Jahrhundert-Rückblick: Juris­ti­scher Zeit­geist, ein­ge­fangen

von Martin Rath

01.01.2017

1947 – Aufräumarbeiten an NS-Hinterlassenschaften

"N. ist nach meinen Feststellungen im Juli 1942 wegen Umganges mit Juden festgenommen und einem Konzentrationslager zugeführt worden. Durch dieses artfremde Verhalten hat er bewiesen, daß er nicht restlos gewillt ist, sich restlos den nationalsozialistischen Grundsätzen unterzuordnen, deshalb ihm in politischer und weltanschaulicher Beziehung die Zuverlässigkeit nicht zuerkannt werden kann. Der Genehmigung des Kaufvertrages steht somit ein öffentliches Interesse entgegen, das hier im gesunden Volksempfinden begründet liegt. Diese Entscheidung ist endgültig."

Mit dieser Begründung hatte ein Landrat 1942 die – gesetzlich vorgesehene – Genehmigung zur Übereignung eines Grundstücks verweigert. Zwar erklärten Landratsamt und Regierungspräsident 1946, dass die Entscheidung von 1942 "nach heutiger Rechtsauffassung als gegen die guten Sitten verstoßend" zu betrachten sei, doch weder das 1946 angerufene Landgericht noch das Oberlandesgericht Zweibrücken (Urt. v. 21.05.1947) waren bereit, die gescheiterten Käufer des Jahres 1942 in ihr damaliges Recht zu versetzen, also den Eigentümerwechsel am Grundstück zu befehlen – mit der Begründung, anderenfalls bräche allgemeine Rechtsunsicherheit aus.

Der Frankfurter Rechtsgelehrte Helmut Coing (1912–2000) kritisierte: Im Ergebnis sei das Urteil zwar richtig, korrekter wäre es aber, den Käufern nach den Grundsätzen von Treu und Glauben die Befriedigung ihres politisch verdorbenen Rechtsanspruchs zu verweigern. Nur mit der Rechtssicherheit zu argumentieren, hieße, auch Widerstandsakte gegen tyrannische Herrschaft "mit dem Makel der Rechtswidrigkeit" zu belegen.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Jahrhundert-Rückblick: Juristischer Zeitgeist, eingefangen . In: Legal Tribune Online, 01.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21627/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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