Plagiate - Wissenschaftsbetrug aus Leidenschaft: Früher war's auch nicht besser

von Hermann Horstkotte

05.08.2017

Disziplin ist das Zauberwort der Wissenschaft, doch Lust und Frust sind immer schon starke Verführer gewesen, fremde Arbeiten als die eigenen zu verkaufen, wie ein neues Buch anhand historischer Fälle belegt. Von Hermann Horstkotte.

Wer eine Doktorarbeit oder andere akademische Prüfungsschrift von einem fremden Autor verfassen lässt oder das Publikum mit Fälschungen betrügt, trägt ein großes Risiko: Kommt es raus, ist der Hochschulabschluss wegen Täuschungsversuchs meist weg, zumindest aber die Blamage in Beruf und Gesellschaft groß. Trotzdem werben heute mehr als ein Dutzend Ghostwriting-Agenturen bei Dünnbrettbohrern öffentlich für ihre Hilfe. Schlimme Zeiten, möchte man meinen. Aber früher war es auch nicht unbedingt besser, wie Rechtsprofessor Wolfgang Löwer, lange Jahre zugleich Sprecher des bundesweiten Ombudsgremiums für die Wissenschaft, neuerdings an historischen Fällen herausstellt.

Ein prominentes Beispiel ist der berühmt-berüchtigte Staatsrechtslehrer Carl Schmitt, der als 33-Jähriger die sieben Jahre jüngere Kathleen Murray kennenlernte, eine gebürtige Australierin. Das war 1921. Murray wollte mit einem Auslandsstipendium in Bonn promovieren und Schmitt erhielt gleichzeitig einen Ruf dorthin. Im folgenden Frühjahr übernahm er den Lehrstuhl für "wissenschaftliche Politik". Schmitt und Murray hatten eine Liebesaffäre, wobei der notorische Casanova nach eigenen Aufzeichnungen auch "Sekundant" für die Doktorarbeit spielte. Löwer stellt fest, dass die Dissertation inhaltlich und in der deutschen Sprachfassung "ganz wesentlich" Schmitts Arbeit war.

Weil ein Bonner Anglistikprofessor das Thema über "die englische Romantik" bei einem französischen Autor nicht betreuen wollte, wandte sich Schmitt an den Romanisten Ernst Robert Curtius, zu dieser Zeit Professor in Marburg und vorher wie nachher in Bonn. Die Promotion ging gleich 1922 über die Bühne und Murray kehrte nach Australien zurück. Zwar musste die Dissertation vor der Veröffentlichung noch überarbeitet werden, aber auch das übernahm Schmitt. Löwer schließt aus, dass das Zusammenspiel von Schmitt und Murray Professoren in Bonn und Marburg verborgen geblieben wäre. Er spricht vielmehr von "augenzwinkender kollegialer Kumpanei". Dass es damit sein Bewenden hatte, ist heute nur historisch zu verstehen. Denn spätestens seit den 1990er Jahren lässt der Druck der Öffentlichkeit den Unis praktisch keine andere Wahl, als einen nachträglich auftauchenden Plagiats- oder Fälschungsverdacht von Amts wegen zu klären.

Frust frisst Hirn

Vorsicht Wissenschaft! Nach Löwer ist "Leidenschaft kein guter Ratgeber." Aber dabei muss es keineswegs immer um die Leidenschaft eines Liebespaares gehen. Neugier, Ehrgeiz oder "Leidenschaft" für etwas sind laut Löwer "an sich positive Haltungen" jedes Wissenshungrigen – allerdings auf die Gefahr, dass er oder sie im ganzen Eifer "rationale Sicherungsmechanismen ausschaltet".

Dieses Spannungsverhältnis zwischen nüchterner Wissenschaft als methodisch gesichertem Verfahren und unkontrolliertem Enthusiasmus ist im Übrigen schon seit zweieinhalbtausend Jahren bekannt, spätestens seit Platon, dem alten Griechen. Neuerdings macht Löwer das am Roman "Die Verlorene Handschrift" von Gustav Freytag (1864) anschaulich, speziell mit der Figur des Nachwuchswissenschaftlers Knips.

Magister Knips ist Dokumentenfälscher. Er hat heimlich ein angeblich antikes Manuskript mit einem bislang unbekannten Text des römischen Historikers Tacitus fabriziert und diese Fälschung dann dreist als Machwerk eines namhaften Professors "aufgedeckt". Diese Gemeinheiten rechtfertigt Knips unter vier Augen gegenüber seiner Mutter so: "Ich lese Korrekturen, und ich mache Arbeiten für diese Gelehrten, die mich behandeln wie einen römischen Sklaven. Und kein Mensch weiß, wie oft ich ihre Dummheiten ausbessere." In Fällen einer "empfundenen Zurücksetzung", die Mitarbeiter zu Fehlverhalten verleitet, sieht Löwer nach wie vor eine besondere "Schwäche des Wissenschaftssystems".

Täuschungsvorsatz als Charakterschwäche

Bis heute wird der Täuschungsvorsatz des Plagiators oder Fälschers mitunter, wenngleich selten,  sogar vor Gericht als persönliche "Charakterschwäche" gebrandmarkt. Vor hundertfünfzig Jahren musste sich der Übeltäter Knips von seinem akademischen Lehrer zudem noch anhören: Fälschung sei "ein Verbrechen an dem höchsten Gut, welches dem Geschlecht des Menschen vergönnt ist, an der Ehrlichkeit der Wissenschaft." Knips habe "die Kunst des Satans gegen Arglose" geübt, die gutgläubigen Fachkollegen, und damit mutwillig alles zerstört, "was seinem Leben Halt und Adel gibt." Moderne wissenschaftshistorische Untersuchungen zeigen, dass diese Tonart bei akademischen Auseinandersetzungen im 19. Jahrhundert tatsächlich nicht unüblich war.

Gegenüber der traditionell infamierenden Kritik gewinnt mittlerweile eine differenziertere Betrachtung an Geltung. So stellt Volker Rieble, der Münchener Jura-Professor und Experte im Wissenschaftsrecht, klar, dass "subjektive Vorwerfbarkeit nur für Schadenersatz und Strafbarkeit erforderlich ist." Andererseits sei etwa der Entzug der Doktorurkunde nach Verwaltungsverfahrensrecht gar nicht unbedingt auf den Nachweis einer Täuschungsabsicht angewiesen: nach dem Wortlaut des Gesetzes genüge dafür die bloße Tatsache, dass der Doktortitel durch falsche Angaben "erwirkt" wurde. Was an fehlgeleiteter Leidenschaft dahinter stecken mag, kann insoweit dahingestellt bleiben.

Buchtipp: Wolfgang Löwer, Regeln guter wissenschaftlicher Praxis im Spiegel (mehr zufälliger) literarturhistorischer und wissenschaftsgeschichtlicher Funde, Nomos Verlag 2017

Zitiervorschlag

Hermann Horstkotte, Plagiate - Wissenschaftsbetrug aus Leidenschaft: Früher war's auch nicht besser . In: Legal Tribune Online, 05.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23807/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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