In der vergangenen Woche startete eine neue Rechtsmediziner-Sendung im Boulevard-Fernsehen. Sie ist ein zweifelhaftes Unterfangen für Freunde der gepflegten Information wie der ungepflegten Unterhaltung, findet Martin Rath.
Das Schlimmste, was man einer populärwissenschaftlichen Sendung antun kann, haben die Sender-Verantwortlichen zwar unterlassen, formal und inhaltlich erfreulich ist das neue Format "Dem Tod auf der Spur – Die Fälle des Prof. Tsokos" aber gleichwohl eher nicht.
Auf das denkbar Schlimmste kommen wir zum Schluss, beginnen wir also sachlich.
Der in Berlin tätige Rechtsmediziner Michael Tsokos (1967–) präsentiert seit dem 7. Juni 2017 in einem auf seine Person zugeschnittenen Format Fälle aus seiner Praxis. Den Anfang machte in der ersten Folge ein Leichenfund, bei dem zunächst nur der Leibesrumpf vorlag – der Kopf und weitere Körperteile konnten erst später zusammengetragen werden.
Formal ist das ziemlich furchtbar
Wesentliche Untersuchungs- und Ermittlungsschritte wurden zu diesem ersten Fall von Tsokos sowie vom Berliner Polizeihauptkommissar Volker Hertzberg erklärt. Im Fall der ihrer Extremitäten beraubten Leiche galt die Aufmerksamkeit der Ermittler einigen Tätowierungen, anhand derer in den Berliner Nadelstecher-Kreisen erfolgreich die Identität des Getöteten festgestellt werden konnte.
Vorgetragen wird dies von Tsokos und Hertzberg in einer eigentümlichen Mischung rhetorischer und sprachpragmatischer Mittel: Tsokos wechselt vom rechtsmedizinischen Fachvokabular in eine etwas verkrampft wirkende Dramatisierung der Vorgänge, Kommissar Hertzberg vom polizeilich-bürokratischen Jargon in ein bemühtes Alltagsdeutsch, insbesondere wenn er etwa die emotionalen Einlassungen von Zeugen wiederzugeben versucht.
Zwar könnten diese Brüche, die sich aus dem augen- und ohrenscheinlich begrenzten erzählerischen Vermögen der Kamera-Neulinge ergeben, wohl durchaus den Reiz der Authentizität erzeugen, doch wird dies von Bemühungen Tsokos' wie des verantwortlichen TV-Senders konterkariert, Spannung zu behaupten statt sie durch den Gegenstand entstehen zu lassen.
Im Fall der kopflosen Leiche soll etwa wieder einmal "ganz Berlin" vor Spannung den Atem angehalten haben. Übertreibungen dieser Art müssten inzwischen noch vom dümmsten Boulevard-Journalisten vermieden werden – als ob die Kanzlerin beim Regieren stockte oder die Salatmamsell in der Bundestagskantine über toten den Kopflosen in Rage geriete, nur weil sich ein Professor Tsokos an einer entsprechenden Leiche zu schaffen macht.
Schon formal ist das so furchtbar, dass man – jenseits aller anderen moralischen Erwägungen – in Berlin lieber nicht Täter oder Leiche werden möchte: So wie darüber erzählt wird, käme man aus dem Aufstöhnen gar nicht mehr heraus.
Die Kunst, dem Zuschauer etwas nahe zu bringen
Die Wissenschaften in ihrer ganzen Majestät so populär zu präsentieren, dass sie vielleicht nicht dem allerbeschränktesten, aber doch dem beschränkten Untertanenverstand zugänglich werden, ist eine anstrengende Übung, bei der Feinheiten zu beachten sind.
Für die Rechtswissenschaft hat beispielsweise Thomas Fischer, Bundesrichter a.D., einmal im Rundfunk angemerkt, dass bereits ein feiner Unterschied zu machen sei, zwischen einer schulischen Rechtskunde und echtem Unterricht vom Recht – vermutlich zu ziehen zwischen einer gefühligen Lehre für künftige Endverbraucher und einer um Abstraktion, Witz und Argumentation bemühten Herangehensweise.
Mit kluger Abstraktion von der Gefühligkeit ist im hier referierten TV-Format natürlich nicht zu rechnen. Die ProSiebenSat.1 Media SE ist nicht die BBC, für den Witz der manchmal genialen Moderatoren im britischen Staatsfernsehen fehlt Tsokos sichtlich die Übung. Ein Blick in die rechtswissenschaftliche Literatur zeigt immerhin, dass Michael Tsokos durchaus etwas zu erzählen hat.
2/2: Tsokos kann es doch besser
Enttäuscht über die TV-Performanz schlagen wir die Zeitschrift "Rechtsmedizin" (im Weiteren mit Jahr und Seite) auf. Aus dem Aufsatz "Tödliche Kohlenmonoxidintoxination bei einem Schwarzafrikaner" (2007, 315–317) ist beispielsweise von den Schwierigkeiten zu erfahren, die sich infolge der dunklen Hautfarbe einstellen, für diesen nicht ganz seltenen Vergiftungsfall typische Verfärbungen zu erkennen.
Bilder eines mit lilafarbenem Filzstift beschriebenen nackten Leichnams – Textbeispiel: "Ich kann zu meinen Gefühlen nicht stehen ich möchte nieWieder leben [sic!]" – dokumentiert der Artikel "Abschiedsbrief auf dem Körper nach genitaler Selbstbeschädigung" (2010, 419–422) zum Fall eines psychisch kranken Suizidenten, den Tsokos ebenfalls mituntersuchte.
Wenn schon das natürlich in erster Linie geleistete Zahlenreferat samt medizinischer Kasuistik nicht ausreichen sollte, urbanen Raubtierhaltern die abartige Liebe zum Hund auszutreiben, ein Bild von Haaren und Ohren könnte dies leisten: mit der Unterschrift "Kopfweichteile aus dem Magen eines der obduzierten Hunde" zu finden im Artikel "Tödliche Attacken von Hunden auf Kinder" (2014, 37-31).
Und wenn sich – wie etwa eine Kollegin in der FAZ zur neuen Tsokos-Fernsehreihe erklärte – der Berliner Rechtsmediziner mit Angriffen auf die deutsche Kinderärzteschaft unbeliebt gemacht habe, der er undifferenziert Aufmerksamkeitsmängel bei Gewalt gegen Kindern attestierte, finden sich im Werk von Michael Tsokos auch ganz klare sozialmedizinische Miniaturen wie jene zum meist alkohol- und immer einsamkeitsbedingten Vorgang: "Natürliche Mumifikation im häuslichen Milieu" (1999, 32-38).
Moral rechtsmedizinisch nüchtern
In Tsokos' Oeuvre entdecken wir (2001, S. 96–100) insbesondere folgenden Todesfall, den man sich nicht im ProSiebenSat.1-Format ausmalen möchte:
"Ein 57 Jahre alt gewordener Gynäkologe wurde von seiner Ehefrau im Stallgebäude seines Hofgrundstücks aufgefunden. Der Leichnam lag mit entblößtem Unterleib neben zwei hochdruckgepressten Strohballen, welche sich am Ende einer der Pferdeboxen befanden. An den Genitalien fanden sich Schmutzantragungen sowie spermaverdächtige Anhaftungen. In dem Stall befand sich des Weiteren das einjährige Stutenfohlen des Verstorbenen."
Mit der Kraft der Nüchternheit, die vom rechtswissenschaftlichen aufs rechtsmedizinische Schrifttum ausstrahlt, folgt darauf eine Analyse wie die folgende:
"Die Häufigkeit des plötzlichen Tods beim Geschlechtsverkehr wird im rechtsmedizinischen Untersuchungsgut mit 0,08–0,6 % angegeben. In allen Studien lag dabei im überwiegenden Anteil der Fälle ein außerehelicher Geschlechtsverkehr, nicht selten in Motels oder Bordellen, zumeist mit Prostituierten vor."
Und derlei endet mit der beruhigenden Moral:
"Bei der Beurteilung von Sexualitäts-assoziierten Todesfällen aus natürlicher Ursache sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass ein hoher Grad sexueller Aktivität sowie eine damit assoziierte Befriedigung auch im höheren Lebensalter durchaus gesundheitsfördernde und zur Langlebigkeit beitragende Wirkung hat."
Als geschriebenes Wort ist diese Mediziner-Moral nur unfreiwillig, vielleicht sogar freiwillig komisch. Stellen wir es uns im Fernsehen vor – "Dem Tod auf der Spur – Die Fälle des Prof. Tsokos" ist ja ein noch junges TV-Format, man darf also hoffen und fürchten –, lässt schon der Gedanke daran schmerzhafte Fremdscham keimen.
Immerhin: Nicht das Allerschlimmste
Bei allem, was hier an des Professors Tsokos' Fernseh-Format moniert wurde, ist doch seine Niedlichkeit zu rühmen. Statt Fleisch und Blut werden überwiegend computeranimierte Bilder gezeigt. Im Vergleich zur Zeitschrift "Rechtsmedizin" ist Sat.1 optisch harmlos.
Den etwas merkwürdigen Wechsel von medizinischer und polizeibürokratischer Fachsprache haben wir schon eingangs erwähnt.
Richtig schlimm sind dokumentationsartige TV-Filme ja immer erst, wenn Christian Schult ins Spiel kommt, der als Synchronstimme von Robert Redford ganz großartig , aber als Sprecher für Beiträge aus dem justiz- und sicherheitsbürokratischen Segment nur schwer erträglich ist: Wenigstens kommt also "Dem Tod auf der Spur – Die Fälle des Prof. Tsokos" stimmlich nicht so daher wie dieser Beitrag im Gedenken an 188 Jahre der Hamburger Polizei.
Jedenfalls das macht die Sendung fast schon wieder gut.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Rechtsmedizin: Die Fälle des Professor Tsokos . In: Legal Tribune Online, 15.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23188/ (abgerufen am: 18.04.2024 )
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