Historische Entwicklung: Die Staat­s­an­ge­hö­rig­keit als Unterta­nen­status

von Martin Rath

21.08.2016

Darüber, wen man an der nationalen Gemeinschaft teilhaben lassen und einbürgern möchte, denken Staaten schon immer nach. Früher sah man das Ganze aber ein wenig enger. Martin Rath mit einem spannenden Blick in die Rechtsgeschichte.

Stellen wir uns einmal vor, einige eben erst aus dem Dienst geschiedene Bundeswehrsoldaten reisten ins Ausland, um dort einen Aufstand gegen die böse Fremdherrschaft anzuzetteln, die dort schon viel zu lange besteht. Obwohl sie kampferfahren sind – gut, an dem Punkt müssen wir unsere Vorstellungskraft etwas anstrengen –, geraten sie bald in Gefangenschaft.

Von der Justiz des fremden Staats werden sie nicht etwa allerlei Petitessen wie Totschlag oder Sachbeschädigung angeklagt, sondern wegen des Hochverrats gegen den Fremdherrscher. Denn der mag nicht anerkennen, dass unsere tapferen Ex-Bundeswehrsoldaten die Staatsangehörigkeit seines Tyrannenstaats längst aufgegeben hatten.

Das deutsche Volk schäumt nun vor Aufregung über die Niedertracht des Tyrannen. Der Generalsekretär der CSU tönt, dass der Anspruch, die fremdländische Staatsangehörigkeit loszuwerden, ein Freiheitsrecht sei, wie das der freien Rede, er sogar dem Recht gleiche, zu atmen und zu denken.

Und der Bundestag beschließt kaum ein Jahr später ein Gesetz, das die Bundesregierung dazu aufruft, sich für die Rechte aller Bürger im Ausland einzusetzen, seien sie von Geburt oder durch Einbürgerung an die deutsche Staatsangehörigkeit gelangt.

Irische Aufstandsposse gegen Queen Victoria

Wem dies zu abstrakt war, stelle sich deutsche Staatsangehörige tibetischer Abstammung vor, die auf dem Gebiet der Volksrepublik China einen Aufstand gegen die ortsansässige Tyrannei anzetteln. Alternativ lassen sich auch Menschen kurdischer, syrischer, tamilischer, kongolesischer und diverser anderer Volkszugehörigkeit in die kleine Fabel einsetzen. An undeutschen Tyranneien ist der Planet ja nicht arm.

Unwahrscheinlich, dass Politik und Gesetzgeber in dieser Form reagierten?
Im März 1867 stand in Dublin ein gewisser John Warren vor Gericht, ein im US-amerikanischen Bürgerkrieg verdienter Offizier – beschuldigt des Verrats dergestalt, dass er sich führend am Versuch beteiligt haben soll, Königin Victoria ihrer rechtmäßigen Herrschaft über das Königreich Irland zu berauben.

Gebürtig aus Irland, spielte für Warren das Moment des Verrats nicht erst auf der materiell-rechtlichen Ebene eine Rolle, sondern schon prozessual: Weil er am 1. Oktober 1866 die Staatsangehörigkeit der USA erhalten hatte, verlangte die Verteidigung eine gemischte Jury von Geschworenen. Für Angeklagte ausländischer Staatsangehörigkeit sah das Common Law seinerzeit vor, dass die Jury zur Hälfte aus britischen, zur Hälfte aus ausländischen Untertanen ("de medietate linguae") bestehen solle. Relevant war dies freilich sonst eher für zivile Streitigkeiten unter Kaufleuten.

Abscheu vor der Aufgabe des Untertanenstatus

In seinem Buch "At Home in Two Countries. The Past and Future of Dual Citizenship" erzählt der US-amerikanische Juraprofessor Peter J. Spiro (geb. 1961), dass der Richter dieses Ansinnen Warrens nachgerade mit Abscheu abwies.

Jeder Mann, der unter der britischen Krone geboren sei, schulde ihr fortdauernden Respekt, und es stehe ihm nicht zu, sich eine fremde Staatsangehörigkeit anzumaßen oder auch nur die eigene aus eigener Initiative loswerden zu wollen. Diese Rechtsvorstellung von der Bindung des Untertanen an seinen Souverän sei derart anerkannt, dass es schon überflüssige Pedanterie sei, sie mit Zitaten zu belegen.

Warren kam als britischer Untertan vor eine rein britische Jury. Das Urteil lautete auf 15 Jahre schweren Zuchthauses, was in dieser Milde sicher auch dem Umstand geschuldet war, dass sein von nur rund 40 Möchtegern-Rebellen getragener Aufstandsversuch vom militärischen Standpunkt betrachtet eine romantische Farce blieb.

Zuwanderer, sie gehören zu uns!

Rund ein Jahr später kam Warren allerdings auch wieder frei. Denn die "Ferrian Rebellion", die von irischen Nationalisten im Vereinigten Königreich sowie in Kanada angezettelten Unruhen, und vielmehr noch ihre juristische Aufbereitung setzten die seit der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten fortwährende Auseinandersetzung um die Staatsangehörigkeitsrechte ins Zentrum der öffentlichen Debatte in den USA.

Sogar noch das Parlament im US-Staats Wisconsin, das man sich ähnlich provinziell vorstellen darf wie das Berliner Abgeordnetenhaus unserer Tage, beklagte den britischen Hochmut. Auch fand sich ein Kongressabgeordneter in Washington, der die eingangs paraphrasierte Rhetorik bediente, von alter Staatsangehörigkeit frei zu werden, entspreche dem Menschenrecht, frei zu sprechen, zu atmen und zu denken.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Historische Entwicklung: Die Staatsangerigkeit als Untertanenstatus . In: Legal Tribune Online, 21.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20343/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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