Das BVerwG soll künftig bei zusätzlichen Autobahnprojekten als erste und letzte Instanz zuständig sein. Die Rechtswegverkürzung stößt besonders bei den Grünen auf Kritik. Zulässig ist sie aber wohl, meinen Burghard Hildebrandt und Simon Frye.
Der Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes (FStrG) (BR-Drs.-Nr. 71/17) sieht unter anderem vor, dass das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) künftig als erste und einzige Gerichtsinstanz für sämtliche Streitigkeiten zuständig sein soll, die Planfeststellungs- und Plangenehmigungsverfahren für bestimmte, im Gesetz festgelegte Bundesfernstraßenvorhaben betreffen. Die Auswahl dieser Vorhaben ist nicht unumstritten. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist in einer kleinen Anfrage (BT-Drs.-Nr. 18/11061) der Ansicht, es befänden sich unter den Vorhaben, die neu hinzukommen sollen,
"besonders umstrittene Vorhaben, wie der Neubau des 17. Bauabschnittes der Stadtautobahn A 100 in Berlin, und solche Straßenbaupläne, für die auch die Bundesregierung die Auswirkungen auf Umwelt und Natur im Bundesverkehrswegeplan als "hoch" einstuft, wie der Neubau der A 20 von Weede (Schleswig-Holstein) Richtung Westen oder der A 39 von Lüneburg nach Wolfsburg (Niedersachsen)."
Die Anfrage enthält eine Vielzahl an Fragen, u.a. danach, welche Vorteile sich die Bundesregierung durch die Beschränkung auf eine Instanz erhoffe, ob diese Vorteile die Einschränkung des Rechtsschutzes der Bürger rechtfertigten und ob die Beschränkung des Instanzenzuges mit Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) vereinbar sei.
Ziel: Schnellere & einheitlichere Entscheidungen
Schon heute sieht § 50 Abs. 1 Nr. 6 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eine alleinige Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) für die im FStrG bezeichneten Vorhaben vor. Die Anlage des FStrG soll nun durch den genannten Entwurf um eine Reihe weiterer Vorhaben ergänzt werden, für die bislang noch der normale Instanzenzug gegolten hätte.
Die Möglichkeit, den Rechtsweg auf eine Instanz zu beschränken, wurde 1991 zeitlich und örtlich (Vorhaben im Zusammenhang mit den neuen Bundesländern) begrenzt, Ende 2006 dann dauerhaft und bundesweit eingeführt. Erklärtes Ziel der Schaffung des § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO und der entsprechenden Regelungen im FStrG war es, bestimmte, als besonders wichtig erachtete Bauvorhaben schneller bestandskräftig werden zu lassen – der Gesetzgeber ging von einer Verkürzung des erforderlichen Zeitraums von bis zu 1,5 Jahren aus.
Für nicht von der Rechtswegverkürzung erfasste Bauprojekte an Autobahnen sind nach § 48 Abs. 1 Nr. 8 VwGO die Oberverwaltungsgerichte (OVG) bzw. die Verwaltungsgerichtshöfe zuständig, gegen deren Entscheidung Revision (sofern zugelassen) zum BVerwG möglich ist. In der Praxis lassen die OVG die Revision aber meist nicht zu, und die – nicht selten ebenfalls ablehnenden – Entscheidungen des BVerwG über die Revisionszulassung ergehen oftmals innerhalb weniger Monate. Bei einem solchen Gang des Verfahrens stellt sich in der Tat die Frage, ob der Beschleunigungszweck die Regelung des § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO rechtfertigen kann.
Allerdings kann der Instanzenzug auch anders laufen: Wenn etwa die Revision zugelassen wird, Erfolg hat, und vom BVerwG anschließend zur Entscheidung an das OVG zurückverwiesen wird, geht ersichtlich sehr viel mehr Zeit ins Land, als wenn von Anfang an nur eine Instanz zuständig gewesen wäre. Im Übrigen ist Beschleunigung nicht das einzige verfolgte Ziel: Die Regelung soll ebenfalls divergierende Entscheidungen der einzelnen OVG verhindern (BVerwG, Beschl. v. 11.07.2013, Az. 9 VR 5/13).
2/2: Rechtswegbeschränkung ist zulässig – aber nicht als Regelfall
Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob die Verkürzung des Rechtswegs auch verfassungsrechtlich zulässig ist. Der verfassungsrechtliche Rahmen ergibt sich insoweit neben Art. 19 Abs. 4 GG aus den Art. 92 GG und Art 95 GG.
Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG steht jedermann, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Dies soll aber lediglich den Zugang zu Gericht gewährleisten. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG begründet – genauso wie das allgemeine Rechtsstaatsprinzip – keinen Anspruch auf einen Instanzenzug (Bundesverfassungsgericht, (BVerfG), Beschl. v. 07.07.1992, Az. 2 BvR 1631/90, 2 BvR 1728/90). Dementsprechend hindert er den Gesetzgeber nicht, eine alleinige Zuständigkeit des BVerwG für bestimmte Vorhaben zu bestimmen.
Nach Art. 92 GG ist die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut und wird durch das BVerfG, durch die im GG vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt. Art. 95 Abs. 1 GG sieht vor, dass der Bund den Bundesgerichtshof, das BVerwG, den Bundesfinanzhof, das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht als oberste Gerichtshöfe einrichtet.
Die Zuweisung der konkreten Zuständigkeiten dieser Bundesgerichte sowie der Gerichte der Länder bleibt grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen. Insbesondere kann man aus der Bezeichnung "oberste Gerichtshöfe" nicht ableiten, dass die Bundesgerichte nur Rechtsmittelgerichte sein können. Allerdings muss der Bundesgesetzgeber bei der Zuweisung der Zuständigkeiten die im GG getroffenen Grundentscheidungen beachten.
Daraus ergibt sich, dass "oberste Gerichtshöfen" grundsätzlich die Funktion von Rechtsmittelgerichten in letzter Instanz erfüllen. Ausnahmsweise kann ihnen der Bundesgesetzgeber aber – soweit sachlich einleuchtende Gründe vorliegen – auch eine erstinstanzliche Zuständigkeit zuweisen. Aus dem föderalen Aufbau des Gerichtswesens ergibt sich, dass es sich in diesen Ausnahmefällen um Rechtsstreitigkeiten handelt, bei denen das Interesse an einer schnellen Klärung aus gesamtstaatlichen oder bundesstaatlichen Interessen resultiert. Da die Beurteilung, ob solche Interessen vorliegen, in der Regel (verkehrs-) politische Wertungen erfordert, billigt die Rechtsprechung dem Gesetzgeber hierbei einen weiten Einschätzungsspielraum zu.
Neue Impulse durch erstinstanzliche Tätigkeit
Daraus folgt, dass der Gesetzgeber nicht nach Belieben Autobahn-Bauprojekte vom regulären Instanzenzug ausklammern darf. Vielmehr muss die Aufnahme von Vorhaben in die Anlage des FStrG die Ausnahme sein und nur solchen Projekten vorbehalten bleiben, bei denen sich ein sachlicher Grund findet. Wegen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers kann ein Gericht – im Wege der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 GG – die Aufnahme eines Vorhabens aber nur dann beanstanden, wenn sie offensichtlich fehlerhaft oder unsachlich ist (vgl. zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen insgesamt: BVerwG, Urt. v. 09.07.2008, Az. 9 A 14/07).
Daher dürften der Aufnahme neuer Vorhaben in das FStrG – auch, wenn sie umstritten ist – letztlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken entgegenstehen. Für das BVerwG mag sie auch neue Impulse bedeuten: Als das Gericht in den 90er Jahren erstmalig auch als Tatsacheninstanz tätig wurde, hat dies seine Rechtsprechung mittelbar beeinflusst. Die Vornahme von Sachverhaltsermittlungen und Beweiswürdigungen führte dazu, dass das BVerwG einige Rechtsansichten, die es als reine Revisionsinstanz entwickelt hatte – z.B. im Bereich des Lärmschutzes – wenn nicht aufgab, so doch modifizierte. In einem gewissen Sinn bedeutet die erstinstanzliche Zuständigkeit somit auch einen Schritt "weg von der Theorie und hin zur Praxis".
Dr. Burghard Hildebrandt ist Partner der Kanzlei Gleiss Lutz und berät seit vielen Jahren im öffentlichen Recht. Einen Schwerpunkt seiner Beratungstätigkeit bildet dabei der Bereich der Projektentwicklung. Zu seinen Mandanten zählen namhafte deutsche und internationale Unternehmen, aber auch die öffentliche Hand. Dr. Simon Frye ist für ihn als Associate tätig.
Dr. Burghard Hildebrandt und Dr. Simon Frye, LL.M., Alleinige Zuständigkeit des BVerwG: Kurzer Prozess beim Autobahnbau . In: Legal Tribune Online, 06.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22277/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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