Der 'Schah-Paragraph' § 103 StGB: Bei Nicht­ge­fallen Gesetz zurück

von Dr. Alexander Heinze

15.04.2016

2/2: Gründe für eine Entkriminalisierung, die in der Diskussion nicht vorkommen…

Vor allem Staatsschutzdelikte werden als diffus und schwer greifbar wahrgenommen. Dennoch sollten wir uns nicht dazu verleiten lassen, ihnen von vornherein die Strafwürdigkeit abzusprechen.

Nichts spricht per se dagegen, die Handlungsfähigkeit anderer Staaten und die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu diesen über das Strafrecht zu schützen. Oder, um es mit dem aus dem anglo-amerikanischen Recht stammenden Kriminalisierungsgrund zu beschreiben: § 103 StGB soll Schaden von der Bundesrepublik Deutschland abwenden.

Natürlich kann man diskutieren, ob die Vorschrift dazu tatsächlich geeignet ist. Vielleicht auch,  ob die Handlungsfähigkeit eines anderen Staates bzw. die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu diesem wirklich (strafrechtlich) schützenswert sind. Beides kann ein Grund für eine Entkriminalisierung sein. In der öffentlichen Diskussion über die Abschaffung der Vorschrift findet dieser Strafzweck aber so gut wie keine Erwähnung. 

… und andere, die falsch verwendet werden

Ein zweiter Grund, ein Verhalten in Zukunft nicht mehr unter Strafe zu stellen, wäre, dass man dieses einfach nicht für verwerflich hält. So sehr in der Strafrechtstheorie darüber auch gestritten wird - im Bewusstsein der Bevölkerung spielt der Verwerflichkeitsgedanke weiterhin eine große Rolle. Also: Hat sich der Täter verwerflich und unmoralisch verhalten, muss er bestraft werden.

Und hat Jan Böhmermann das getan? Intuitiv möchte man antworten: Nein, das muss doch von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. Diese Argumentation wäre jedoch ein Zirkelschluss und beantwortet die Frage nicht.

Die Verwerflichkeit beurteilt sich nämlich unabhängig davon, ob dieses Verhalten – dann auf einer zweiten Stufe – von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Anders gesagt: Böhmermanns Verhalten kann verwerflich und trotzdem von der Meinungsfreiheit gedeckt sein.

Hat Jan Böhmermann sich verwerflich verhalten?

Und ist Böhmermanns Verhalten moralisch verwerflich? Beim Versuch einer Antwort spielt der Gedanke des Respekts für eine andere Person eine große Rolle. Außerdem tendieren wir unbewusst dazu, ein Verhalten als verwerflich anzusehen, von dem wir wissen, dass es unter Strafe steht (aber nur dann bestraft werden soll, wenn es verwerflich ist).

Aus diesem Gedankenkarussell heraus hilft eine Reise auf den Kinderspielplatz: Würde dort ein Kind zum anderen Kind inhaltlich etwa das sagen, was Böhmermann mit seinem Gedicht ausdrückt, würden die Eltern ihm mit erhobenem Zeigefinger zu verstehen geben, dass so etwas nicht richtig ist und dass es sich entschuldigen soll? Sie würden es jedenfalls kaum dazu ermuntern, weiterzumachen, mit Verweis auf seine Meinungsfreiheit.

Es gibt gute Gründe dafür, das Verhalten Böhmermanns als verwerflich einzustufen –der Schutz durch die Meinungs- oder Kunstfreiheit ändert, selbst wenn man ihm einen weiten Anwendungsbereich einräumen wollte, an dieser Verwerflichkeit nichts. Also kann § 103 StGB nicht mangels Verwerflichkeit Böhmermanns Verhaltens abgeschafft werden.

Kriminalisierung ist kein Versandhandel

Eventuellen Überkriminalisierungstendenzen hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass er die Verfolgung von Verhalten wie das von Böhmermann durch die Prozessvoraussetzung in § 104a StGB in das Ermessen der Bundesregierung gestellt hat.

Es ist kaum zu erwarten, dass die Entscheidung der Regierung im Fall Böhmermann der Debatte um die Abschaffung des 103 die notwendige Kurskorrektur verleiht: Bejaht die Regierung ein Strafverfolgungsinteresse, wirkt das, als trage sie zu einem Eingriff in die Meinungsäußerungs- und Kunstfreiheit bei, die als verfassungsrechtlich verankertes Grundrecht auch für die Kriminalisierungsfrage eine Rolle spielt, wenn auch nicht, wie meist in der aktuellen Diskussion, die einzig maßgebliche. Willigt die Regierung nicht in eine Strafverfolgung ein, wird die Frage nach dem übrig bleibenden Anwendungsbereich der Vorschrift gestellt werden.

Es ist schade, dass eine im Grunde genommen erfreuliche Debatte durch Empörung so emotional aufgeladen ist, dass sie künstlich zu einem Showdown zwischen der Meinungsfreiheit in einer aufgeklärten Gesellschaft einerseits und einer aus einer entfernten dunklen Zeit stammenden Strafnorm andererseits gemacht wird. Dass 103 StGB mit Verweis auf das Etikett der veralteten Majestätsbeleidigung entsorgt werden soll, entbehrt nicht einer gewissen Ironie in einer Debatte, in der das Hinterfragen der Verfassung als Alleinstellungsmerkmal in Kriminalisierungsfragen seinerseits quasi als Majestätsbeleidung angesehen wird.

Kriminalisierung ist kein Versandhandel. Und Strafnormen sind nicht dazu geeignet, zurück geschickt zu werden, wenn es erste Anzeichen dafür gibt, dass sie einem nicht mehr gefallen. Gegner der Kriminalisierung des Besitzes von Cannabis kämpfen seit Jahren für eine Legalisierung, weil es – unter anderem – gute Gründe gibt, zu argumentieren, dass der Cannabis-Konsum moralisch nicht verwerflich ist.

Dass in der Causa Böhmermann eine drohende Verletzung der Meinungs- oder Kunstfreiheit in einem Einzelfall nach nur wenigen Tagen eine Debatte um die Existenzberechtigung des § 103 StGB auslöst, ohne dass auch nur über dessen Strafgrund nachgedacht wird, zeigt, wie einseitig die Diskussion geführt und wie bereitwillig jede strafrechtliche Wertediskussion der Diskussion um verfassungsrechtlich verankerte Freiheiten geopfert wird.

Der Autor Dr. Alexander Heinze ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kriminalwissenschaften in der Abteilung für ausländisches und internationales Strafrecht an der Universität Göttingen.

Zitiervorschlag

Dr. Alexander Heinze, Der 'Schah-Paragraph' § 103 StGB: Bei Nichtgefallen Gesetz zurück . In: Legal Tribune Online, 15.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19087/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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