Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems: Wor­über Jamaika wir­k­lich dis­ku­tieren müsste

von Christoph Tometten, LL.M.

23.10.2017

Die Debatte über die Flüchtlingspolitik der künftigen Regierung geht an der Realität vorbei. Denn die EU arbeitet an einer Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Wenn die Reform in Kraft tritt, bleibt Deutschland nur noch wenig Spielraum, warnt Christoph Tometten.

Die potenziellen Koalitionspartner verzetteln sich in Debatten über Obergrenzen und die Union überlegt, wie man den Grünen weitere Beschränkungen des Asylrechts schmackhaft machen könnte, etwa mit der Zusage eines Einwanderungsgesetzes. Die Obergrenze ist aber verfassungs- und völkerrechtlich unzulässig und die Neugestaltung der Arbeitsmigration in einem Einwanderungsgesetz hat mit Flüchtlingspolitik nichts zu tun.

Viel wichtiger wäre es, in den Koalitionsverhandlungen endlich die Debatte um die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) aufzugreifen.

Schon Mitte 2016 hat die EU-Kommission weitreichende Vorschläge zur GEAS-Reform vorgelegt, die derzeit im Europäischen Parlament und im Rat beraten werden. Die Vorschläge sollen "eine humane und effiziente Asylpolitik" gewährleisten und "die Funktionsweise der vorhandenen Instrumente und Verfahren verbessern". Die Außengrenzen sollen besser kontrolliert und irreguläre Migration soll unterbunden werden.

Die bestehenden EU-Richtlinien würden dann weitgehend durch direkt anwendbare EU-Verordnungen ersetzt, die den Mitgliedstaaten in der Flüchtlingspolitik nur noch wenig Spielraum ließen. Das betrifft sowohl die Voraussetzungen, unter denen Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte (also Menschen, die vor Todesstrafe, Folter oder bewaffneten Konflikten fliehen) anerkannt werden, als auch das Asylverfahren und die Situation der Menschen nach einer Anerkennung. Die Folgen sind bislang kaum abzusehen.

Das gesamte Flüchtlingsrecht wird neu gefasst

Die Reformen betreffen die Dublin-Verordnung, die den für die Durchführung von Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaat bestimmt, und die Eurodac-Verordnung über den Abgleich von Fingerabdrücken. Die Verfahrensrichtlinie, die Mindeststandards im Asylverfahren festlegt, soll durch eine EU-Verordnung ersetzt werden, ebenso die Anerkennungsrichtlinie, die die materiellen Voraussetzungen für die Anerkennung von Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten regelt.

Zudem soll die Aufnahme von Flüchtlingen aus Drittstaaten in der EU neu geregelt werden und eine EU-Asylagentur soll das Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) ablösen. Lediglich die Aufnahmerichtlinie bliebe als Richtlinie bestehen, sodass die Mitgliedstaaten bei den Aufnahmebedingungen für Asylsuchende weiterhin einen Umsetzungsspielraum hätten. Kurz gesagt: Die Reform betrifft das gesamte Flüchtlingsrecht.

Wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts wären nach der Reform weite Teile des deutschen Asylgesetzes und Teile des Aufenthaltsgesetzes nicht mehr anwendbar.

Starre Zuständigkeiten verhindern flexible Flüchtlingspolitik

Die schwerwiegendsten Folgen dürften sich aus der neugefassten Dublin-Verordnung und der neuen Verfahrensverordnung ergeben. Bisher können Asylsuchende von dem Staat, in dem sie Asyl beantragen, in den laut Verordnung zuständigen Staat überstellt werden. In der Regel ist das der Staat, in den sie zuerst eingereist sind, es sei denn, es leben Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat.

Für die Überstellung gelten allerdings bestimmte Fristen, ansonsten muss der Staat, in dem der Asylantrag gestellt, selbst das Asylverfahren übernehmen. Diese Fristen sollen laut Kommissionsvorschlag entfallen. So würde eine "ewige Zuständigkeit" eingeführt: Auch wenn die Überstellung nicht erfolgt, etwa wegen organisatorischer Schwierigkeiten oder menschenrechtlicher Bedenken, würde das Asylverfahren auf unabsehbare Zeit nicht weitergeführt. Im unzuständigen Mitgliedstaat sollen Asylsuchende – wenn überhaupt – nur stark reduzierte Sozialleistungen erhalten (Art. 17a der neugefassten Aufnahmerichtlinie; Art. 5 Abs. 3 der neugefassten Dublin-Verordnung).

Zugleich soll das Selbsteintrittsrecht (Art. 17 Abs. 1 der geltenden Dublin-Verordnung), das jedem Mitgliedstaat ermöglicht, ohne weitere Begründung das Asylverfahren selbst durchzuführen (wie im Herbst 2015 in Deutschland geschehen), nur noch aus familiären Gründen ausgeübt werden können (Art. 19 Abs. 1 der Neufassung). So würde der politische Gestaltungsspielraum bei der Flüchtlingsaufnahme quasi zunichtegemacht.

Zitiervorschlag

Christoph Tometten, LL.M. , Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems: Worüber Jamaika wirklich diskutieren müsste . In: Legal Tribune Online, 23.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25173/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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