Deutscher Jurist unterstützt Anwaltschaft in Äthiopien: "Der Rechts­staat hat am Boden gelegen"

Interview von Marcel Schneider

10.12.2019

Cord Brügmann hilft dabei, in Äthiopien eine unabhängige Anwaltschaft aufzubauen. Ein Land, in dem auf 110 Millionen Einwohner gerade einmal 4.000 Berufsträger kommen, die teilweise nicht einmal Zugang zu Gesetzestexten haben.

LTO: Herr Dr. Brügmann, Sie helfen gerade dabei, in Äthiopien eine unabhängige Anwaltschaft aufzubauen. Mit welchen Schwierigkeiten haben Anwälte dort zu kämpfen, wie entwickelt sich der Rechtsstaat dort?

Dr. Cord Brügmann: Der Rechtsstaat hat in Äthiopien nach jahrzehntelanger repressiver Regierung bis Frühling 2018 am Boden gelegen. Was wir unter Rechtsstaat verstehen – unabhängige Justiz, Begrenzung der Macht der Regierung, Verfahren, die legitime Ergebnisse produzieren –, hat es dort nicht gegeben, zumindest sobald eine Rechtsfrage auch nur annähernd politisch wurde. Die Anwaltschaft wurde und wird noch unmittelbar staatlich reguliert: Die Berufsträger müssen jährlich ihre Lizenz erneuern. Das konnte immer auch als Wohlverhaltenskontrolle durch den Staat missbraucht werden.

Wie beschwerlich ist die Arbeit für die Anwälte im Land?

Abgesehen von der staatlichen Kontrolle muss man sich vor Augen führen, dass auf etwa 110 Millionen Einwohner aktuell etwa 4.000 Anwälte kommen. Viele von ihnen arbeiten in der Hauptstadt Addis Abeba; einige auf höchstem Niveau, gerade im internationalen Wirtschaftsrecht. Das Gros im Rest des Landes hat aber dasselbe Problem wie die Justiz: Es gibt kaum bis gar keinen Zugang zu Gesetzestexten, Entscheidungsdatenbanken oder sonstigen Rechtsinformationen. Außerdem ist die Justiz häufig ineffizient und  korruptionsanfällig. Das erschwert den Zugang zum Recht für alle.

(c) Cord Brügmann

Aber das ändert sich gerade?

Ja. Im April 2018 kam der neue Ministerpräsident und inzwischen designierte Nobelpreisträger Abiy Ahmed an die Macht. Er will das Land demokratisieren und die Gesellschaft öffnen. Abiy Ahmed weiß, dass es dafür unter anderem einen stabilen Rechtsstaat braucht, zu dem eben auch unabhängige Anwältinnen und Anwälte gehören. Sein Justizministerium hat also eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die unter der Führung der äthiopischen Anwaltsvereinigung (Ethiopian Lawyers' Association, ELA) den Entwurf für ein Anwaltsgesetz erarbeitet hat. Das soll die Anwälte weg von unmittelbarer staatlicher Kontrolle in die unabhängige Selbstverwaltung durch ein Kammerwesen führen – so ähnlich wie bei uns in Deutschland.

Da kommt Ihre Tätigkeit ins Spiel.

Ja. Die Kollegen von der ELA haben sich nach internationaler Expertise umgesehen und bei der International Bar Association (IBA) angefragt, der internationalen Vereinigung von Anwaltskammern, -verbänden und -kanzleien. In deren und im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) berate ich nun seit geraumer Zeit die Arbeitsgruppe und das Justizministerium, was mich regelmäßig nach Äthiopien führt.

Wie weit ist denn das Anwaltsgesetz und was steht genau drin?

Die Arbeitsgruppe hat den Entwurf vor einigen Wochen fertig gestellt. Das Papier soll noch dieses Jahr ins Gesetzgebungsverfahren gehen, damit es möglichst schon Anfang nächsten Jahres in Kraft treten kann. Geregelt wird alles für den Beruf Relevante, von den anwaltlichen Grundpflichten über die Fortbildung bis hin zu einem Minimum an Pro-Bono-Tätigkeit und dem Umgang mit Fremdgeld.

Kern des Gesetzes ist dabei nicht nur die Unabhängigkeit der Anwaltschaft durch gute Selbstverwaltung. Auch Grundwerte wie Verschwiegenheit und Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen werden festgelegt.  Außerdem werden Anwaltskanzleien erlaubt werden, die es bisher nicht gibt. Das bisherige Gesetz sieht nämlich faktisch nur Einzelanwälte vor. 

Den äthiopischen Anwaltskollegen muss man hoch anrechen, dass sie sich in einem Staat, der sich in so einem gewaltigen Umbruch befindet, quasi selbst Regeln unterwerfen, die den Job nicht nur einfacher machen, mittelfristig aber den Zugang zum Recht verbessern und die Anwaltschaft, den Rechtsstaat, die Wirtschaft und damit das Land stabilisieren.

Wird das Gesetz die parlamentarischen Hürden nehmen?

Die Äußerungen aus dem Justizministerium aus den letzten Monaten deuten darauf hin, das ein neues Anwaltsgesetz die äthiopische Legislative zügig passieren wird. Präsident Ahmed hat in gut eineinhalb Jahren gezeigt, wie ernst er es meint – auch dafür wird er ja dieses Jahr den Friedensnobelpreis bekommen.

Ein Gesetz beschließen, ist ja eine Sache. Es umzusetzen, die andere. Wird auch das in Äthiopien funktionieren?

Sie haben natürlich Recht: Für echte rechtsstaatliche Reformen braucht es mehr als ein gutes Gesetz, zum Beispiel auch eine wache Zivilgesellschaft, die an den Reformen mitarbeitet. Äthiopien ist dabei auf eine starke internationale Unterstützung angewiesen, damit auch gute Governance-Strukturen entstehen, die so ein Gesetz mit Leben füllen.

Konkret heißt das: Sobald das Gesetz in Kraft ist, muss eine Anwaltskammer aufgebaut werden. Die einzelnen Rädchen wie zum Beispiel die Justizreformen und "unser" Anwaltsgesetz müssen ineinander greifen, Institutionen geschaffen und Abläufe unter allen Beteiligten abgestimmt werden. Dieser Prozess wird drei bis fünf Jahre dauern.

Werden Sie auch diesen Prozess begleiten?

Mit dem fertigen Anwaltsgesetz ist meine Hauptaufgabe erledigt. Ich habe aber Wert darauf gelegt, dass ein detaillierter "Businessplan" für das Aufbauprojekt Teil des Ganzen ist. Und ich freue mich, dass die Bundesregierung ihre Bereitschaft erklärt hat, den Aufbau finanziell zu unterstützen.

Und dieses Engagement wird sich auszahlen: Noch befindet sich das Land im Rule-of-Law-Ranking 2019 des World Justice Projects von 126 untersuchten Staaten auf Platz 118. Wenn sich der Umbruch aber weiter so rapide vollzieht, wie es aktuell der Fall ist – im Land spürt man eine regelrechte Reformbegeisterung –, wird Äthiopien sicher einige Plätze im Ranking nach oben klettern. Das wird der Regierung, aber auch den vielen reformwilligen Menschen im Land zu verdanken sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Rechtsanwalt Dr. Cord Brügmann war zehn Jahre lang Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins. In diesem Zusammenhang hat er sich auch international viel mit der Regulierung von Anwaltschaften beschäftigt und zu damit verbundenen Fragestellungen unter anderem im südlichen Afrika beraten.

Zitiervorschlag

Deutscher Jurist unterstützt Anwaltschaft in Äthiopien: "Der Rechtsstaat hat am Boden gelegen" . In: Legal Tribune Online, 10.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39149/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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