Aussetzung der Wehrpflicht: Vorgaben des Verfassungsgerichts bleiben gewahrt

Norbert Diel

03.09.2010

Der Sparzwang stand am Anfang. Doch immer mehr kristallisierte sich heraus, dass es Verteidigungsminister Guttenberg bei der Aussetzung der Wehrpflicht gar nicht um die Haushaltslage geht. Er will viel mehr die Bundeswehr den Erfordernissen der weltpolitischen Sicherheitslage anpassen. Norbert Diel sieht darin den richtigen Weg - und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gewahrt.

Deutschland steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Die aktuelle sicherheitspolitische Lage macht es nicht mehr erforderlich, dass der Bürger seine Uniform anzieht und das Vaterland an den Landesgrenzen verteidigt. Denn seit dem Ende des Kalten Krieges ist die Landesverteidigung nicht mehr in diesem engen Wortsinn zu verstehen, sondern sie hat sich zu einem umfassenden, mehrschichtigen sicherheitspolitischen Begriff entwickelt und gewandelt. Diese Begriffserweiterung hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung vom 12.7.1994 mit der Awacs/Somalia Entscheidung begonnen und seitdem konsequent fortgeschrieben.

Da das Grundgesetz an verschiedenen Stellen, u.a. in Art. 65a GG und 115b GG, den Primat der Politik gegenüber dem Militär erklärt, liegt es an Bundesregierung und Bundestag zu erkennen und zu definieren, wo und wie die sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands im Ausland vertreten werden müssen.

Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht verschiedentlich klargestellt, etwa in seinem Urteil vom 7.5.2008. Meist geht es um die Abwehr einer Bedrohungslage wie den internationalen Terror, der dort bekämpft werden soll, wo er entsteht. Man will das Übel an der Wurzel packen und nicht warten, bis sich der Terror nach Europa ausdehnt.

Einsätze an Krisenherden – eine Aufgabe für Profis

Das wiederum bedingt, dass die Bundeswehr mehr denn je an den die sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands berührenden Krisenherden präsent sein muss, um Frieden zu erzwingen oder vorhandenen Frieden zu stabilisieren. Und vielfach ermöglicht erst die militärische Befriedung den zivilgesellschaftlichen Kräften in den jeweiligen Ländern nachgelagert den Aufbau von freiheitlich-demokratischen Staatswesen.

Die peace-keeping und peace-forcing Aufgaben kann man nicht mit einer Armee bewältigen, die zum überwiegenden Teil aus Bürgern besteht, die sich für ein paar Monate militärisches Grundwissen aneignen, um anschließend wieder in das Zivilleben zurückkehren. Man braucht Profis, die gut ausgebildet sind und ihren militärischen Auftrag effizient erfüllen können. Infolge dessen gehen die europäischen Staaten zunehmend dazu über, ihre Wehrpflichtarmeen in Berufsheere umzuwandeln.

Mit deutlicher Verspätung hat sich nun auch die deutsche Politik dieses Themas angenommen und überlegt in einem ersten Schritt, die Wehrpflicht auszusetzen.

Drei Wege, die Wehrpflicht auszusetzen

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 13.4.1978 klargestellt, dass die Landesverteidigung nicht nur auf der Grundlage einer Wehrpflichtarmee, sondern auch durch eine Freiwilligenarmee erfolgen kann. In der Tat können Bundesregierung und Deutscher Bundestag in vielfältiger Weise die Wehrpflicht ändern.

Die Wehrpflicht kann zunächst ausgesetzt werden, indem der Deutsche Bundestag einen Bundeshaushalt beschließt, der keinerlei Haushaltsmittel für Dienstposten von Wehrpflichtigen mehr vorsieht. Das folgt aus Artikel 87a I GG, wonach sich die Streitkräfte, ihre Stärke und Organisation aus dem Bundeshaushalt ergeben müssen. Der Vorteil dieser Variante wäre, dass das Wehrpflichtgesetz dann in Kraft bliebe und die Einberufung Wehrpflichtiger im Rahmen eines Nachtragshaushaltes oder mit dem Haushaltsbeschluss für spätere Jahre wieder vorgesehen werden könnte.

Zweitens kann der Deutsche Bundestag die Wehrpflicht auf einfach-gesetzlicher Ebene abschaffen, indem er das Wehrpflichtgesetz aufhebt. Dies hätte den Vorteil, dass Art. 12a GG unberührt bliebe und keine weiteren Maßnahmen notwendig wären.

Schließlich kann der Bundestag die Wehrpflicht auf der Ebene des Verfassungsrechts abgeschaffen, indem er mit einer Zweidrittelmehrheit Artikel 12a aus dem Grundgesetz streicht.

Kann es eine freiwillige Wehrpflicht geben?

Auf politischer Ebene wird zurzeit auch diskutiert, zum Wehrdienst nur diejenigen einzuberufen, die sich ausdrücklich mit der Einberufung einverstanden erklärt haben. Faktisch würde dies einer Aussetzung der Wehrpflicht gleichkommen, weil nur noch Freiwillige in der Bundeswehr dienen. Die Rechtsgrundlage für die freiwillige Selbstverpflichtung, Soldat zu werden, wäre in diesem Fall nicht das Soldatengesetz, sondern das Wehrpflichtgesetz.

Der Zivildienst hat trotz seiner unbestritten hohen Bedeutung für das soziale Gemeinwesen keine eigene Existenzgarantie, weil der Zivildienst nur ein Ersatzdienst für den Wehrdienst ist. Wird der Pflichtwehrdienst ausgesetzt, fällt folglich auch der Pflichtzivildienst weg. Daher kann man nicht die Beibehaltung der Wehrpflicht mit der vermeintlichen Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Zivildienstes begründen.

Die Wohlfahrtsverbände wie der Arbeiter-Samariter-Bund, das Rote Kreuz oder die Johanniter Unfallhilfe haben das früh erkannt und bauen ihr System schon seit vielen Jahren um, indem sie zunehmend ohne die Zivildienstleistenden planen. Dieser Umbau steht kurz vor dem Abschluss, weshalb die Politik nun das Thema der Aussetzung der Wehrpflicht angeht. Jedenfalls wird die damit verbundene Aussetzung des Zivildienstes keine Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der sozialen Dienste haben.

Eine stärkereduzierte Freiwilligenarmee wird die Bündnisfähigkeit Deutschlands nicht beeinträchtigen, weil die Bundeswehr seit Langem keine nationale Armee mehr ist. Längst gibt es multinationale Einheiten und die Armee ist darauf trainiert, etwa mit ihren italienischen, spanischen, französischen Partnereinheiten im Ausland gemeinsam militärische Aufgaben zu erfüllen. Insoweit ist die "Europäische Bundeswehr" einsatzbereit und schlagkräftig.

Der Autor Rechtsanwalt Norbert Diel ist Major d.R. und Mitglied der Kontrollkommission des Arbeiter-Samariter-Verbandes Düren/Erft.

Zitiervorschlag

Norbert Diel, Aussetzung der Wehrpflicht: Vorgaben des Verfassungsgerichts bleiben gewahrt . In: Legal Tribune Online, 03.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1360/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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