Jura-Professor schreibt Drehbuch für "Das Tagebuch der Anne Frank": "Mein Vater gehörte zur Elite des NS-Staates"

von Constantin Körner

02.03.2016

Die Neuverfilmung von "Das Tagebuch der Anne Frank" kommt am Donnerstag in die Kinos. Das Drehbuch stammt vom Juristen Fred Breinersdorfer, der im Interview verrät, warum er sich erneut mit einem Stück über die NS-Zeit befasst hat.

LTO: Im Rahmen der 66. Berlinale feierte "Das Tagebuch der Anne Frank" jetzt Weltpremiere. Wie haben Sie die bisherigen Reaktionen aufgenommen?

Breinersdorfer:  Sehr positiv, vor allem freut mich sehr, dass der Film offensichtlich beim jungen Publikum sehr gut aufgenommen wurde, denn hauptsächlich für diese Zielgruppe ist er gedacht. Aber auch ältere Zuschauer, für die das Tagebuch der Anne Frank fast vergessene Schullektüre war, haben begeistert reagiert.

LTO: Nach "Sophie Scholl - die letzten Tage", nominiert für einen Oscar, und "Elser - er hätte die Welt verändert" haben Sie für das Drehbuch von "Das Tagebuch der Anne Frank" zum dritten Mal ein Schicksal aus der Zeit des Nationalsozialismus aufgegriffen. Warum fesselt Sie dieses Thema so sehr?

Breinersdorfer: Die unbewältigte Vergangenheit unseres Volkes mit den unfassbaren Verbrechen der Nazis ist nicht nur ein persönliches Thema, es ist zu einer Herausforderung meiner Generation geworden, die gegen das Verschweigen und Verdrängen rebelliert hat.

"Mein Vater war in der SS-Einheit 'Leibstandarte Adolf Hitler' Offizier"

LTO: Sie sprachen vorhin schon das junge Publikum an. Für dieses sind heutzutage Demokratie und Rechtstaatlichkeit in Deutschland - zum Glück - etwas völlig Selbstverständliches. Gestatten Sie mir deshalb die Nachfrage: Wie haben Sie ganz persönlich gegen das - wie Sie vorhin sagten - Schweigen und Verdrängen rebelliert?

Breinersdorfer: Meine Eltern sind beide in Armut aufgewachsen und im Nazi-System groß und bereits in jungen Jahren erfolgreich geworden. Mein Vater war in der SS-Einheit "Leibstandarte Adolf Hitler" Offizier, immer an der Front, zum Glück nie in einem KZ. Er gehörte damals zur Top-Elite des Staates. Nach dem Krieg war er nur noch kleiner Angestellter. Da kann man noch in etwa nachvollziehen, dass er im Chaos der Nachkriegszeit keine kritische Haltung zu Nazi-Deutschland einnahm.

Doch in dem Maße, in dem einerseits die Verbrechen des Systems bekannt wurden und sich andererseits ein freies Deutschland etablierte, von dem er wie alle profitierte, hätte ich von ihm, wie von meiner Mutter, erwartet, sich mit dem Nazitum und ihrer Rolle auseinanderzusetzen. Aber das war bei uns zu Hause verboten, obwohl ich viele Fragen gestellt habe. Es wurde nicht nur verdrängt, mein Vater war aktiv in einer Kameradschaft ehemaliger SS-Angehöriger bis sie aufgelöst wurde. Ich habe das nie verstanden und als Student meine Kritik sozusagen nach außen gewendet, gegen die alten Nazis in den Behörden und Universitäten. Viele davon waren noch im Amt, als ich 1968 zu studieren begonnen habe. Und es hat zu lange gedauert, bis diese Generation der Unbelehrbaren abgetreten ist.

LTO: Was ist Ihnen schwerer gefallen: Die erste Hausarbeit oder das erste Drehbuch?

Breinersdorfer: Das erste Drehbuch – und zwar nicht das Schreiben an sich, sondern die erste Fassung von 400 auf 90 Seiten zu kürzen.

LTO: Ihr erster Abel-Krimi  der gleichnamigen Serie hieß "Reiche Kunden killt man nicht." Wie viel Anwalt Breinersdorfer steckt in der Romanfigur des Anwalts Abel?

Breinersdorfer: Ich wäre immer schon gerne so cool, raffiniert und tricky gewesen wie Jean Abel. Wenn man das im richtigen Leben nicht schafft, hat man als Autor immer die Chance, einen Helden mit dem auszustatten, was einem zu fehlen scheint.

LTO: Ihre Tochter Léonie-Claire Breinersdorfer ist gleich in zweierlei Hinsicht in Ihre Fußstapfen getreten. Auch sie ist Anwältin und Autorin. Warum haben Sie Ihr Jura nicht ausgeredet und stattdessen gleich zum Besuch einer Filmakademie geraten?

Breinersdorfer: Versuchen Sie mal einer selbstbewussten Tochter Berufswünsche auszureden, dann kennen Sie die Antwort. Es war ja für sie auch ein Stück großer persönlicher Emanzipation vom Vater. Ich bin sehr stolz, wie sie ihren Weg gemacht hat. Und dass wir gelegentlich erfolgreich zusammen arbeiten wie bei "Elser - er hätte die Welt verändert"... ist das nicht wunderbar?

"Das bisherige Urhebervertragsrecht hat nicht funktioniert"

LTO: Im Jahr 2013 forderten Sie radikal "Verschenkt meine Filme!", um eine umfassende Zwangslizenzierung für Filme im Internet anzustoßen. Mittlerweile hat Bundesjustizminister Heiko Maas einen Gesetzesentwurf zur Reform des Urheberrechts vorgelegt. Was halten Sie davon?

Breinersdorfer: Endlich passiert mal etwas. Alle Beteiligten sind sich klar darüber, dass das aktuelle System der Honorierung und Vertragsbedingungen von uns Autoren "Unwuchten" hat, wie es eine der leitenden Personen der ARD formulierte. Das bisherige Urhebervertragsrecht hat nicht funktioniert. Der Maas-Entwurf eröffnet mit verbesserten Randbedingungen die Chancen für Verhandlung und Abschluss von gemeinsamen Vergütungsregelungen. Dieses System ist klug, weil es den Handlungsdruck zur Lösung der in der digitalen Welt ständig neu aufkommenden technischen und juristischen Fragen vom Gesetzgeber auf die Player in diesem Geschäftsfeld verlegt.

Flankiert von der Verbandsklage, mit der im Verbraucherbereich seit Jahrzehnten gute Erfahrungen gemacht wurden, legt Maas ein Konzept vor, das praxisorientiert ist. Über den umstrittenen Umfang des Auskunftsanspruchs kann übrigens auch im Rahmen von Vergütungsvereinbarungen entschieden werden, genau wie über andere Streitpunkte auch. Der Ball läge nach der Verkündung des Gesetzes bei den Playern, genau da wo er auch hingehört.

LTO: Wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen Ihrem neuen Film ganz viel Erfolg!

Die Fragen stellte Constantin Körner.

Zitiervorschlag

Constantin Körner, Jura-Professor schreibt Drehbuch für "Das Tagebuch der Anne Frank": "Mein Vater gehörte zur Elite des NS-Staates" . In: Legal Tribune Online, 02.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18562/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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