August und Peter Reichensperger: Das P-Pro­blem des OLG Köln

von Martin Rath

07.09.2014

Für die Bediensteten der bayerischen Justiz dürfte es aufgrund eines landestypischen Sprachproblems ziemlich normal sein, erklären zu müssen, ob ein Wort mit "b" oder "p" ausgesprochen wird. In Köln stellt sich das Problem bei der Adresse des Oberlandesgerichts auch: "Reichensperger Platz? – Wo liegt denn der Reichensberg?" Eine gar nicht lokalpatriotische Geschichte von Martin Rath.

Erstaunlich viel von der monumentalen Bausubstanz, die sich preußische oder bayerische Monarchen vor über 100 Jahren in die Großstädte haben setzen lassen, hat den Zweiten Weltkrieg überstanden oder ist später wieder aufgebaut worden: Vermutlich sitzen in den Tunneln des „Kriminalgerichts“ Moabit noch heute Angeklagte von damals und warten darauf, dass Staatsanwälte ihrer "Gürteltiere" Herr werden. Allein die Baugeschichte und Architektur der oft pompösen Klötze, mit denen insbesondere die Oberlandesgerichte die jeweiligen Justizuntertanen von der Herrlichkeit des blaublütigen Landesherrn überzeugen sollten, würde viele Worte kosten – so demokratisch wie in Hessen wird selten gerichtet, das OLG Frankfurt ist z.B. bei "Hertie" einquartiert.

Doch daraus folgen oft grässlich lokalpatriotische Geschichten, deren Sinn sich für Außenstehende meist nicht erschließt. Für Köln lässt sich indes feststellen, dass bereits die Postanschrift des ortsansässigen Oberlandesgerichts eine interessante Geschichte erzählen lässt – und das behaupten wir nicht allein deshalb, weil mangelnder Lokalpatriotismus in der "Domstadt" mit Schunkeln nicht unter zehn Jahren (einer rhythmischen Bewegung unter Karnevalszombies) und einem Sprachkurs in "Kölsch" bestraft wird.

Es sind die Brüder August und Peter Reichensperger, nach ersterem ist der Platz vor dem Gerichtsgebäude benannt, die in eine durchaus nicht nur lokalpatriotische Epoche der deutschen Rechtsgeschichte entführen.

Entdecker des deutschen Justiz-Patriotismus

Die Brüder August und Peter Reichensperger (1808-1895 und 1810-1892), in preußischen Diensten ausgebildete Juristen, die aus einer schon älteren Juristen- und Beamtenfamilie stammten, zählten zu den Gründern der einst vor allem von der katholischen Bevölkerung gewählten Zentrumspartei, einer Vorläuferin der CDU, die nach Gründung des Kaiserreichs 1871 im Wesentlichen in der Opposition agierte und während der kurzen Jahre der Weimarer Demokratie gemeinsam mit Liberalen und Sozialdemokraten zu den erst tragenden, dann tragischen Parteien Preußens und der ganzen Republik gehörte. Als Vertreter von "papsthörigen", an einem Deutschland unter Einschluss Österreichs und überhaupt "reaktionären" Positionen scheint von den Reichenspergers zunächst nicht viel für die Gegenwart zu gewinnen zu sein.

Zu manchen Fragen von Recht und Politik finden sich bei August und Peter Reichensperger aber Gedanken, die immer noch bedenkenswert sind. Beispielsweise zu der merkwürdigen Liebe, die heute das Bundesverfassungsgericht genießt, obwohl dieses Gefühl vielen Juristen bei näherer Betrachtung Karlsruher Entscheidungen vergeht: Keine Institution des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation habe sich "einer größeren Volksthümlichkeit zu erfreuen gehabt", schreiben die Brüder in ihrem 1860 publizierten Werk "Deutschlands nächste Aufgaben", "als das Reichskammergericht, wie viele Mängel und Übelstände seine Wirksamkeit auch gehemmt haben mögen." Es wäre also zu prüfen, ob man hierzulande nicht überhaupt schon immer mehr von Richtern als von sonstigen Zentralgewalten hielt.

Entdecker eines juristischen Form-Patriotismus

Als die Brüder Reichensperger dies schreiben, fehlte dem Deutschen Bund, diesem völkerrechtlichen Verein deutscher Staaten, noch die bereits in seiner Verfassung – der Bundesakte von 1815 – angekündigte dritte, bundesweite Gerichtsinstanz. Für ein Gericht, das jenseits der üblichen diplomatischen bzw. militärischen Konfliktregelung – namentlich zwischen Preußen und Österreich – öffentlich-rechtliche Streitigkeiten der Staaten und der zahllosen politischen Körperschaften und Anstalten zwischen "Maas und Memel, Etsch und Belt" hätte richten und auch privatrechtlichen Streitigkeiten eine bundesweite letzte Instanz hätte bieten sollen, setzen sich die beiden Juristen parlamentarisch und publizistisch ein.

Das bleibt bemerkenswert, weil die Lobeshymne der Reichenspergers aufs alte Reichskammergericht nicht ins bis heute gepflegte kleindeutsch-preußische Lob der Zentralgerichte passt: 1866 verliert Österreich den Krieg gegen Bismarcks Preußen und hat mit einer liberalen Rechtseinheit bis zum EU-Beitritt nicht mehr viel zu schaffen. Erst 1869 wird mit dem Reichsoberhandelsgericht als direktem Vorgänger des Reichsgerichts die gewünschte Revisionsinstanz eingesetzt. Bevor Bismarck die 1815 gesetzte Verfassung des Deutschen Bundes mit militärischen Mitteln zerstört und die "kleindeutsche" Lösung alternativlos macht, formulieren die beiden katholischen Rheinländer eine Alternative: Innerhalb der verfassungsrechtlichen Form, die von der bedrückend obrigkeitsstaatlichen (und, als preußische Untertanen: bedrückend protestantischen) Staatenordnung des Deutschen Bunds vorgegeben ist, die keine Grund- und Menschenrechte, kein parlamentarisches Zentrum kennt, stellen sie sich eine Integration über die Formen des Rechts vor: organisches Wachstum durch Recht, statt militärischer Konsolidierung politischer Macht. Auf Hochdeutsch heißt das heutzutage wohl "rule of law".

Zitiervorschlag

Martin Rath, August und Peter Reichensperger: Das P-Problem des OLG Köln . In: Legal Tribune Online, 07.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13103/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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