Die letzten Hexenverbrennungen: Der Weg ins Feuer

Bei dem Wort Hexe denkt man zunächst an böse, bucklige Frauen mit einer Warze auf der Nase und einem Besen zum darauf Reiten, die andere mit düsteren Zaubersprüchen verfluchen. Tatsächlich waren die Hexen der Historie jedoch Opfer und nicht Täter; circa 70.000 von ihnen fanden den Tod auf dem Scheiterhaufen. Die letzten Fälle, die Licht auf Einzelschicksale werfen, liegen erst ungefähr 200 Jahre zurück.

Am 13. Juni 1782 wurde im protestantischen Schweizer Kanton Glarus die letzte Hexe Europas hingerichtet. Der Henker schlug ihr mit einem Schwert den Kopf ab. In Deutschland wurde am 11. April 1775 in Kempten das letzte Todesurteil gegen eine Hexe verhängt. Und der letzte Hexenprozess fand aufgrund des "witchcraft act" vor ca. 70 Jahren in Schottland gegen Helen Duncan, eine Wahrsagerin und Geisterbeschwörerin, statt.

Strafen für vermeintlich übernatürliches Wirken sind keine Schöpfung des Mittelalters. Bereits das Römische Recht und viele germanische Stammesrechte belegten Schadenszauber mit schweren Strafen. Die aus dem 16. Jahrhundert stammende "Peinliche Halsgerichtsordnung" Kaiser Karls V. enthielt sodann einen Artikel über die "Straff der zauberey", der lautete: "So jemandt den leuten durch zauberey schaden oder nachtheyl zufügt, soll man straffen vom leben zum todt, vnnd man soll solche straff mit dem fewer thun."

Zauberei und Hexenwerk

Theologen verknüpften den Straftatbestand der Schadenszauberei mit der Idee des Teufelspakts, was Hexen zugleich zu Häretikerinnen machte. Hinzu kam in den deutschsprachigen Landen ein drittes Element. Im erstmals 1486 veröffentlichten, so genannten "Hexenhammer" der Dominikanerpater Jacob Sprenger und Henricus Institoris, einem Bestseller der damaligen Zeit, wird das Hexenwesen auf die unersättliche fleischliche Begierde zurückgeführt. Diese soll bei Frauen stärker sein als bei Männern: "Es ist kein Wunder, wenn von der Ketzerei der Hexer mehr Weiber als Männer besudelt werden. Daher ist auch folgerichtig die Ketzerei nicht zu nennen die der Hexer, sondern der Hexen."

Der Höhepunkt der Hexenverfolgung begann aber erst circa 100 Jahre später und erstreckte sich sodann bis ins 17. Jahrhundert, wobei in der Generationenfolge ein gleichsam wellenartiges Abflauen und Anfluten der Verfolgungsintensität zu verzeichnen ist. Insbesondere in rückständigen katholischen Gebieten Deutschlands dauerten die Pogrome noch lange an. Gleichzeitig wurde allerdings in größeren Flächenstaaten, wie zum Beispiel in Bayern und Württemberg, eher zurückhaltend gegen Hexen vorgegangen.

Krieg des kirchlichen Patriarchats gegen die weisen Frauen?

Die Anschuldigung der Hexerei konnte jeden treffen, neben Frauen auch Männer und Kinder. Allerdings sind circa 80 % der Verurteilten weiblichen Geschlechts. Es handelt sich bei ihnen überwiegend um – nach damaligem Verständnis – ältere Frauen, das heißt solche zwischen 35 und 55 Jahren. Die meisten von ihnen entstammten der Unterschicht, wo Angst vor Zauberei und unerklärlich wirkenden Naturerscheinungen weit verbreitet waren. Auch die Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Weltendes und der Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse in der Endzeit trug, vor allem in deutschsprachigen Ländern, zu einem Anschwellen der Hexenprozesse bei.

Doch nicht nur unter den Opfern waren Frauen überrepräsentiert; auch die Anklagen gingen meist von ihnen aus. Grund hierfür ist allerdings, dass der Hexerei Verdächtigte unter der Folter auf die Frage nach Mittäterinnen meist Frauen aus ihrem Bekanntenkreis nannten. Eine Ausnahme bildete hier Dänemark. Aufgrund einer Vorschrift, nach der ein Zeugnis eines Beschuldigten oder Verurteilten gegen andere nicht verwendet werden dürfe, kam es dort praktisch nicht zu Kettenprozessen.

In vielen Fällen waren es aber wohl auch Streitigkeiten und Rachegelüste, die dazu beitrugen, dass Menschen andere der Hexerei bezichtigten. Die Denunzianten, die die Hexen bei der Obrigkeit anschwärzten, wurden dem Beschuldigten nicht genannt und konnten somit gefahrlos agieren. Manche von ihnen erhielten im Falle einer Verurteilung sogar noch eine Belohnung, die bis zu ein Drittel des Vermögens der Verurteilen ausmachen konnte, mindestens aber zwei Gulden betrug.

Volksschauspiel und Aberglaube

Auf indirekte Art profitierte jedoch auch das gemeine Volk von Prozess und Urteil gegen vermeintliche Hexen. Ein Bericht des niederbayrischen Schriftstellers Max Peinkofer über die letzte Hexe von Zeitldorf illustriert den schauspielhaften Charakter des Geschehens. Die noch Ende des 18. Jahrhunderts Verurteilte wurde auf einem nagelneuen Leiterwagen, von zwei schneeweißen Rössern gezogen, nach Tirol gebracht, wo sie in ein so genanntes Teufelsloch hineingeschafft werden sollte. Zum "Verschaffen" der Hexe kamen zahlreiche Männer, Frauen und Kinder, die mit lautem Geschrei den Teufel abzuschrecken suchten, auf dass er die vermeintliche Hexe nicht im letzten Augenblick ihrer gerechten Strafe entziehe.

Auch nach Beginn der Aufklärung, die die Hexerei straflos stellen wollte und die Folter kritisierte, blieb der Hexenwahn lange Zeit in der Gedankenwelt des Volks verhaftet. Noch 1703 brannten im Bayerischen Wald zum letzten Mal zwei Scheiterhaufen – und mit ihnen Afra Dick und Maria Kölbl, denen Paktiererei mit dem Teufel zur Last gelegt wurde. Das Prozessprotokoll bringt Einzelheiten zu Tage. So gesteht Afra, wohl unter dem Eindruck der Folter, wie sie mit dem Teufel auf einer Mistgabel durch die Ställe geflogen sei, Milch gestohlen und Feuer gelegt habe.

Eine späte Umkehrung der Rollen

Und noch in weitaus jüngerer Vergangenheit (Beschluss vom 23.11.1978 – VIII Qs 9/78) musste sich das Landgericht Mannheim mit einem Sachverhalt befassen, in dem der Aberglaube an Hexerei zum Quell einer Auseinandersetzung wurde. Die Beklagte hatte die Klägerin, eine türkische Gastarbeiterin, durchaus ernstlich als Hexe bezeichnet und ihr vorgeworfen, ihren Ehemann mit diversen Zaubersprüchen belegt zu haben.

Die vorinstanzliche Feststellung der "geringen Schuld" und darauffolgende Einstellung des Verfahrens wollte das LG nicht anerkennen. Auch im Jahre 1973 glaubten noch 2% der Bundesbürger fest an Hexen; weitere 9% hielten ihre Existenz immerhin für möglich. Im türkischen Kulturkreis und abergläubischen Umfeld der Parteien sei die Quote sogar noch höher, eine als Hexe bezichtigte Frau sei dort "ständig Feindschaft und Verfolgung" ausgesetzt und falle "nicht selten schweren Misshandlungen oder gar Tötung zum Opfer". Mit diesen Erwägungen verwies das LG den Streit an den Erstrichter zurück und bereitete den Weg für ein Urteil, in dem nicht etwa die vermeintliche Hexe, sondern ihre Denunziantin mit Strafe belegt werden konnte. Der Weg der betroffenen Frauen vom Scheiterhaufen zum Schutz durch die Justiz dauerte mehrere Jahrhunderte.

Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Jurist und Historiker.

Zitiervorschlag

Herbert Grziwotz, Die letzten Hexenverbrennungen: Der Weg ins Feuer . In: Legal Tribune Online, 15.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8936/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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