Jahrhundert-Rückblick: Juris­ti­scher Zeit­geist, ein­ge­fangen

von Martin Rath

01.01.2017

1927 – Aufmerksamkeit im Automobilverkehr wird erfunden

Autofahrer müssen auf ihre Mitmenschen Rücksicht nehmen und "unter Umständen auch mit einem unverständigen Benehmen anderer Personen auf der Straße" rechnen. "An dieser Auffassung muß festgehalten werden. Das ergibt sich schon daraus, daß der Kraftwagen als ein wuchtiger Körper und bei seiner gegenüber dem sonstigen Straßenverkehr hohen Geschwindigkeit notwendig eine Unsicherheit für den Verkehr in sich birgt, dann aber auch daraus, daß der Straßenverkehr jedem, auch dem geistig wenig Regsamen, dem Kinde wie gebrechlichen Personen, offen ist, so daß der Kraftfahrer, namentlich wenn er die ihm begegnenden oder von ihm zu überholenden Personen nicht kennt, immer damit rechnen muß, daß diese aus einer ihnen eigenen geistigen Schwerfälligkeit zu langsam die gegebenen Warnungszeichen aufnehmen und darauf ihren Entschluß fassen, oder daß sie in plötzlichem Erschrecken verkehrt handeln"

Im Urteil vom 4. Januar 1927 (Az. I 809/26) rasselte das Reichsgericht ordentlich mit den Kettensätzen, um zu begründen, warum auch strafrechtlich zu gelten habe, was die Zivilsenate schon oft entschieden hätten: Zu hupen und darauf zu hoffen, dass der gewarnte Fußgänger dem Fahrzeug korrekt ausweicht, genüge nicht unbedingt, um dem Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung zu entrinnen.

Sehr hübsch: In der Revisionsschrift scheint der Strafverteidiger das Urteil des Landgerichts Koblenz dahingehend zugespitzt zu haben, dass es angenommen hätte, "ein Fußgänger dürfe auf ein ertönendes Hupenzeichen 'beliebig auf der Straße herumspringen'".  Darauf reagierte man in Leipzig natürlich kollegial gereizt.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Jahrhundert-Rückblick: Juristischer Zeitgeist, eingefangen . In: Legal Tribune Online, 01.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21627/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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