Bundesweit sind die Zahlen der Asylklagen exorbitant angestiegen. Der Bundesrat hat nun vorgeschlagen, mit der Reform der Ausreisepflicht gleich auch den Klageweg zu verändern. Praktiker erwarten eine gravierende Entlastung der Gerichte.
140 Prozent: Um diese Zahl stieg die Anzahl der Verfahren am Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf 2016 im Vergleich zum Vorjahr. Rund 65 Prozent davon sind Asylverfahren. Bei den diversen VG in Niedersachen lag die Zahl im Schnitt bei rund 100 Prozent. Am dramatischsten war der Anstieg am VG Berlin: Dort sind im Jahr 2015 rund 2.350 Asylverfahren eingegangen, 2016 hingegen 10.600 Verfahren. Am VG Frankfurt (Oder) lag der Anstieg bei rund 331, in Potsdam bei 111 Prozent.
Da stellen sich die Zahlen am Hessischen Verwaltungsgerichtshof bei einem Anstieg der Eingangszahlen bei Asylverfahren von nur 55 Prozent und am VG Karlsruhe von zuletzt erneut rund 59 Prozent auf den ersten Blick als gemäßigt dar. Doch die Zahlen sind gestiegen, nachdem die Verfahren schon in den Vorjahren stetig mehr geworden waren. Und das nicht nur um wenige Prozentpunkte, sondern massiv. Am VG Düsseldorf hieß das konkret: Allein für die Asylverfahren 13.692 Akten anzulegen. Auch die nichtrichterlichen Mitarbeiter kommen an ihre Grenzen.
"Wir haben uns schon in den vergangenen Jahren wie Richter im Hamsterrad gefühlt", sagt Dr. Nicola Haderlein, Pressedezernentin und als Richterin am VG Düsseldorf derzeit für Asylverfahren von Irakern zuständig. "Das hat sich massiv verstärkt". Aktuell hätten die Richter erstmalig das Gefühl, sie kämen nicht mehr hinterher. Immerhin befassten sie sich mit jedem einzelnen Fall und dem Folgeschicksal der Antragsteller.
Abordnungen von den ordentlichen Gerichten
Und der Trend setzt sich fort: In den ersten Monaten dieses Jahres lag die Steigerung am VG Berlin bereits bei 166 Prozent, teilte der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, Joachim Buchheister, kürzlich bei der Jahrespressekonferenz mit. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) arbeitet unter Hochdruck. Die Zahl der BAMF-Beschäftigten sollte sich nach Medienberichten innerhalb eines Jahres bis Ende 2016 von 3.300 (Ende 2015) auf dann 7.300 Mitarbeiter mehr als verdoppeln, die Zahl der Asylentscheider in diesem Zeitraum von 600 auf 1700 aufgestockt werden. Viele ihrer Verfahren landen in der Folge bei den Verwaltungsgerichten.
Dort aber gibt es nicht nennenswert mehr Personal als in den Vorjahren. so. Zwar haben einige Gerichte aufgestockt, im Verhältnis zur Zunahme der Asylverfahren und der Entscheider aber in einem nur geringen Umfang: In Hessen sind im Vorjahr erstmals seit 15 Jahren neue Richterstellen geschaffen worden, das VG Düsseldorf hat in 2016 sechs zusätzliche Richterstellen bekommen, hinzu kommen dieses und nächstes Jahr weitere acht – diese abgeordnet von den ordentlichen Gerichten.
2/2: Mehr Kompetenz an die VG
Erleichterung könnte eine Initiative des Bundesrates bringen. Der hatte im Kontext der Beratungen für das Gesetz zur besseren Durchsetzbarkeit der Ausreisepflicht angeregt, die Normen § 78 Asylgesetz (AsylG)und § 80 AsylG zu ändern. Damit soll den Verwaltungsgerichten die Möglichkeit eingeräumt werden, bei grundsätzlicher Bedeutung des Falles oder Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung Beschwerde, Berufung und die Sprungrevision zuzulassen. Bisher können das nur die Oberverwaltungsgerichte (OVG).
Der Bund deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen äußerte sich nahezu begeistert: "Nachdrücklich" begrüßte der Vorsitzende Dr. Robert Seegmüller die Initiative. Sie ermögliche es, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung frühzeitig und zügig ober- bzw. höchstrichterlich zu klären.
Seiner Ansicht nach erweist sich"die vorgeschlagene Stärkung gerade im Lichte der zuletzt deutlich angestiegenen Eingangszahlen bei den Verwaltungsgerichten als sinnvoll und zielführend". So könnten die Gerichte schneller einheitlich mit den massenhaft erhobenen Klagen zum Beispiel syrischer Flüchtlinge umgehen. Die Menschen hatten die Verwaltungsgerichte bundesweit beschäftigt, weil sie anstelle des ihnen nur noch zuerkannten subsidiären Schutzes den Status als Flüchtling im Sinne der Genfer Menschenrechtskonvention bekommen wollten. Nur so wäre ihnen u.a. der legale Nachzug ihrer Familien möglich gewesen. Die VG urteilten bundesweit unterschiedlich – bis nach und nach die OVG die Verwaltungspraxis des BAMF bestätigten: kein Flüchtlingsstatus für Syrer.
Wirksame Entlastung von BAMF und VG
Derartiges könnte mit der Initiative des Bundesrates geändert werden. Verwaltungsrichter auch aus der Praxis sind davon überzeugt, dass es ihre Arbeit erleichtern könnte: "Bei uns am VG Düsseldorf befassen sich allein mit dem Land Syrien inzwischen acht Kammern", so Pressedezernentin Handerlein. Immer wieder gebe es gleichgelagerte Fälle. Das sei beim Status so gewesen, ähnlich sei es in Bezug auf den Schutz bei drohender Einberufung zur Wehrpflicht. Die Richter könnten einfach früher und schneller die Fälle abschließen, wenn sie sich dabei auf eine obergerichtliche Entscheidung stützen könnten.
"Eine divergierende Rechtsprechung insbesondere der ersten Instanz wird in einem frühen Stadium vermieden", teilt Seegmüller mit. "Entscheidungsprozesse werden beschleunigt und sowohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch die Verwaltungsgerichte wirksam entlastet. Eine Erledigung anhängiger asylgerichtlicher Verfahren wird effizient gefördert".
Tanja Podolski, Immer mehr Asylverfahren: Wie der Bundesrat die Verwaltungsrichter entlasten will . In: Legal Tribune Online, 03.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22557/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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