Rechtsgeschichten 1913: Kreise im afrikanischen Sand & ein halbes Staatsdienervorbild

von Martin Rath

13.01.2013

Für das Jahr 1913 hat der Kunsthistoriker und Journalist Florian Illies eine kleine Geschichte der gleichzeitigen Ereignisse geschrieben: "1913. Der Sommer des Jahrhunderts". Kunst und Kultur sind in der Chronik gut vertreten. Rechtsgeschichte kommt dagegen – jedenfalls im Monat Januar 1913 – ein wenig kurz. Zwei Ergänzungen von Martin Rath.

Auf einem zugefrorenen See soll der Österreicher Alois Lutz im Januar 1913 so geschickt in die Luft gesprungen sein, dass die Figur im Eiskunstlauf seither als doppelter oder dreifacher "Lutz" bekannt ist. Aus Krakau reiste im selben Monat einer der furchterregendsten Männer des 20. Jahrhunderts mit gefälschtem Pass nach Wien, ein georgischer Bankräuber, der 20 Jahre später blutig-perverse Justizparodien inszenieren ließ.

Von einem Patentantrag für die im Jahr zuvor in Darmstadt erstmals synthetisierte Substanz 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin, heute unter der nicht geschützten Markenbezeichnung "Ecstasy" illegaler Handels- und gelegentlicher Justizgegenstand, weiß Florian Illies auch zu berichten. Ebenso über den Direktor der Altertumsverwaltung im britisch-osmanisch regierten Ägypten, der die Ausfuhr einer Gipsfigur genehmigte. Er war dabei ahnungslos, wenn nicht vorsätzlich getäuscht, so dass der Verbleib der "Nofretete" in Berlin bis heute wenn nicht Rechts-, so doch mindestens Moralfragen aufwirft. Illies datiert diesen Vorgang auf den 20. Januar 1913. Das war ein Montag.

Kreise im afrikanischen Boden – Klunker vor Gericht

Für den darauf folgenden Mittwoch dokumentiert die Entscheidungssammlung "Reichsgericht in Zivilsachen" das Urteil in einem exotischen Rechtsstreit um Diamanten im Wert von vielleicht 300.000 Mark – wofür damals 300 qualifizierte Industriearbeiter rund ein Jahr hätten arbeiten müssen.

Der 5. Zivilsenat des Reichsgerichts in Leipzig hatte die Frage zu beantworten, ob der "Landesfiskus von Deutsch-Südwestafrika" einen Wertersatzanspruch gegen die Witwe eines Forschungsteilnehmers im heutigen Namibia geltend machen konnte, weil dieser sich "von den Schürffeldern dieses Gebiets [des Diamantsperrgebiets] Diamanten in großer Menge angeeignet und unter Umgehung der Diamantregie und Hinterziehung des Zolles nach Deutschland ausgeführt haben" soll (Urt. V. 22.1.1913, Az. V 356/12).

Dass sich der zwischenzeitlich verstorbene Mann in der Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ als fleißiger Diamantsammler betätigt hatte, war offenbar unstrittig. Seiner Witwe kam jedoch erst in Leipzig die undurchdachte Rechtslage zugute.

Seit 1883 war die Region im südlichen Afrika unter deutsche Herrschaft gekommen. Waren die ersten Kolonialabenteurer noch hanseatische Kaufleute, die Verträge mit einheimischen Häuptlingen über zumeist kaum definierte Land- oder Nutzungsrechte schlossen, folgte der Gesetzgeber bald dem gemeindeutschen Regulierungsdrang: Am 17. April 1886 wurde das "Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete" erlassen (RGBl. S. 75-76), dessen § 1 bestimmte: "Die Schutzgewalt in den deutschen Schutzgebieten übt der Kaiser im Namen des Reichs aus." Die Anwendung deutschen Rechts in den Kolonien folgte grundsätzlich der Konsulargerichtsbarkeit, mit der deutsche Staatsangehörige auch auf ausländischem Boden deutscher Gerichtsbarkeit unterworfen blieben. Eine Konstruktion, die vor allem gegenüber schwachen Staaten wie dem Osmanischen Reich oder China zum Tragen kam.

Schatzsuche nach Maßgabe des Kaiserlichen Kommissars

Für das "Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika" hatte dieses Konstruktionsprinzip des Kolonialverfassungsrechts eine wahre Kaskade von Verordnungen etwa zum Bergrecht zur Folge, das sich zwar am Modell des preußisch-deutschen Rechts der Bodenschätze orientierte, fern der Heimat aber der ausbrechenden Goldgräberstimmung in der überraschend rohstoffreichen Kolonie angepasst werden musste.

Zu den Gesetzen und Verordnungen die "Wir Friedrich, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc." erließ (der Mann war nur für 99 Tage im Amt), zählte eine "Verordnung, betreffend das Bergwesen und die Gewinnung von Gold und Edelsteinen im südwestafrikanischen Schutzgebiet" vom 25. März 1888 (RGBl.  S. 115-124).

Mit der Verordnung schrieb sich das Reich das Bergregal für Südwestafrika zu, bezogen auf Erze und Edelsteine sowie auf strategische Rohstoffe wie Schwefel oder Salpeter. Die 55 Paragraphen umfassende Verordnung beschreibt sehr anschaulich, wie die Exploration ("Aufsuchung") von Gold, Golderzen und Edelsteinen zu geschehen habe: Der Kaiserliche Kommissar eröffnet ein Explorationsgebiet, Interessenten mit einer ins Schürfregister einzutragenden Schürferlaubnis machen sich auf den Weg zur Schatzsuche: "Vor Beginn der Schürfarbeiten hat der Schürfer die von ihm gewählte Bodenfläche durch ein im Mittelpunkt derselben aufgestelltes Merkmal zu bezeichnen, auf welchem sein Name und die Registriernummer seiner Schürferlaubnis anzugeben sind. Das Merkmal muß mindestens ein Kilometer von dem Merkmal des nächsten Schürfgebiets entfernt sein, sofern die Bergbehörde nicht eine geringere Entfernung gestattet" (§ 11 der Verordnung).

Wurde ein Schürfer in seinem kreisförmigen Gebiet fündig, hatte er den Gold- oder Edelsteinfund der kolonialen Bergbehörde anzuzeigen, die daraufhin rechteckige "Felder" für die eigentliche Ausbeutung der Bodenschätze vergab.

Dumm lief es für den "Landesfiskus für das Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika" vor dem Reichsgericht deshalb, weil sich der Edelsteinsammler am Diamantreichtum der Region bedient hatte, bevor die koloniale Bürokratie die Claims abstecken konnte. Wertersatzansprüche für unrechtmäßig entnommene Bodenschätze sah die nun einschlägige "Kaiserliche Bergverordnung für Deutsch-Südwestafrika" vom 8. August 1905 (RGBl. 727-750) trotz ihres auf 99 Paragraphen gewachsenen Umfangs für die Explorationsphase gerade nicht vor. Dieses normative Detail hatte der Gesetzgeber schlicht vergessen.

Afrikanische Skelette am Fiskus vorbei

Die Reichsgerichtsräte führten die Verwaltungsjuristen auch bei der Frage vor, ob der Landesfiskus  aus dem strafrechtlichen Verbot, "unbefugt in einem fremden Schürf- oder Bergbaufeld oder im Bergfreien anstehende Mineralien" in Zueignungsabsicht wegzunehmen, einen Schutzgesetzverstoß nach § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch konstruieren könne: Das möge man so sehen, einen Wertersatzanspruch könne man auf § 823 Abs.2 aber keinesfalls aufbauen.

Was die Witwe aber schließlich von "ihren" Diamanten hatte, blieb offen. Eine Zollforderung des Fiskus über 100.000 Mark blieb in einem Parallelverfahren anhängig. In der Zwischenzeit importierten deutsche Wissenschaftler die Skelette toter Afrikaner, eine Horrorgeschichte, vermutlich unbehelligt von Zoll und Fiskus.

Aber nicht nur Glücksritter und Diamantensucher verschlug es in die Kolonien. Der erste Kaiserliche Kommissar von "Deutsch-Südwest", Dr. iur. Ernst Heinrich Göring (1838-1913) hatte während seiner dienstbedingten Auslandsaufenthalte seinen zweitgeborenen Sohn in Militärinternaten untergebracht. Bilder zeigen einen mageren 14-Jährigen in Uniform. Fast möchte man küchenpsychologisch den späteren Gierschlund und gerichtsnotorischen Politkriminellen mit Erzählungen vom üppigen Reichtum exotischer Länder in Verbindung setzen, Hermann Göring (1893-1946).

Zitiervorschlag

Martin Rath, Rechtsgeschichten 1913: Kreise im afrikanischen Sand & ein halbes Staatsdienervorbild . In: Legal Tribune Online, 13.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7950/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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