Mythen der Rechtspolitik: Die Trümmerfrau war ein Mann

von Martin Rath

12.10.2014

2/2: Trümmerfrau, Parteigängerin oder Prostituierte

Für die Zeit unmittelbar nach Ende der Kampfhandlungen belegt Leonie Treber für Duisburg eigentümliche Akte der Amtsanmaßung. Vielleicht sollte man sich in der Berliner und Hamburger Justiz daran erinnern, wenn zum "revolutionären 1. Mai" wieder ganze Straßenzüge in Schutt gelegt werden: 1945 druckten antifaschistische Komitees falsche Behördenaushänge, in denen NSDAP-Mitgliedern in Duisburg 'amtlich' befohlen wurde, sich der Trümmerbeseitigung zu widmen. Die Besatzungsmächte forderten da und dort auch gern aus eigener Initiative politisch vorbelastete Personen auf, Trümmer zu räumen.

Das Amtsgericht im rheinländischen Provinzstädtchen Jülich (600.000 Kubikmeter Trümmer insgesamt in Folge 98-prozentiger Zerstörung) verurteilte am 1. August 1947 einen jungen Mann zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten. Sie  wurde zur Bewährung ausgesetzt, allerdings unter der Auflage, dass er vier Wochen "Entschuttungsarbeiten" leiste, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des Urteils.

Explizit zu Zwecken der Strafrechtspflege wurden 1946 in Dresden rund 400 Frauen und 25 Männer durch das Gesundheitsamt erfasst, von denen 78 zum Arbeitseinsatz verpflichtet wurden – sie standen, vornehmlich wohl wegen "hwG" (häufig wechselnder Geschlechtspartner) unter Polizeiaufsicht. Auch in Essen wurden Frauen – der Verdacht der Armutsprostitution mit Besatzungssoldaten war damals ubiquitär – über die rechtlichen Handhaben der Polizeiaufsicht sowie der jugend-/sozialhilferechtlichen Fürsorgeaufsicht in entsprechende Arbeitseinsätze geschickt.

Inflation der virtuellen Trümmerfrau (w)

Trotz der mehrheitlich von Männern, bald auch mit speziellem Maschinenpark beseitigten Trümmermassen herrscht heute das Bild der Trümmerfrau vor.  Neben den Foto-Journalisten der Nachkriegszeit, die sich mit verständlichem Interesse auf den Ausnahme- und nicht auf den Regelfall stürzten, hat die erdrückende Präsenz der Trümmerfrau auch in der rechtspolitischen Diskussion der 1980er-Jahre ihre Wurzeln. Das "Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz" (HEZG) von 1986 sah für Frauen ab dem Geburtsjahrgang 1921 eine Anrechnung von Kindererziehungszeiten im höchst verschachtelten Rentenversicherungsrecht vor, war dabei aber nicht fair:

"Als problematisch sollte es sich erweisen, dass diese an sich insgesamt positiven Neuregelungen des HEZG nur für Versicherte ab Geburtsjahrgang 1921 galten. Ein Aufschrei der Empörung ging durch die westdeutsche Medienwelt", kommentiert Christian Lindner diese Vorgänge, "dass bis 1920 geborene Frauen, die von den Kriegsfolgen besonders betroffen waren und deren Arbeit insbesondere in den ersten Nachkriegsjahren, als viele Männer sich noch in Kriegsgefangenschaft befanden, für das Gelingen des Wiederaufbaus von größter Bedeutung war, für ihre Kindererziehung weiterhin leer ausgehen sollten. Der 'Trümmerfrauenskandal' war geboren." (Neue Zeitschrift für Sozialrecht 2014, S. 686 ff.).

Als Vertreterin einer geschundenen Generation begegnet uns die Trümmerfrau überall im juristischen Schrifttum. Eine ehemalige DDR-Richterin, angeklagt der Rechtsbeugung, erfährt beispielsweise ein mildes Urteil, auch, weil sie vor ihrer Schnellrichterausbildung als Straßenbahnfahrerin und Trümmerfrau gearbeitet hatte – an ihrer mangelhaften juristischen Bildung scheiterte denn auch der Rechtsbeugungsvorsatz.

Besonders unerfreulich ist die juristische Phantasie, wenn es darum geht, anonymen Urteilen einen Spitznamen zu verpassen: Obwohl das Bundesverfassungsgericht mit Entscheidung vom 7. Juli 1992 die fehlende Anerkennung von wirtschaftlicher Belastung durch Elternschaft im staatlichen Transfersystem insgesamt kritisch würdigt, ist die Entscheidung allein als "Trümmerfrauenurteil" bekannt geworden (Az. 1 BvR 873/90 u.a.).

Um der Geschlechtergerechtigkeit willen sollte die BVerfG-Entscheidung wenigstens unter billig und gerecht denkenden Juristinnen und Juristen nur noch "Trümmerfrauenurteil (m/w)" heißen. Denn man möchte doch wohl nicht durch einseitigen Sprachgebrauch die Lebensleistung einer halben Generation ausblenden?

Hinweis: "Mythos Trümmerfrau. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes" von Leonie Treber ist erschienen im Klartext-Verlag, Essen 2014, eBook 28,99 Euro - Buch 29,95 Euro.

Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Mythen der Rechtspolitik: Die Trümmerfrau war ein Mann . In: Legal Tribune Online, 12.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13457/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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