Am 18. Juni 1957 wurde das Gleichberechtigungsgesetz verkündet, im Wesentlichen trat es zum 1. Juli 1958 in Kraft. Die vielleicht wichtigste Änderung betraf die Zugewinngemeinschaft, doch rankt um das Gesetz auch eine feministische Legende.
Ist der Zugewinnausgleich vielleicht verfassungswidrig? Gut möglich, wird manch Laie denken, ist in seiner parallel wertenden Sphäre das Bauchgefühl ja nicht durch das Studium der juristischen Dogmatik und allerlei Subsumtionsdressur zum "Judiz" veredelt. Und wer Nettozahler ist, fühlt sich bekanntlich schnell in seinen Grundrechten verletzt, ganz gleich woher der gegnerische Anspruch rührt.
In der Diskussion um das heute vor 60 Jahren verkündete "Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts", kurz: Gleichberechtigungsgesetz (GleichberG), führte der Mainzer Zivilrechtsgelehrte Johannes Bärmann (1905–1991) hierzu ein Argument an, das juristischen Laien wie Judiz-Inhabern heute etwas unverhofft anmuten mag.
Die "rechtliche Konstruktion der Eigentumstrennung in der neuen Zugewinngemeinschaft" vertrage sich, so Bärmann, "nicht mit der Idee der Familie als soziologischer und wirtschaftlicher Einheit und damit vielleicht auch nicht mit dem verfassungsmäßigen Schutz der Familie nach Artikel 6 I GG. Schließlich gehören zur Familie auch die Kinder, was durch die einseitige Protektion des überlebenden Ehegatten, insbesondere durch sein erhöhtes Erbrecht nach § 1371 I [BGB] vernachlässigt wird" (Juristenzeitung [JZ] 1958, S. 225–229).
Zu wenig Geld für zu viele Sprösslinge?
Bärmann monierte hier am Zugewinnmodell, dass es die Familie auf zwei in verkappter Gütertrennung lebende Menschen reduzierte und die Witwe/den Witwer bei der Nachlassverteilung gegenüber den Kindern privilegierte, ohne dass die Ehe von Rechts wegen mit ökonomischem Kapital hinterlegt werde.
Dieses Problem der Zugewinngemeinschaft hatte bereits der zuletzt in Freiburg lehrende Zivilrechtsprofessor Wolfram Müller-Freifels (1916–2007) in einem ausführlichen Beitrag zu den "Kernfragen des Gleichberechtigungsgesetzes" gesehen (JZ 1957, S. 685–696), in dem er die "Besserstellung des überlebenden Gatten gegenüber den Kindern" damit rechtfertigte, dass das Kapital der Eltern "weit mehr als früher bereits zu ihren Lebzeiten für die – überdies viel teurer gewordene – Ausbildung ausgegeben" werde, die Kinder also bereits bedacht worden seien.
Im Übrigen habe – 1957 geschrieben! – die Kinderzahl abgenommen, so dass sich die Schmälerung ihres Erbanteils durch den Zugewinnausgleich nicht allzu negativ auswirke. Außerdem hätten die großen Geldentwertungen des 20. Jahrhunderts gelehrt, dass es nicht besonders klug sei, während der Ehe großes Sparkapital zu bilden.
Zankapfel war das Güterrecht, nicht das "Gedöns"
Müller-Freifels geht in seiner Darstellung des Gleichberechtigungsgesetzes über die ökonomischen Gesichtspunkte hinaus. Den Stichentscheid – eine Art Letztentscheidungsrecht des Vaters in Erziehungsfragen, mit dem die Regierung des betagten Konrad Adenauer (1876–1967) die Lehren der katholischen Kirche ins Bundesgesetzblatt gebracht hatte – hielt Müller-Freifels für schlecht begründet, weil sie den Vater realitätsfern in eine Art innerfamiliärer Richterfunktion sehe.
Im neuen Namensrecht – es blieb zwar beim Namen des Mannes als Ehenamen, die Frau konnte ihren Mädchennamen nun aber beifügen – sah Müller-Freifels ein unlösbares Problem sehen, für das er noch den Lösungsvorschlag zitierte, ein Ehepaar "Müller-Lehmann" könnte sich gemeinsam "Müllmann" nennen – der Kalauer ist vielleicht vertretbar, wenn man aus dem eigenen Namen ein "Müfels" machen könnte.
Die sogenannten "weichen" politischen Themen rund um die Gleichberechtigung, von Bundeskanzler Gerhard Schröder späterhin als "Gedöns" bezeichnet, spielten in der juristischen Diskussion um das Gleichstellungsgesetz von 1957 allerdings eine erkennbar nachrangige Rolle, was etwas verwundert.
2/2: Fortgesetzte rechtliche Knechtschaft der Hausfrau?
Kaum eine populäre Darstellung des Gleichstellungsgesetzes von 1957 kommt jedoch ohne den Hinweis aus, dass erst im Jahr 1977 eine ausschließliche Pflicht der Ehefrau, den Haushalt zu versorgen, abgeschafft worden sei.
Gern wird dabei nahegelegt, bis 1977 sei es dem Gatten möglich gewesen, seiner Ehefrau die Aufnahme oder Fortführung eines Arbeitsvertrags zu verbieten, diesen gegen ihren Willen zu kündigen. Im "Breitbart" für die akademisch gebildete Feministin heißt es beispielsweise zur Reform von 1977:
Ein Blick ins historische Gesetz zeigt: § 1358 BGB erlaubte es tatsächlich bis zum 1. Juli 1958 dem Ehemann, Dienstverträge seiner Frau zu kündigen, allerdings nur, "wenn er auf seinen Antrag von dem Vormundschaftsgerichte dazu ermächtigt worden ist". Bereits der Gesetzgeber des Jahres 1896 hatte den Ehemann also nicht in völlige selbstherrliche Verfügungsgewalt über die Arbeitskraft seiner Frau gesetzt. Diesen § 1358 BGB hob das Gleichstellungsgesetz vom 18. Juni 1957 auf, nicht erst die nächste große Eherechtsreform von 1977.
Eine eigene "Haushaltsführungsnorm"
Die ganze Beweislast für die Behauptung, Männer hätten bis 1977 ihre Gattinnen aus den Arbeitsverträgen kündigen können, trägt daher die Haushaltsführungsnorm, § 1356 Abs. 1 BGB. Ihr Wortlaut zwischen dem 1. Januar 1900 und dem 1. Juli 1958:
Das Gleichberechtigungsgesetz 1957 formulierte die bis 1977 geltende Fassung:
Datenbankrecherchen zu einer gerichtlichen Entscheidung, die die Kündigung des Arbeitsvertrages einer Frau durch ihren Gatten, sei es auf der Grundlage des § 1356 Abs. 1 BGB von 1900 oder 1958 bestätigten – oder auch nur als Tatbestand behandelten – blieben ergebnislos. Gleichwohl heißt es selbst noch in der öffentlich-rechtlichen Kolportage, der Sieg über das Patriarchat sei 1977 errungen worden.
Leitbild der kindlich dummen Hausfrau
Im stets unsicheren Zeitzeugenurteil wird das Bild einer in den 1950er Jahren noch inferioren Frau gezeichnet, beispielsweise unter dem Titel "Als der Mann noch gottgleich war". 50 Jahre nach Inkrafttreten des Gleichstellungsgesetzes vom 18. Juni 1957. Ein Beleg für Unterdrückung soll hier etwa die mangelnde Kontoführungskompetenz der Hausfrau geben. Passt das?
Bis zur flächendeckenden Einführung des Girokontos, die erst in den 1960er Jahren erfolgte, wurde das Familieneinkommen in Bargeld verwaltet, regelmäßig von nur einem der Eheleute. Zeitzeugenschaft mag empirisch für die Katz sein, aber den Satz: "Alles, was mit wirtschaftlichen, finanziellen Dingen zu tun hatte, war meine Sache", hört und liest man für diese Epoche wirklich selten aus dem Mund eines Mannes – auch im hier verlinkten Artikel ist es der einer Frau.
Doch natürlich muss die – oftmals, zumeist nahezu immer vollständige? – Hoheit der Ehefrauen über das Bargeld der Familie im Zeitalter vor dem Girokonto herabgemindert werden auf ein: "Autorität übten die Frauen nur im Binnenverhältnis der Ehe aus", damit das Bild vom patriarchalen Horror des bürgerlichen Rechts nur keine Brüche bekommt.
Die – unbestritten – antiquierte Regelungen zur Haushaltsführung sowie die zwischen dem 1. Januar 1900 und dem 30. Juni 1958 nur vormundschaftsrichterlich begrenzte Verfügungsmacht des Ehemanns nach § 1358 BGB konnten übrigens nicht nur durch die soziale Wirklichkeit an Wirkungsmacht verlieren oder ins Gegenteil verkehrt werden – auch ehevertraglich abbedingen ließen sie sich.
Vermutlich wird dies nicht verhindern, dass auch zum 60. Jahrestag des Gleichstellungsgesetzes von 1957 der Satz: "Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung" kolportiert wird, als habe es sich um eine bis 1977 polizeirechtlich exeku-tierte Norm gehandelt.
1957: ein überhaupt verpasstes Schlüsseljahr
Um nicht missverstanden zu werden: Dies will keine Apologie der Gesetzlage vor 1977 oder gar vor 1957/58 sein.
Es ist jedoch ein wenig überraschend, welche starke Konjunktur die Nachricht von einer vorgeblich bis in die späten 1970er Jahre bürgerlich-rechtlich erzwungenen Hausfrauenehe hatte, während die zivilrechtswissenschaftliche Diskussion zum Gleichberechtigungsgesetz selbst in erster Linie dessen ökonomische und soziale Konsequenzen thematisierte, die vor allem vom Güterstand der Zugewinngemeinschaft erwartet wurden.
Statt sich mit dem jeweils allerjüngsten Aufschrei aus der Schnittmenge feministischer und juristischer Kreise – es geht aktuell um durchlöcherte Kondome, rechtswissenschaftlich hier, schon populärer dort – aufzuhalten, täte so etwas wie eine Gesamtevaluation der beiden großen Gesetzgebungswerke not, die mit dem Jahr 1957 verbunden sind: Am 1. Januar 1957 trat jene Rentenreform in Kraft, die als Generationenvertrag zwischen der wirtschaftlich produktiven und biologisch reproduktiven Generation und der Großelterngeneration verkauft wurde, die altersbedingt beides nicht mehr ist – nach dem Motto: Kinder bekommen die Leute schon von selbst.
Eine Antwort auf die Frage, warum die deutsche Gesellschaft vergleichsweise wenig in die nachwachsende Generation investiert – in puncto biologischer wie ökonomischer Reproduktionsverhältnisse – lässt sich hier womöglich finden. Die Perspektive, dass das Familienrecht familiäre Vermögensdispositionen strukturiert, ist jedenfalls gründlich verloren gegangen.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Rechtsgeschichte: Verlängertes Hausfrauenleid durchs Gleichberechtigungsgesetz? . In: Legal Tribune Online, 18.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23210/ (abgerufen am: 18.04.2024 )
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