Rechtsgeschichte: Hoch­verrat bei Zei­tungen

von Martin Rath

03.02.2019

Mit Beschluss vom 3. Februar 1959 lehnte das BVerfG die Verfassungsbeschwerde eines wegen Hochverrats verurteilten kommunistischen Redakteurs aus Köln ab. Sein Problem: Es gab kein Privileg für Presse auf Parteikommando.

Ein Fall von publizistischem Hochverrat, mit dem sich das Bundesverfassungsgericht (BverfG) im Jahr 1959 befassen musste, hatte eine spezifisch nordrhein-westfälische Vorgeschichte.

Im Frühjahr 1946 erhielt die in Köln gedruckte "Volksstimme" als eine der ersten Zeitungen im bald darauf gegründeten Bundesland von der britischen Militärregierung eine Lizenz samt Papierzuteilung. Von britischer Seite war dabei eine gewisse Parteinähe durchaus programmatisch gewünscht. In Dortmund kam beispielsweise die "Westfälische Rundschau" ausdrücklich als SPD-nahes, in Düsseldorf die "Rheinische Post" als christdemokratisches Lizenzblatt heraus – erst einmal vier Seiten, zwei Ausgaben wöchentlich.

Bei der "Volksstimme" handelte es sich um ein Organ der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Wie für diese stalinistische Partei durchaus zu erwarten, übte sich das Blatt, wie andere KPD-Zeitungen in den westlichen Besatzungszonen, von der sowjetischen gar nicht zu sprechen, in besonderer Linientreue – entsprechend dem marxistisch-leninistischen Prinzip des "demokratischen Zentralismus". Die Redakteure der "Neuen Volkszeitung", des Dortmunder KPD-Blatts, mussten sich beispielsweise öffentlich dafür rechtfertigen, als sie 1948 ein Glückwunschtelegramm zu Stalins 70. Geburtstag gekürzt hatten – ein Sakrileg in diesen Kreisen.

Der Prüffall "Volksstimme"

Angesichts rückläufiger Wahlergebnisse der KPD schon bei der Bundestagswahl 1953 und der notorischen Langeweile eines rigide parteiamtlichen Verkündigungsjournalismus litten die kommunistischen Blätter unter rückläufigen Leserzahlen, durften sich aber doch staatlicher Aufmerksamkeit gewiss sein.

Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ordnete beispielsweise im Februar 1952 eine Prüfung von vier kommunistischen Zeitungsverlagen an, die nach § 2 Absatz 2 Gesetz über die Berufsausübung von Verlegern, Verlagsleitern und Redakteuren (NRW) zur Offenlegung ihrer Eigentumsverhältnisse und ihrer Finanzierung verpflichtet waren. Darüber hinaus war die Landesregierung auch dazu berechtigt, "alle zweckdienlichen Auskünfte" zur Finanzierung von Zeitungsverlagen einzuholen. Unter anderem wegen verweigerter Auskunft konnte den Verlegern und Redakteuren sogar die Berufsausübung untersagt werden (§ 3 lit. g). Den Verdacht der NRW-Landesregierung, sie würden aus der sowjetischen Besatzungszone bezahlt, weckten die Blätter durch ihr fast völliges Fehlen von Anzeigen. Von einem Veröffentlichungsverbot war unter anderem die "Volksstimme" für drei Monate ab dem Juni 1951 betroffen.

Obwohl es § 4 des Gesetzes der Landesregierung erlaubte, "Verlegern, Verlagsleitern und verantwortlichen Redakteuren die Berufsausübung zu untersagen, wenn sie ihre berufliche Tätigkeit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, insbesondere zur Verbreitung nationalistischer, militaristischer, totalitärer, rassen- oder völkerverhetzender Gedanken mißbrauchen oder mißbraucht haben" – sich also eine "gute Policey" schon im Vorfeld mit milderen Mitteln um ihn hätte bemühen können –, wurde gegen den verantwortlichen Redakteur der "Volksstimme" im Jahr 1954 wegen Hochverrats nach §§ 81, 81 Strafgesetzbuch (StGB) verhandelt. Weil er für eine Reihe von Artikeln verantwortlich war, die das "Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands" propagierten, verurteilte ihn das Oberlandesgericht Köln am 22. Oktober 1954 nach § 81 Abs. 1 i.V.m. § 80 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu einem Jahr Gefängnis und 500 DM Geldstrafe.

BGH zur "seelischen Beeinflussung der Staatsbevölkerung"

Bei diesem KPD-Programm handelte es sich in seinem "analytischen" Teil um eine ausführliche Litanei gegen das "Adenauer-Regime" und die "drei kapitalistischen Staaten – USA, England und Frankreich –", die den Weltkrieg nicht zur Befreiung Deutschlands von der "Hitlerherrschaft" betrieben hätten, sondern um "Deutschland als Staat zu vernichten, Konkurrenten auszuschalten, seine Reichtümer an sich zu reißen und auszubeuten und unser Volk und Land für die Verbreitung eines neuen Krieges um die Weltherrschaft zu mißbrauchen". Programmatisch verlangt wurde eine beschleunigte Wiedervereinigung samt Neutralisierung Gesamtdeutschlands (es wird hier in apologetischer Form dokumentiert).

Nach Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 8. April 1952 (Az. StE 3/52) kam als "Mittel der Vorbereitung eines gewaltsam oder durch Drohung mit Gewalt auszuführenden hochverräterischen Unternehmens (§§ 80, 81 StGB) "auch die geistige oder seelische Beeinflussung der Bevölkerung des Staates" in Betracht, "gegen den das Unternehmen geplant ist".

Hierzu zählte insbesondere die Einfuhr entsprechender Schriften aus dem Osten. Der "Volksstimme"-Redakteur indes hatte sich nach Auffassung des Oberlandesgerichts Köln durch den Druck entsprechender nationalbolschewistischer Artikel gleich selbst wegen eines hochverräterischen Unternehmens strafbar gemacht.

Bundesverfassungsgericht prüft - und verwirft

Nach dem Verbot der KPD durch Urteil des BVerfG vom 17. August 1956 (Az. 1 BvB 2/51) sah der "Volksstimme"-Redakteur offenbar Grund für eine an sich gut altliberale Idee: Mit dem Gedanken, dass das Verbot einer politischen Partei nach Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz (GG) und die seinerzeit geltenden Hochverratsvorschriften der §§ 80, 81 StGB den gleichen Tatbestand träfen, argumentierte er, dass seine strafrechtliche Verfolgung vor dem Verbot seiner Partei unzulässig gewesen sei.

Auf das vorwitzige Argument, dass es von einer Parteizeitung wie der "Volksstimme" doch geradezu erwartet wurde, die eigene Partei anzubeten und es sogar zur Lizenzpolitik der britischen Besatzungsmacht gezählt hatte, in Nordrhein-Westfalen die Nähe der neuen Zeitungen zu den politischen Parteien zu pflegen, kam er freilich nicht. Mit einem solchen Appell an die Gleichheit der parteinahen Presse hätte der "Volksstimme"-Redakteur immerhin bürgerlichen Kollegen ein Argument an die Hand gegeben – denn noch in den späten 1980er Jahren erlebten beispielsweise Redakteure der "Rheinischen Post" direkte Interventionen von CDU-Politikern, wenn diesen die politische Linie "ihrer" Zeitung zu freimütig wurde.

In der Sache hätte es dem "Volksstimme"-Redakteur wohl ohnehin nichts gebracht, sich auf die Identität von Partei und Zeitung zu berufen: Im Beschluss vom 3. Februar 1959 (1 BvR 419/54) argumentierte die Karlsruher Richter, dass der strafrechtliche Hochverrat und die Grundgesetznorm zum Parteienverbot "grundsätzlich voneinander abweichende Tatbestände" beträfen und "verschiedene Zwecke" verfolgten – der letztere wolle die Gefahren, die der politischen Willensbildung als Ganzer drohten, abwehren. Der andere aber gegen "gewaltsame oder gewaltdrohende Angriffe Einzelner Schutz gewähren".

Die Richter sahen tatsächlich einen Unterschied zwischen dem kommunistischen Funktionär, der das hohe Lied des Nationalbolschewismus sang, und dem kommunistischen Redakteur, der das Gleiche tat. Die Verfassungsbeschwerde wurde damit als offensichtlich unbegründet verworfen.

Zwei kleine Pointen

Der Beschluss des BVerfG enthielt wenig Überraschendes: Dass eine Partei (noch) nicht zu verbieten, das strafbare Handeln ihrer Funktionäre oder Redakteure nach allgemeinen Gesetzen gleichwohl zu verfolgen sei, ohne die Freiheiten der Partei an sich zu verletzen – diese Distinktion öffnet der Justiz einige Spielräume, auch wenn die Feinheiten heute natürlich anders ausfallen. Insbesondere wurde den Hochverratsdelikten 1969 der Zahn gezogen. Dass sie – bei ähnlichem Wortlaut – heute jemals so bissig eingesetzt würden, wie in der Republik Österreich, ist kaum zu erwarten.

Die Pointen des Verfassungsgerichts-Beschlusses vom 3. Februar 1959 liegen damit heute in zwei Randbetrachtungen: Wenn die klassische Presse zwischen Rhein und Ruhr im Vergleich zu der aus Hamburg, München oder Frankfurt am Main so überaus langweilig ist, hat dies vielleicht mit ihrem Gründungsakt als zunächst offen parteinahes Mediengeschäft zu tun. Ein bürgerlich-liberaler Blick darauf, dass der kommunistische Redakteur für ein Geschäft bestraft wurde, dass man in SPD- und CDU/FDP-nahen Blättern – wenngleich weniger auffällig – in den 1950er und 1960er Jahren noch selbst betrieb, hätte hier die Verhältnisse früher zum Tanzen bringen können. Doch erst das Zusammenspiel aus Privatisierungen, Umstrukturierungen und der Auflösung des Dreiparteien-Systems der alten Bundesrepublik sollte ab den 1980er Jahren falsche Loyalitäten auflösen.

Und die zweite Pointe? – Vieles von der nationalbolschewistischen, antiwestlichen Litanei, die im "Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands" steckte, findet sich heute – mit erstaunlicher Konstanz der Phrasen – in links- wie rechtsextrem inspirierten Online-Kommentaren. Äußerungen, für die der kommunistische "Volksstimme"-Redakteur als Hochverräter verurteilt wurde, lösen heute bestenfalls noch ein Stirnrunzeln aus.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist.

Zitiervorschlag

Rechtsgeschichte: Hochverrat bei Zeitungen . In: Legal Tribune Online, 03.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33629/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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