraft wenig nachvollziehbar, dass das BAG eine Einstellung bejahte. Eine solche Sichtweise geht damit an den Bedürfnissen der Praxis im Arbeitsleben vorbei. Matrixstrukturen sind in einer modernen Unternehmensstruktur unentbehrlich geworden. Die zitierte BAG-Entscheidung bewirkt aber, dass die Führungskraft in jedem Betrieb eingegliedert ist, wenn sie gegenüber den den dort ansässigen Arbeitnehmern weisungsberechtigt ist. Ob dann die Führungskraft z.B. in allen diesen Betrieben bei den Betriebsratswahlen wahlberechtigt oder bei den Schwellenwerten des BetrVG berücksichtigt werden muss, hat das BAG noch dahinstehen lassen. Für völlig ausgeschlossen halten die Autoren eine solche – aus ihrer Sicht falsche – Sichtweise im Rahmen von folgenden BAG-Entscheidungen aber nicht.

Unternehmen müssen nach dieser Entscheidung insbesondere die formell ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats bei der Einstellung gewährleisten. Der kann dann zwar unter Umständen die Zustimmung verweigern. Für den Fall sieht das BetrVG jedoch ein Prozedere für eine vorläufige vor, die der Betriebsrat selbst im Wege einer einstweiligen Verfügung nicht stoppen kann.

Zur Vermeidung der Beteiligung des Betriebsrats bei der Übertragung von Führungsaufgaben sollten Arbeitgeber prüfen, ob die Führungskraft ein leitender Angestellter im Sinne des BetrVG ist. Denn bei leitenden Angestellten ist das BetrVG mit seinen Beteiligungspflichten nicht anwendbar. Im Zweifel sollte der lokale Betriebsrat vorsorglich bei der Einstellung beteiligt werden. Wichtig für die Praxis ist jedenfalls, dass das BAG mit der zitierten Entscheidung für Klarheit mit der alleinigen Zuständigkeit des lokalen Betriebsrats gesorgt hat.

Der Autor Dr. Wolfgang Lipinski ist Partner bei Beiten Burkhardt in München, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Leiter der Praxisgruppe Arbeitsrecht. Der Autor Gerd Kaindl ist Rechtsanwalt bei Beiten Burkhardt in München und arbeitet dort in der Praxisgruppe Arbeitsrecht.

Zitiervorschlag

Mitbestimmung in der Matrix: BAG zeigt den falschen Weg . In: Legal Tribune Online, 18.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37699/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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